Kontroverse um Locarno-Plakate: Platte Foto-Collage 2024 von Annie Leibovitz (oben) und künstlerisch ambitionierte Angucker aus vergangenen Zeiten.

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Platt, plump, plakativ


Der alte Spruch «Neue Besen kehren gut» hat zwei Seiten: Einerseits könnte das frischen Wind bei alten Strukturen bedeuten oder Umkrempeln als Programm signalisieren.

Man hat als langjähriger Besucher des Filmfestivals Locarno den Eindruck, dass der neue Besen, sprich die neue Festivalpräsidentin Maja Hoffmann, eine erste Marke oder ein Ausrufungszeichen setzen wollte. Die Basler Kunstmäzenin dachte sich wohl: Kunst kommt von Können und engagierte ihre «Busenfreundin» Annie Leibovitz, um ein neues Festivalplakat zu kreieren. Herausgekommen ist ein Allerweltsposter mit See, Berghang und einem Leoparden (oder Leopardin). Banal.

In vergangenen Jahrzehnten war graphisch gesehen das Leoparden-Plakat ein Hingucker, ein Markenzeichen. Doch was jetzt präsentiert wurde für die 77. Ausgabe (7. bis 17. August 2024) ist eine plakative Collage mit Raubkatze, die jedem Zirkus (wenn er denn noch Leoparden zeigt) oder Zoo gut anstände.

Eine Raubkatze vor alpiner Kulisse – das sollte es sein. Da mag die amerikanische Künstlerin und Fotografin Annie Leibovitz (74) noch so einen grossen Namen als Fotoporträtisten (John Lennon, Queen Elizabeth II, Barack Obama) haben, doch das aktuelle Locarno-Plakat wirkt platt und pardo-unwürdig, verglichen mit früheren Ausgaben.
Der Zürcher Tages-Anzeiger mokierte sich über den «Photoshop-Leoparden», und Gerhardt Lob (Aargauer Zeitung/Thurgauer Zeitung) sinnierte über «Genialität oder Banalität». So oder so – dieser Leibovitz-Entwurf, der uns am Filmfestival unentrinnbar begegnen wird, ist im wahrsten Sinn des Wortes plakativ. Da mag Festivaldirektor Giona A. Nazzaro das Werk noch so schönreden – ein Hit ist das Plakat 2024 nicht. Es provoziert eher Kopfschütteln und Häme. Ist der Leo ausgerissen und hat sich am Lago Maggiore verirrt, ist er Leitfigur für eine Umweltkampagne – oder gar ausgestopft?

Veröffentlicht Juni 2024


Frauen übernehmen die Action in der Marvel-Welt: General Okoye (Danai Guira, Bild oben und unten links) und Königin Ramonda (Angela Bassett, rechts) müssen das Wkanda-Reich vor Übergriffen schützen. Prinzessin Shuri (Letitia Wright, (Bild oben und Mitte) reift zur Black Panther-Leaderin. (Marvel)

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Black ist beautiful


Marvel macht’s möglich. Die Comic-Fabrik hatte bereits vor vier Jahren die Weichen für eine afroamerikanische Hollywood-Wende gestellt. Das schwarze Actionspektakel «Black Panther» wurde zum Millionenseller und Markenzeichen für Afrofuturismus. Nun mischt die Fortsetzung «Black Panther: Wakanda Forever» die Kinos auf und macht fette Kohle.
Der König sprich Black Panther alias T’Challa ist tot. Tatsächlich starb die Kultfigur mit Schauspieler Chadwick Boseman († 2020). Was nun? The Show must go on … Man trauert um den charismatischen König, und Frauen nehmen das Zepter in die Hand: Königin Ramonda (Angela Bassett), Prinzessin Shuri (Letiia Wright), Generälin Okoye (Danai Gurira) und Technokratin Riri (Dominique Thome). Sie wollen das afrikanische Reich Wakanda, das im Verborgenen blüht, vor weissen Mächten, aber auch vor dem Unterwasserreich Talocan schützen, angeführt von dem königlichen Flügelmann Namor (Tenoch Huerta). Der will ein Bündnis mit Wakanda schnüren, um die Oberwasserwelt, sprich Erde, zu bekriegen und zu unterwerfen. Alles klar? Muss es nicht bei «Wakanda Forever».
Die futuristische Actionvision ist exzellent choreographiert und inszeniert von Ryan Coogler, der bereits 2018 mit dem «Black Panther» Welterfolg erzielte. Er nahm vorweg, was heute gang und gäbe ist: Minderheiten zur Macht stilisieren und mittels Leinwand zu befriedigen. Der Trend macht Kasse. «Black is beautiful» ist wieder en vogue, verstärkt natürlich durch weibliche Power. Augenfällig wird Afrokultur gefeiert und als Weltmachtvision angepriesen. Dass diese Geister in Schwarz auch nur mit Wasser kochen, mit Speeren, Superwaffen und -kräften um Macht und Wohl kämpfen, versteht sich, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei «Wakanda Forever» um ein Comic-Märchen handelt, das unverblümt auf den Markt sprich Kasse schielt.

Veröffentlicht November 2022



Filme zum Gernhaben und Abgewöhnen (von oben):
Superstar (Elyas M’Barek) in der «Liebesdings»-Krise;
Bayrische Ballerei mit Franz Eberhofer (Sebastian Brezzel) in «Guglhupfgeschwader»;
Donnerwetter: «Thor» (alias Chris Hemsworth) holt den Hammer raus;
Superfreunde: Hundeheld Krypto hilft Superman aus der Patsche;
Gruselige Begegnungen: Die Witwe Harper (Jessie Buckley) wird von «Men» geschockt;
Reise zurück: Ist die Welt noch zu retten, aber nur wenn «Everything Will Change»;
Kranführer Maurice (Mark Rylance) mischt die Golfwelt auf und wird zum «Phantom of the Open»;
Flüchtlingsschicksal: Der Afghane Amin schildert seine Flucht nach Dänemark in «Flee»;  
Killer für einmal friedlich: Ladybug (Brad Pitt) und Lemon (Brian Tyree Henry) im «Bullet Train»;
Glück auf Zeit: Anna (Michèle Brand) und Marco (Simon Wisler) bleiben nur «Drii Winter»;
Freiheit in Sümpfen: Kya (Daisy Edgar-Jones) lebt ganz auf sich allein gestellt dort, «Where the Crawdads Sing», wo die Flusskrebse singen.

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Filmflut und Zuschauer-Flaute


Es gibt Filme zum Vergessen, zum Verzweifeln, zum Verteufeln. Aber eben auch solche zum Gernhaben, Glücklichsein. Die Traumfabrik beliefert alle, mal besser, mal schlechter. Mehr denn je nach dem Corona-Stau. Anno dazumal hiess es «Mal dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino!» Das Angebot ist gross und breit gestreut. Es gibt Studiokinos, die bieten ein Dutzend und mehr Filme im Programm, manchmal nur einmal, zweimal am Tag. Wer sucht, der findet.

Es gibt Trailer, Inserate, Filmtipps, Kritiken. Schauen Sie genau hin. Es gibt flache, ja biedere Komödien wie «Liebesdings», wo Filmstar Elyas M’Barek als Garant für Unterhaltung fingieren soll. Denkste! Auch der achte Knödel-Krimi «Guglhupfgeschwader» mit Dorf-Polizist Franz Eberhofer alias Sebastian Brezzel ist einfach bayrisch gestrickt und sorgt nur für mässige Lacher.

Es gibt Comicaction mit Donnerhall wie «Thor – Love and Thunder» oder «DC League of Super Pets», wo die animalischen Freunde von Superman, Batman oder Wonder Woman die Welt und ihre Superhelden retten müssen. Doch die «DC League» läuft trotz vieler Knalleffekte, Schlachten und neckischen Seitenhiebe ins Nichts. Auch wenn um junge Kinobesucher geworben wird, taugt das Fantasy-Bombardement als Familienfilm nicht.

Es gibt hochgelobte Filme, die enorm gepusht werden. Doch Vorsicht! Der Horrortrip «Men» ist eine Zumutung. Der Psychothriller mit dickem Gruseltouch (ver)endet in diversen Häutungen und Geburten. Vor diesem Trip kann man nur warnen. Männerphantasie oder sexuelle Übergriffe? Regisseur Alex Garland («Ex Machina») badet hemmungslos in surrealem Horror. Sinnlose Effekthascherei oder ein Beitrag über «toxische Männlichkeit» (NZZ am Sonntag) ist die Frage?

Es gibt Kinomomente, die sich eingeben, einprägen, einfräsen, die berühren, begeistern, einen lange noch begleiten. Das kann eine denkwürdige Reise aus der Zukunft in die Gegenwart sein – der Umwelt zuliebe. «Everything Will Change» ist Warnung vor Fahrlässigkeit und Liebeserklärung an die Natur zugleich. Vielleicht darfs auch eine urkomische, aber wahre Komödie aus England sein. «The Phantom of the Open» ist eine skurrile Geschichte über einen Kranführer, der sich einen Namen als schlechtester Golfspieler der Welt machte und grossen Respekt erntete. Denkwürdig ist auch der Animationsfilm «Flee», der vom Schicksal eines afghanischen Flüchtlings Anfang der Achtzigerjahre erzählt – nach wahren Begebenheiten.

Es gibt Entdeckungen auch ausserhalb der normalen Lichtspieltheater – welch ein wundervolles Wort – bei Filmfestivals natürlich. Das grösste in der Schweiz legt am 3. August los (bis 13. August) und eröffnet mit dem Knaller «Bullet Train». Da wird geballert, geprügelt und getrickst, was das Zeug hält und zwar im Superschnellzug Tokio – Kyoto mit Brad Pitt. Weniger spektakulär, aber sehenswerter und wertvoller ist da das Schweizer Alpenliebesdrama «Drii Winter», das auch in Locarno aufgeführt wird (Kinostart: 1. September). Ein Film wie für die Piazza Grande geschaffen: «Where the Crawdads Sing» nach dem Bestseller von Delia Owen. Die Hauptdarstellerin Daisy Edgar-Jones wird in Locarno mit einem Ehrenpreis geehrt.

Das Kino lebt in dunklen Sälen, wo Träume aufblühen und Dramen fesseln. Das gilt auch für bei Openair-Events, die wie in alten Zeiten reges Publikumsinteresse wecken. Netflix & Co sind durchaus eine Bereicherung. Diese Produktionen mischen mit und beleben. Corona hinterliess Spuren, sorgte für Bedenken, erhöhte die Hemmschwellen. Bremsen althergebrachte Bedenken, oder tragen boomende Angebote, Konzerte und Festivals Mitschuld an der Zuschauerflaute. Wer zaudert, verpasst vieles. Oder: Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts. Nicht nur bei bewegenden Bildern.


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Veröffentlicht Juli 2022



Ballern, was das Zeug hält: Frauen im Feuer in «The 355». Fliegen und Powern à la «Spider-Man (No Way Home)». Er kann’s nicht lassen: Keanu Reeves in «Matrix – Resurrections». (Bilder von oben).

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Sie ballert so gut wie er


Wenn es knallt und feuert, Autos durch die Luft fliegen und Motorräder über Rolltreppen rasen, wenn Männer Muskeln spielen lassen und trotz heftigster Schlägereien kaum eine Schramme abkriegen, ist Action-Time. Das geht beim Popcorn-Publikum runter wie Cola oder Red Bull. Mit und durch die Last Picture Show von 007 Agent James Bond haben Agenten- und Actionfilme wieder einmal Hochkonjunktur.
«The Spider-Man» spannt seine Netze wieder und kämpft gleich dreifach in «No Way Home». «Matrix» ist auch wieder aktiv in «Resurrections» und switcht zwischen realen und fiktiven Welten. «The King's Man» geht auf Anfang («The Beginning»). Und demnächst agiert auch «Batman» wieder im Kino (ab März).

In die Phalanx der Muskelmänner und Machos drängen sich nun fünf Frauen, die beweisen wollen, dass sie ebenso tough, knallhart und schiessfreudig sein können wie ihre Agentenkollegen. Das Actionspektakel «The 355» ist ganz auf Frau eingestellt, nicht ganz, aber … Der Streifen hat ein Qualitätsmerkmal: Von Frauen mit Frauen und nicht nur für Frauen!

Produzentin Jessica Chastain («Zero Dark Thirty») wollte die männliche Agentenübermacht mit einer weiblichen Attacke herausfordern. Aber ohne männlichen Beistand war ihr wohl nicht ganz wohl, und so engagierte sie Autor und Regisseur Simon Kinberg, Experte für die «X-Men»-Filmreihe, für ihren Agentenfeldzug. Die Besetzung sollte die geschönte Ballerorgie veredeln: Diane Kruger agiert als deutsche Aktivistin Marie, Lupita Nyong'o als Computer-As Khadijah, Penélope Cruz als kolumbianische Psychologin Graciela und Fan Bingbin als undurchsichtige Drahtzieherin Lin Mi Sheng. Jessica Chastain selbst mischt als CIA-Agentin Mace mit. Männer (wie der Schönling Sebastian Stan) kommen auch vor, aber sie dienen nur als notwendige Bösewichte, Kampfhähne und Kanonenfutter.

Die Story um eine verheerende Geheimwaffe und natürlich die Rettung der Welt ist unwichtig. Die Actionsequenzen kommen flott und adrett daher, sind aber nicht minder gewalttätig als in bekannten Action-Machowerken. Das mag gewissen Unterhaltungsspass bereiten, mehr nicht. Weltbewegend sind die Ballerfrauen in «The 335» nicht. Neckisch der Ursprung des Filmtitels. Er beruft sich auf die erste US-Spionin während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, der man den Codenamen Agent 355 gab. Das feministische Projekt «The 355» ist gutgemeint, bleibt aber flüchtig und ist nicht nachhaltig im Macho-Filmbusiness. Es sprengt nur oberflächlich Grenzen. Mit Ballern und Frauenaction allein ist es eben nicht getan.


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Veröffentlicht Januar 2022


Dunkle Wolken über dem Zürcher Güterbahnhof: Dem historischen Gebäude wird der Garaus gemacht – zugunsten eines Polizei- und Gefängniskomplexes.

Die Dissertation von Peter Exinger, die sich im Buch von Ute Kröger «In welchen Zeiten leben wir!» (1998, Limmat Verlag) niederschlägt, und Eveline Haslers Roman «Stürmische Jahre» (2017) erinnern an Riesers Verdienste.

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Kultur-Killer oder
Was Schauspielhaus und Güterbahnhof gemein ist


Die Metropole an der Limmat, die meint, sie hätte das Zeug zur Grossstadt, will Zeichen setzen, auch architektonische. Und so meinen manche Kräfte, auch liberale und sozialdemokratische, dass Abriss Aufbruch bedeutet. Das war schon 1971 so, als man in Zürich das klassizistische Gebäude an der Bahnhofstrasse 1 abriss, in dem die Wiener Werkstätte von 1917 bis 1919 ein kurzes «Gastspiel» gab.

Und so war es 2013, als der Staat, sprich Stadt und Kanton Zürich, dem historischen Güterbahnhof den Garaus machte. Der Kopfbau, im Lauf eines Jahres (1896/97) auf einem 100 000 Quadratmeter grossen Gelände errichtet, umfasste unter anderem eine 400 Meter lange Empfangshalle, 9,5 Kilometer Gleise, davon 500 Meter überdeckt, und beschäftigte rund 500 Mitarbeiter. Infolge des Ersten Weltkriegs wurden bereits 1916 mehr als eine Million Tonnen Ware umgeschlagen. Dies sind nur wenige Fakten über diesen historischen Komplex zwischen Zürich-Wiedikon und Oerlikon. Der Güterbahnhof war seinerzeit der modernste und grösste seiner Art in Europa.

Und ab 2000 ging's bergab. Zürcher Bevölkerung und Behörden (Stadt und Kanton) beschlossen, ein neues Polizei- und Justizzentrum (PJZ) inklusive Gefängnis auf dem Areal des Backstein-Güterbahnhofs aus dem Boden zu stampfen. Im Mai 2013 begann der Abbruch (siehe Dokumentarfilm «Nemesis»). Von kulturellem, architektonischen oder historischem Bewusstsein bei massgeblichen politischen Kräften keine Spur.

Ähnliches muss man nun auch bei der Diskussion um Abbruch, Umbruch oder Aushöhlung des Zürcher Schauspielhauses beobachten. Bei Stadtpräsidentin Corine Mauch und anderen willigen Abbruch-Befürwortern vermisst man kulturelles, historisches Bewusstsein. Muss man nochmals betonen, welche antifaschistische Rolle dieses Theater während des Nazi-Regimes spielte?

Privatmann Ferdinand Rieser, Begründer und Betreiber, hatte gegen den Willen bürgerlicher Schichten, inklusive der damaligen SP, aber auch einheimischer Schauspieler sein Emigranten-Ensemble mit Therese Giehse, Wolfgang Langhoff verteidigt und protegiert. Dank der Dissertation von Peter Exinger (siehe Buch mit Ute Kröger: «In welchen Zeiten leben wir!», 1998, Limmat Verlag) und dem Roman «Stürmische Jahre», 2017, dtv) von Eveline Hasler wären Riesers Verdienste wohl vergessen geblieben.

Den politischen Abbruch-Verfechtern und andere Gleichgesinnten fehlt es an historischem Bewusstsein – Technik, Modernisierung und Image-Ambitionen hin oder her. Mit solchem Ansinnen und Planen erweist sich die vermeintliche Weltstadt Zürich einen Bärendienst – zu engstirnig und zu wenig weitsichtig. Heisst hier Fortschritt einmal mehr Abbruch zum Aufbruch? Fatal.


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Veröffentlicht Juni 2021



Hör- und fühlbar: Klangkörper im fast leeren Neubau des Kunsthauses. (Fotos: William Forsythe, «The Sense of Thing», Franca Candrian, Kunsthaus Zürich.)

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Wenn Glocken nachhallen –
Betrachten, bewegen, berühren


KULTUR AUF DER SPUR «Der Leutnant von Leuthen befahl seinen Leuten, die Glocken nicht eher zu läuten, bis der Leutnant von Leuthen seinen Leuten das Läuten befahl». Steckt mehr hinter diesem Spruch als ein Zungenbrecher? Nun, wenn man es historisch betrachtet, könnte sich der Satz auf eine Kriegsepisode beziehen: Am 5. Dezember 1757 fand eine Schlacht bei der schlesischen Ortschaft Leuthen statt. Der preussische König Friedrich der Grosse bekriegte die Österreicher unter Kaiserin Maria Theresia. Ein denkwürdiges Hauen und Stechen und Schiessen – bot doch der preussische Monarch dem dreifach überlegenen Gegner die Stirn und überlistete ihn. Ihm hatten wohl die richtigen Glocken geläutet, sind gewiefte Taktiken eingefallen. Das nur ein kleiner Abstecher in die Geschichte und die Machtkämpfe zwischen Preussen und Österreich im Siebenjährigen Krieg.

Der Leutnant und sein Befehl fielen mir ein, als ich den Glocken im Chipperfield-Neubau des Zürcher Kunsthauses begegnete. Welche Bedeutung haben Glocken – von klein bis tonnenschwer? Sie waren Mahn- und Friedenszeichen, Kircheninstrumente und -signale, Zeitzeugen und Zeitzeichen. Sie wurden gesegnet und zu Kanonen geschmolzen. «Diese Glocken sind wie Geister der Geschichte europäischer Konflikte», meint Choreograph William Forsythe, der sie in den noch leeren Räumen des Kunsthaus-Neubaus installierte.

«The Sense of Things» nennt er diese tonnenschweren Relikte aus Düsseldorfer Kirchen. Sie sollen die Besucher animieren, inspirieren, sensibilisieren – für eine neue Ära in der Zürcher Kunsthausgeschichte.

Die Glocken werden sicht- und hörbar zu einem Sinnesorgan und erschaffen im wahrsten Sinn des Wortes einen Klangkörper. Die Informationsschrift zu «The Sense of Things» ist im Kunsthaus gratis erhältlich, auf Deutsch, Englisch und in Blindenschrift (vom Franzosen Louise Braille 1925 entwickelt).

«Mit ihren Schwingungen bewegen und durchwandern die Glocken die Luft, genau wie wir selbst im gleichen Raum unterwegs sind, Ruf und Antwort in Echtzeit», bemerkt Emma McCormick-Goodhart im Begleittext. Und William Forsythe ergänzt: «Keine Erkenntnis ohne Bewegung.»

Gut denn, wenn wir uns nicht bewegen, bewegen wir auch nichts. Ob uns die Kunst dereinst im Neubau bewegt, wird sich weisen.


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Veröffentlicht Mai 2021



Filme mit dem Prädikat «Sehr sehenswert» (von oben):
«Mank»
«Nomadland»
«Father»
«The Trial of the Chicago 7»
«Schwesterlein»
«Platzspitzbaby»
«Nemesis»

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Oscar und Quartz im Online-Abseits


OSCAR In Zeiten von Corona-Krisen sind Kinos wie andere Kultur- und Konzertstätten zum Nichtstun verurteilt. Gleichwohl lebt der Film und nistet sich quasi im Homeoffice ein – dank Netflix und anderen Streamingplattformen. Auch Festivals mussten andere Abspielmöglichkeiten und Medienkanäle suchen – von Solothurn bis Berlin.
Nun muss sich auch die «Olympischen Spiele der Filmkünste» mit Online-Shows begnügen. Am 25. April sollen die Oscar-Verleihungen an zwei Standorten in Los Angeles über die Bühnen gehen – im Dolby Theatre und Union Station – ohne Publikumspräsenz versteht sich. Grosse Hollywood-Kisten wie «Mulan» (Streamingdienst Disney+) oder «Wonder Woman 1984» fehlen bei den Nominationen, da sie nur phasenweise in den US-Kinos zu sehen waren und online angeboten wurden.

So führt die Liste der Nominierten die Netflix-Produktion «Mank» mit zehn Nennungen an, u.a. für bester Film, beste Regie (David Fincher), bester Hauptdarsteller (Gary Oldman) und beste Nebendarstellerin (Amanda Seyfried). Das schwarzweisse Biopic-Drama beschreibt den Kampf des Drehbuchautors Herman Mankiewicz um seine künstlerische Freiheit – im Dienste eines Orson Welles (Citizen Kane) – siehe Filmkritik. «Mank» lief letztes Jahr in unseren Kinos.
Ganz aktuell ist das Roadmovie «Nomadland» von Chloé Zhao, das am 8. April in unseren Kinos starten soll – wenn Staat und Corona es zulassen. Erzählt wird von modernen Nomaden in Amerika wie der verwitweten Fern (Frances McDormand), die mit ihrem Van auf Achse ist von Nevada bis Kalifornien (siehe Filmkritik). «Nomadland» wurde sechsmal nominiert (bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin, bestes adaptiertes Drehbuch u.m.), bereits ausgezeichnet mit zwei Golden Globes und dem Goldenem Löwen in Venedig.

Ebenfalls sechsmal nominiert wurde das Drama «Father», eine Beziehungsgeschichte um den 80jährigen, dementen Anthony (Anthony Hopkins) und seine Tochter Anne (Olivia Colman). Ein Film, der unter die Haut geht (Premiere am ZFF), nominiert als bester Film. Auch die beiden Hauptdarsteller sowie die Autoren Christopher Hampton und der Schweizer Florian Zeller (adapted Screenplay) wurden nominiert. «Father» feierte wie «Nomadland» am Zurich Film Festival Schweizer Premiere. Gut vertreten ist auch das Gerichtsdrama «The Trial of the Chicago 7» mit sechs Nomination (Netflix-Produktion) für bester Film, bester Nebendarsteller (Sacha Baron Cohen), bestes Originaldrehbuch (Aaron Sorkin), beste Kamera (Phedon Papamichael), bester Schnitt (Alan Baumgarten) und bester Originalsong («Hear My Voice»).

Bemerkenswert: Gleich zwei Frauen wurden für die beste Regie nominiert: Chloé Zhao («Nomadland«) und Emerald Fennell («Promising Young Woman»). Vor drei Jahren plädierte Gewinnerin Francis McDormand bei der Oscar-Verleihung für mehr Vielfalt und Frauenpräsenz. Das ist tatsächlich eingetreten. In den Schauspielerkategorien (20) finden sich neun Akteure/Akteurinnen nicht weisser Hautfarbe. Auffallend ist aber auch, dass im Oscar-Jahr 2021 fette 35 Netflix-Produktionen berücksichtigt wurden (2020: 24). Corona sei Dank!


QUARTZ Auch der Schweizer Filmpreis buhlt um Aufmerksamkeit. Die Verleihung soll am 26. März in den Genfer Studios RTS stattfinden, als Livestream (quartz.ch) über die Internetseiten von SRF, RTS und RSI live übertragen. Die 25 nominierten Filmwerke können über die Websites des Zürcher Filmpodiums vom 22. bis 28. März 2021 visioniert werden (der Vorverkauf läuft). In zwölf Kategorien wird der Quartz verliehen, neu wurde die Kategorie Bester Ton eingeführt. Ein Spezialpreis der Filmakademie ist mit 5000 Franken dotiert. Die Schauspielerin Lilo Pulver erhält den Ehrenpreis des Schweizer Films.

Mangels in Frage kommender Schauspieler ist diese Kategorie in diesem Jahr gestrichen worden. Die Auswahl 2021 ist klein, aber sehenswert. Die Filme sind bekannt und liefen teilweise in den Kinos, wenn auch corona-geschädigt. Der Filmpreis ist mit 15 000 Franken dotiert. «Atlas» von Niccolò Castelli feierte in Solothurn Premiere und wartet auf eine Kinoauswertung. «Mare» und «Platzspitzbaby» haben bereits einige Kinorunden gedreht. «Schwesterlein», dieses grossartige Schauspielerdrama mit Nina Hoss, Lars Eidinger und Marthe Keller wird vom Streamingdienst myfilm angeboten. Es hätte eine neue grössere Kinoauswertung verdient. «Wanda, mein Wunder» von Bettina Oberli wartet auf grünes Kinolicht im Juni.

Schweizer Dokumentarfilm: Diese Kategorie (mit 25 000 Franken dotiert) ist gewohnt bestens bestückt. Milo Raus moderne Passionsgeschichte «Das neue Evangelium» soll im April starten (siehe Interview und Filmkritik) und ist zu favorisieren. Jean-Stéphane Brons «5 Nouvelles du Cerveau» vermittelt interessante Einblick in die Hirnforschung (siehe Filmkritik). Weiter nominiert wurden: «Il mio corpo» von Michele Pennetta, «Nemesis» von Thomas Imbach und «Saudi Runaway» von Susanne Regina Meures.

Zu wenig männliche Darsteller boten sich offensichtlich für eine Auswahl an, desto stärker stehen Frauen im Filmlicht und wurden nominiert (5000 Franken): Luna Mwezi und Sarah Spale in «Platzspitzbaby» sowie Rachel Braunschweig in «Spagat». Dieses Liebes- und Sozialdrama soll im April starten: Ein starker Film von Christian Johannes Koch, der intim und hautnah beschreibt, wie eine Mutter und Ehefrau fremdgeht und den Spagat versucht, ihre Familie, ihre Liebesbedürfnisse sowie den Liebhaber aus der Ukraine samt Tochter zu retten.

Die meisten Quartz-Nominationen verbuchten «Schwesterlein» mit 6 (bester Spielfilm, bestes Drehbuch, beste Nebendarstellerin, beste Kamera, beste Montage, bester Ton), «Platzspitzbaby» mit 5 (bester Spielfilm, bestes Drehbuch, beste Darstellerinnen, beste Montage), «Mare» mit 3 (bester Spielfilm, bestes Drehbuch, bester Ton).
Die Auswahl Schweizer Spielfilme scheint eher mager. Einige wurden schlicht «übersehen» wie «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» von Natascha Beller, «Jagdzeit» von Sabine Boss, «Sekuritas» von Carmen Stadler oder «Bis wir tot sind oder frei» von Oliver Rihs. Filme, die im März in Berlin reüssierten, fanden keine Berücksichtigung, Filme wie «Das Mädchen und die Spinne» von Ramon und Silvan Zürcher (Kinostart im Sommer) oder «La mif» von Fréderic Ballif. Auch das Teenagerdrama «Sami, Joe und ich» von Karin Heberlein (ausgezeichnet beim ZFF 2020) blieb im Abseits.

Fragen bleiben offen: Wann kann sich ein Schweizer Film für den Quartz nominieren? Spielen Produktionsjahr, Festival- oder Kinostart eine Rolle? Doch die wichtigsten Fragen lauten: Wann heben sich die Vorhänge in den Kinos wieder, wird das Publikum zurückkehren oder im Heimkino-Sessel hocken bleiben?


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Veröffentlicht März 2021


Frauen powern, verirren, verlieren, verlieben sich
(Bilder von oben):
«Hustlers», die kriminellen Stripperinnen,
«Lara», die gescheiterte Pianistin,
«Judy», die göttliche Judy Garland,
«Portrait de la jeune fille en feu», die Malerin
und ihr Modell,
«Little Joe», die Mutter und eine betörende Blume,
«The Farewell», die Enkelin und der Abschied
von der Grossmutter,
«Little Women», vier Schwestern und die US-Gesellschaft
im 19. Jahrhundert,
«Platzspitzbaby», eine heillose Junkie-Mutter
und ihre Tochter
oder auch «Als Hitler das rosa Kaninchen stahl»,
 jüdische Kinder auf der Flucht vor den Nazis.

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Jetzt schon im Kino:
Frauenpower


Sie ist gefragt, wird gefordert – politisch, sozial, kulturell: Frauenpower. Gern werden Quoten als buchhalterisches Heilmittel gepriesen. Zu kurz gegriffen und gedacht. Doch die Botschaft ist angekommen.
Sanna Marin, 34 Jahre jung, ist Spitze: Sie wurde jüngst in Finnland zur Ministerpräsidentin gewählt und hat mit vier Parteien eine Koalition gebildet, die von Frauen geführt wird. Einzigartig in der politischen Welt.

Auch das Stockholmer Komitee ist auf Frau gekommen (nebst der unseligen Nominierung Peter Handkes zum Literatur-Nobelpreisträger 2019). Die polnische Autorin Olga Tokarczuk mit dem Nobelpreis 2018 ausgezeichnet. Ein weibliches, ein richtiges Signal.

Sieht man sich in der Filmproduktion und in den Kinos um, fällt einem auf, dass einige bemerkenswerte Werke zu sehen sind, die eine weibliche Handschrift tragen. Nein, gemeint ist nicht der prüde Rotlicht-Streifen «Hustlers», in dem Jennifer Lopez eine Stripperinnen-Gang anführt, welche Männer bis aufs Hemd auszieht , dabei gute Figur und Kasse macht, auch nicht der Action-Aufguss von «Charlie's Angels» (mit Kristen Stewart, Naomi Scott u.a.), sondern Filme wie «Lara», «Adam», «Judy», «Portrait de la jeune fille en feu», «The Farewell», «Little Women»,«Platzspitzbaby» oder auch «Als Hitler das rosa Kaninchen stahl».

Ihnen allen ist gemeinsam, dass sich Frauen (oder auch Kinder) engagieren, aufbegehren, Enttäuschungen überwinden, ihren eigenen Weg gehen, um sich selbst zu finden. Sie stellen sich der Wirklichkeit. Lara (Corinna Harfouch) beispielsweise muss auf ein Leben zurückblicken, in dem sie sich in ihrem Sohn zu verwirklichen sucht. Ihre Bilanz ist schmerzhaft.

Einen der schönsten und stilvollsten Filme des Jahres 2019 schuf Céline Sciamma mit «Portrait de la jeune fille en feu». Zwei Frauen – eine Malerin und ein sich verweigerndes Modell – finden ihre Liebe und sprengen den gesellschaftlichen Rahmen im 18. Jahrhundert. Um Solidarität und Selbstverwirklichung geht es auch im marokkanischen Film «Adam», in dem Maryam Touzani beschreibt, wie eine schwangere alleinstehende Frau auf der Suche nach einer Bleibe das Leben einer Witwe und ihrer Tochter neu belebt.
Die Reihe starker Frauenfiguren lässt sich fortsetzen mit der Judy-Garland-Hymne «Judy» (mit Renée Zellweger), dem Liebesdrama «Little Joe» um eine Gentechnikerin, die um ihren Sohn und eine verhängnisvolle Blume kämpft, oder mit der Aussteigerkomödie «Where'd You Go, Bernadette» (mit Cate Blanchett).

Zwei Frauen stehen auch im Mittelpunkt des verschmitzten chinesisch-amerikanischen Produktion «The Farewell», geschrieben und inszeniert von Lulu Wang. Basierend auf einer tatsächlichen Lüge, wie es so schön heisst. Die in New York lebende Billi reist wie auch andere Familienmitglieder nach China, um von der krebskranken Grossmutter (Nai Nai) Abschied zu nehmen. Jung und Alt finden sich. Das eben kann traurig, aber auch heiter sein.

Regisseurin und Drehbuchautorin Greta Gerwig taucht tief ins 19. Jahrhundert. Sie schildert, wie vier Schwestern jede auf ihre Art versuchen, sich zu verwirklichen. «Little Women» ist eine Adaption des gleichnamigen Klassikers von Louisa May Alcott. Ein Gesellschaftsfilm, der in schönen Bildern schwelgt, in Gefühlen badet und scheinbar aus der Zeit gefallen ist. Aber halt, auch hier geht es um weibliche Perspektiven und Selbstverständnis.

Auch die wehmütig bitteren Erinnerungen eines zehnjährigen Mädchens haben einen historischen Hintergrund. Die jüdische Schriftstellerin Judith Kerr beschrieb ihre Fluchtgeschichte 1933 von Berlin in die Schweiz, dann nach Paris und London. Der Buchklassiker «Als Hitler das rosa Kaninchen stahl» (1971) wurde von Caroline Link verfilmt – etwas betulich und sentimental (mit der Schweizerin Carla Juri als Mutter des Flüchtlingskind Anna) und berührend.

Ebenfalls einen Bestseller nahm sich Pierre Monnard zu Herzen: «Platzspitzbaby» von Michelle Halbheer und Franziska K. Müller. Frühjahr 1995. Die Zürcher Drogenszene Platzspitz wurde aufgelöst. Die drogenabhängige Sandrine (Sarah Spale) zieht mit ihrer zwölfjährigen Mia (Luna Mwezi) ins Zürcher Oberland. Mia rebelliert, schafft ihre eigene Welt und Ersatzfamilie (Kinostart: 5. Januar 2020).

Das ausgehende Kinojahr hat nicht nur viele Comic-Helden sowie Action- und Kriegsknaller («Midway» beispielsweise) auf die Leinwand gespült, sondern auch eine Reihe beeindruckender Filme mit femininem Touch. Die Herren der Filmschöpfung müssen sich umorientieren. Netflix («The Irishman», «Two Popes») hat die Branche aufgeschreckt, vielleicht auch aufgeweckt. Neue Sterne sind aufgegangen. Und Frauen erobern die Leinwand, nicht nur als schöne Staffage, Femme fatal oder Venus, sondern als kreative Wesen mit eigenen Wertvorstellungen, Bedürfnissen und Perspektiven – vor und hinter der Kamera.

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Veröffentlicht Dezember 2019


Ein tragisches Hollywood-Schicksal in «Seberg»:
Kristen Stewart verkörperte Jean Seberg, die überwacht und blossgestellt wurde. Brillant.
Eine Mutter sitzt ihrem Sohn im Nacken: Corinna Harfouch ist «Lara», die am 60. Geburtstag eine bittere Erkenntnis erfährt.
Eine Frau kämpfte bereits 2003 gegen Fake-News: Keita Knightley gibt «Official Secrets» preis. (von oben)

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«Der Tod gehört den Männern»


Von Frauenquote und Frauenbenachteiligung, Belästigung, Ausnutzung und Nötigung ist seit Monaten häufig die Rede. Ein Dokumentarfilm bringt es nicht nur an den Tag, sondern auf die Leinwand: Er heisst «Untouchable» und demontiert Hollywoods mächtigen Produzentenmogul: «The Inside Story of the Harvey Weinstein Scandal». Der Kerl, mehrfach des sexuellen Missbrauchs angeklagt, ist nicht mehr unantastbar. Frauen haben die Mauer des Schweigens durchbrochen. Noch gilt die Unschuldsvermutung, aber sein Ruf ist ruiniert und die männliche Machtdomäne in diesem Fall von Machtmissbrauch durchbrochen.

Doch das ist nicht unser Thema. Ich denke an Frauenpower vor und auf der Leinwand. Das Zurich Film Festival (ZFF) hat dazu eine Menge beigetragen. Man musste nicht lange suchen, um hier wirklich starke Frauengestalten, Geschichten und Regisseurinnen zu finden, abgesehen von den prämierten Stars Kristen Stewart und Cate Blanchett (Golden Eye bzw. Golden Icon). Wobei gleichwohl zu erwähnen ist, dass die «Twilight»-Ikone Kristen Stewart mit einem starken Part aufwartete in «Seberg». Sie verkörperte die Schauspielerin Jean Seberg («A bout de soufle») brillant. Nicht zu vergessen: Die Französin Julie Delpy stellte ihre siebte Regiearbeit vor: «My Zoe». Sie selbst agiert als Mutter, die um das Sorgerecht ihrer Tochter Zoe kämpft. Ein Horror, denn Zoe hat eine Hirnblutung erlitten und die Mutter geht aufs Ganze.

Zwei Frauen auf sich allein gestellt in Casablanca. Abla, alleinerziehende Mutter der achtjährigen Warda, betreibt eine Delikatessen-Bäckerin in der Altstadt. Eines Tages schneit ihr eine Fremde ins Haus, die hochschwangere Samia. Abla, seit dem Tod ihres Mannes verhärmt, gewährt der gestrandeten Samia eher widerwillig Gastrecht für ein, zwei Nächte und geht auf Distanz, bis Tochter Warda sie aufrüttelt. Und in diesem marokkanischen Spielfilm «Adam» fallen die Sätze: «Der Tod gehört den Männern. Den Frauen gehört wenig.» Gemeint ist die Beerdigung ihres Mannes, an der Abla nicht teilnehmen darf.

Frauen nehmen das Zepter des Handelns selber in die Hand, etwa die weissrussische Studentin Lena, welche illegale Geschäfte ihres Vaters (im Knast) weiterführt im Spielfilm «1986». Die unheilbare kranke Lily (Susan Sarandon) will auch das Ende ihres Lebens selbst bestimmen im Kreise ihrer Familie in «Blackbird». Ihr Name ist Legende: Renée Zellweger verkörpert den tragischen Glamourstar Judy Garland. «Judy» ist ein Biopic mit Schattenseiten. Einen ganz starken Part lieferte Corinna Harfouch im Mutter-Sohn-Drama «Lara». An ihrem 60. Geburtstag wird ihr Sohn Viktor, ein begnadeter Pianist, sein erstes Konzertmit einer Eigenkomposition in Berlin geben. Das Verhältnis zwischen Lara und Viktor ist gespannt, sie hat ihn immer wieder unter Druck gesetzt und ihre eigene Karriere aufgegeben. Am Ende muss sie eine bittere Lebenserkenntnis verkraften.

Man könnte die Liste starker Frauen im Kino weiterführen, doch eine sticht besonders ins Auge. Sie heisst Katherine Gun (sie war Gast am ZFF), arbeitete im Britischen Geheimdienst und wurde aus Gewissenbissen zur Whistleblowerin. Sie wollte beim Falschspiel der Amerikaner und Briten, einen Krieg gegen Saddam Hussein und den Irak wegen vermeintlicher Chemiewaffen zu legitimieren, nicht mitmachen. So kämpfte sie bereits 2003 gegen Fake-News. Gavin Hood hat diesen Fall von Zivilcourage, andere sagen Verrat, verfilmt mit Keira Knightley. «Official Secrets» ist ein fesselndes, engagiertes Stück Kino.

Da mutet eine Neuauflage des Gewalt-«Rambo» mit dem ewigen Krieger Sylvester Stallone geradezu lächerlich an. Macho-Spezies der Marke Rambo sollten ausgemustert werden. Aber solange Action und Gewalt im Kino regieren, genossen und konsumiert werden, werden Superhelden von Batman bis Bond weiterhin die Welt heimsuchen und retten. In diesem Sinn gehört der Tod/Gewalt wirklich den Männern.


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Veröffentlicht Oktober 2019


Markante starke Frauen auf der Leinwand (von oben):
Megumi Igarashi in «#Female Pleasure», Felicity Jones in «On the Basis of Sex», Jane Fonda in «Barbarella», Ursula Andress in «James Bond 007 – Dr. No», Halle Berry in «James Bond 007 – Die Another Day», Gal Gadot in «Wonder Woman», Rosa Salazar in «Alita: Battle Angel»  und Brie Larson in «Captain Marvel».

Breiner's Spot(t)light


Frauen bekommen Flügel


Es gibt Tage, da fliegen einem Frauen förmlich um die Ohren – im Mediendschungel, geprintet oder elektrisiert, vor Augen oder im Äther. Der Weltfrauentag am 8. März war so ein medialer Paukenschlag. Viel Lärm um viel? Hoffentlich. Was die wenigsten wissen: Besagter Tag fand erstmals 1911 statt. Das Thema, das Ziel: Wahlrecht, Gleichberechtigung, Emanzipation. 1975 erkoren die Vereinigten Nationen den 8. März zum Tag für die Rechte der Frau und den Weltfrieden. Das Bewusstsein ist geschärft, die Gleichberechtigung ist fortgeschritten, aber unvollendet – in unserer wie auch in anderen Zivilisationen und Kulturen. Und so wurde für den 14. Juni erneut ein Frauenstreik proklamiert. Das gab's schon mal 1991. Und nun sollen die Fäuste mit den lackierten Daumennägeln wieder sprechen – in der Schweiz!

Der Mann sieht's mit Befremden, Wohlwollen oder Sympathie. Frauenpower auf der Strasse, in den Medien (manchmal) und im Kino. Frauen verschaffen sich Gehör und Sicht. Der zurzeit erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm «#Female Pleasure» (siehe Filmkritik) führt vor, wie sich Frauen aus männlicher Umklammerung und Drangsale befreien, Fesseln sprengen und ihre Stimme erheben.

Wie mühsam der Weg zur Gleichberechtigung war und ist, zeigt auch der Spielfilm «On the Basis of Sex» (siehe Filmkritik). Nein, mit Sex hat dieser Justizfilm mit einer überragenden Felicity Jones als Ruth Βader Ginsburg (RBG) nichts am Hut, sondern mit Geschlecht und Ungleichheit vor dem Gesetz.

Der Männlichkeitswahn grassiert zwar weiterhin – auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene (siehe Totalitäten wie Trump, Putin und andere Herrschaftskonsorten) – aber Frauen erobern sich jetzt zumindest im Kino männliche Positionen. Zugegeben, es gab Amazonen und Heldinnen wie die Weltraumagentin «Barbarella» (1968), verkörpert durch Jane Fonda, bereits vor 50 Jahren. Meistens dienten die augenfälligen Bond-Girls freilich als Nebenfiguren (Ursula Andress), Konkurrentinnen (Grace Jones) oder Gespielinnen (Sophie Marceau, Halle Berry, Eva Green, Olga Kurylenko u.v.a.).

So richtig in Fahrt sind die Superfrauen aus dem Comicreich erst in jüngster Zeit gekommen. «Wonder Woman» (2017) aus dem Comic-Grossverlag DC machte den Anfang. Die Amazonen-Prinzessin musste aber über 75 Jahre warten, bis sie ihren eigenen grossen Kinoauftritt hatte. Die Israelin Gal Gadot verkörperte die attraktive Kriegerin. Vor kurzem machte die Manga-Ikone «Alita» die Leinwand unsicher. «Battle Angel» heisst der Streifen mit Rosa Salazar und Christoph Waltz. Das Cyber-Punk-Abenteuer ist visuell spektakulär, mit wilden Kampfszenen gespickt, von Robert Rodriguez im Stil eines James Cameron inszeniert, der die Filmrechte am Manga-Stoff «Alita» bereits vor 20 Jahren gekauft hatte.

Richtig grosse Kasse macht nun aber ein Comicprodukt aus dem Marvel-Universum: «Captain Marvel» (siehe Filmkritik). Allen Unkenrufen zum Trotz hat die «Kapitänin» auch männliche Besucher massenweise angezogen. Die Powerfrau, die von der Pilotin Carol Danvers (Anno 1995) zu Captain Marvel (oder Mar-Vell) mutierte, ist eine Kampfmaschine mit ungeheuren Energiekräften. Sie hat menschliches (irdisches), aber auch Kree-Blut, also ausserirdisches, in ihren Adern, bestens zur Schau gestellt von Brie Larson. Zur Vertiefung empfiehlt sich das Comicbuch «Captain Marvel. Die ganze Geschichte» (panini comics).

Der weibliche Bond im Marvel-Space-Universum macht also Kasse – und wie! Rund 150 Millionen Dollar soll das explosive Spektakel gekostet und am Startwochenende locker eingespielt haben. Weltweit meldet die Walt Disney Company Einnahmen von 455 Millionen Dollar, in den USA 153 Millionen und die Schweiz verbuchte 1,2 Millionen Franken Umsatz.

Hollywood, hör die Signale: Auch Frauen können Kasse machen. Nebenbei, interessant ist, dass sich Oscar-Preisträgerin Brie Larson («Room») nicht zu schade war, in die kriegerische Comicwelt einzutauchen. Die Kämpferin für Gleichberechtigung hat Kampftraining absolviert, sich selbst herausgefordert und in der 21. Marvel-Verfilmung einen Kraftakt für die Frau geleistet, auch wenn wie meistens im Actiongenre Fäuste, ausserirdische Kräfte und gigantische Waffen wüten. Gleichwohl, ein Wendepunkt im Kino?

Tatsache ist aber, dass auch wenn die Zahl der Frauen weltweit zunimmt, doch allzu viele Kaderpositionen noch von Männer besetzt und verteidigt werden. Die Gleichberechtigung bleibt ein Ideal, das noch zu erobern ist. Der Tag der Gleichstellung der Frau am 26. August setzt ein weiteres Zeichen. Auch wenn Frauen mal abheben, werden sie cleverer sein und nicht abstürzen wie einst der männliche Himmelsstürmer Ikarus.


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Veröffentlicht März 2019


Frauen zeigen Männern die Stirn und nehmen das Heft des Handelns selber in die Hand.
Von oben: Witwen entwickeln kriminelle Energie im Thriller «Widows»; Amazonen machen mobil im Fantasyfilm «Wonder Woman»; Claire Foy agiert als «The Girl in the Spider's Web», und die drahtige Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) führt als Einzelkämpferin Krieg gegen die lokale Aluminiumindustrie in «Woman at War».

Breiner's Spot(t)light


Frauen sind die besseren Männer


Die Zeiten sind vorbei, als Männer selbstherrlich und -herrisch auf Raubzug gingen, den toughen Macker markierten und glaubten, Action für sich allein gepachtet zu haben. Jetzt haben Frauen die Actionszene erobert, entwickeln kriminelle Energie und führen ermittelnde Mannsbilder an der Nase herum. Was soll frau auch machen, wenn der Partner bei einem Raubzug in eine Falle läuft, das Zeitliche segnet und die eigene Existenz bedroht ist? Frau nimmt das Heft des Handels selber in die Hand und entwickelt räuberische Energie. Wie das geht, zeigt Steve McQueen in seinem rasanten Witwenthriller «Widows».

In griechischen Mythologien zogen Frauen ins Feld. Kämpferische Amazonen haben längst auch in Comics (Marvel) und Fantasyfilmen wie «Wonder Woman» (2017) Blutspuren hinterlassen. Die hieb- und stichfesten Amazonen bleiben meistens weiblich ausgestattete Kopien der Muskelhelden.

Als Punkerin im Untergrund hat Lisbeth Salander in der «Millennium»-Trilogie Fernseh-und Kinopublikum erobert. Nun agiert Claire Foy in der Rolle der Frau, die es auf Männer abgesehen hat. Doch der vierte Teil, von David Lagercrantz in der Nachfolge von Stieg Larsson verfasst, kann nur noch Kinogänger überzeugen, welche nicht mit Noomi Rapace als Hackerin mitgefiebert haben: «The Girl in the Spider's Web» ist ein gradliniger Actionfilm, dem freilich Doppelbödigkeit und Düsternis abgehen. Eben ein Sequel.

Besser gefällt mir eine Einzelkämpferin in Island, die mit Pfeil und Bogen gegen Konzerne zu Felde zieht: «Woman at War» setzt sich dabei nicht nur für die Umwelt, sondern auch für eine Adoption ein. Wer käme hierzulande schon auf eine solche (filmische) Idee? Wer wagt eine Geschichte mit schrägen Heldinnen?

Tragische unglückliche Frauen besetzen die Leinwände eher mehr – von der zweifelnden Laborärztin im Schweizer Spielfilm «Der Unschuldige» bis zur verliebten Schwester im Liebesdrama «Glaubenberg». Fazit: Die Frauenquote steigt auch im Kino!


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Veröffentlicht Dezember 2018


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