Hof hält Hof: Familientreffen der Filmschaffenden und Filminteressierten. Der künstlerische Leiter Thorsten Schaumann beim täglichen Breakfast Talk. (Bilder: Peter Meister; Andreas Rau)


55. Internationale Hofer Filmtage 2021

Kunstdiebe, Emigranten und Trümmermädchen

Würschtelstände gehören ebenso dazu wie Fussball, Smalltalk auf der Gasse und plüschige Kinos. Alljährlich feierte das Städtchen Hof an der Saale (Oberfranken), Kino und seine Protagonisten. Und Preise gibt's auch bei den 55. Internationalen Hofer Filmtagen (26. bis 31. Oktober 2021): Erstmals wurde ein Filmkritikerpreis verliehen, und der ging an den Schweizer Marc Wilkins und sein Migrantendrama «The Saint of the Impossible», eine Dschoint Ventschr Produktion.

Vor 55 Jahren wurde es ins Leben gerufen, das kleinste Filmfestival Deutschlands. Heinz Badewitz hiess einer der Gründungväter der Hofer Filmtage. Ab 1967 reisten Cineasten und Filmschaffende ins Frankenland, um das Kino, Filmwerke, Regisseure, Schauspieler und Schauspielerinnen zu feiern. Er war der «Sommelier und Meteorologe des deutschen Films«», wie Alfred Holighaus in seiner Rede anlässlich des Tods des legendären Hofer Festivalmachers 2016 formulierte.
Der Nachfolger wurde Thorsten Schaumann. Seit 2017 ist er künstlerischer Leiter, dynamisch und engagiert. Auf der Kinobühne ist er Animator, Derwisch und Leitwolf zugleich. «55 Jahre und kein bisschen leise. Das grosse Treffen der Filmfamilie war mehr als intensiv. So viele Gespräche zwischen Kino, Bratwurst und Fussball von Person zu Person wurden sicherlich schon lange nicht mehr geführt und waren eine echte Inspiration», blickt Schaumann auf die Filmtage 2021 zurück.

Ein beliebter Nebenschauplatz bei den Filmtagen ist das Fussballspiel. Seit langer Zeit gewann beim traditionellen Kickevent mal wieder das Team der Filmschaffenden (FC Filmwelt) gegen eine einheimische Auswahl (FC Hofer Filmtage) mit 4:2. Trotz Corona-Sicherheitsmassnahmen (3Gplus) besuchten 10 000 Kinofreunde die diversen Vorführungen in Hof. Ein bemerkenswerter Erfolg.
«Home of Films» hiess das Motto. Herzstück sind Kurz- und Langfilme aus dem deutschsprachigen Raum, «veredelt» mit internationalen Produktionen wie beispielsweise «Zeros and Ones» von Abel Ferrara, dem eigenwilligen Filmschöpfer aus New York, der in Hof eine Master Class leitete.

Die wechselvolle und reiche Geschichte der Filmtage wurde natürlich auch mit filmischen Erinnerungen gefeiert, mit den «HoF Classics». Da gab’s ein Wiedersehen mit Filmen wie Jim Jarmuschs «Stranger Than Paradise» (1984), Doris Dörries' «Männer» (1985), Christoph Schlingensiefs «Das deutsche Kettensägen Massaker» (1990) oder dem Schweizer Dok-Klassiker «E nachtlang Füürland» (1981).
Prompt war es Clemens Klopfenstein (Buch, Regie, Kamera, Schnitt), der mir als erster bekannter Hof-Gast über den Weg lief. Eine Ehrung in Hof: Sein «Füürland»-Film war quasi Geburtshelfer, heisst Auslöser der Geburt des Filmverleihs Pandora vor 40 Jahren in Hof. Andererseits hat man in Hof 2021 die Gelegenheit beim Schopf gepackt und den Bieler, der seit 40 Jahren in Umbrien lebt, als Jury-Mitglied zu berufen. Natürlich hat der quirlige Kreativmann wieder einiges vor. Clemens Klopfenstein baut und malt (Fresko), experimentiert, filmt und arbeitet am Langspielfilm «Das Ächzen der Asche». Ausserdem ist der rührige Filmschaffende prominent an den Internationalen Kurzfilmtagen in Winterthur (9. bis 14. Nobvmber) mit drei Filmen vertreten (14. November, 16.30 Uhr).

Über 130 Filme waren in Hof zu sehen – in Kinosälen, aber auch im Kino Bus, der aus dem Vogtland angereist war. Im seinem Oldtimer (4 Plätze) lud Matthias Ditscherlein zu Kurzfilmen ein, um so zu einem wirklichen Kinobesuch zu animieren. Welche Filme soll man aus der reichhaltigen Premierenauswahl herauspicken? Klar, der Eröffnungsfilm und Erstling «Das schwarze Quadrat» von Peter Meister. Sein Kinostück bot ein buntes Programm quer durch die Genres: Gaunerkomödie, Showsatire -und Kunstpersiflage, Liebesschmalz und Kreuzschiffkitsch – schräg, oft übertrieben, klamaukig und komisch. Die Geschichte: Zwei Kunstdiebe (Bernhard Schütz und Jacob Matschenz), die unfreiwillig als Imitatoren von Elvis und David Bowie an Bord auftreten müssen, sorgen für Turbulenzen um das berühmte Kunstwerk «Das schwarze Quadrat» von Kasimir Malewitsch, Das wurde vom Räuberduo gestohlen und soll für 60 Millionen verkauft werden. Tatsächlich existiert das Gemälde in mehreren Variationen (in Moskau, St. Peterburg). Besagtes Diebesgut wurde an Bord vervielfältig und irritiert Diebe, Fälscher wie Jäger: Das bringt einige Leute auf Trab. Die Bar-Pianistin Mia (Pheline Roggan), die smarte Kunstdiebin Martha (Sandra Hüller), Cruise-Managerin Helen (Victoria Trauttmansdorf) und ihr treuherzige Sekuritas-Partner Bernhard (Wolfgang Packhäuser) mischen kräftig mit. Das humoristisch-kauzige Katz-und-Mausspiel, das jeglichen Tiefgang vermeidet, ist recht kurzweilig, wenn auch auf biederem Niveau. Es wurde in Hof mehrfach preisgekrönt: Preis der Filmkritiker für die beste Produktion (Frisbeefilms) sowie Förderpreis Neues Deutsches Kino.

Szenenwechsel. Eine Peruanerin lebt mit ihren beiden Söhnen illegal in New York. Ständige Angst vor Entdeckung und Abschiebung begleiten den Alltag der Kleinfamilie, die sich mühsam über Wasser hält. Doch der Glaube an die Heilige Rita, Helferin in aussichtslosen Nöten, gibt ihnen Hoffnung. «The Saint of the Impossible» vom Schweizer Marc Wilkins beschreibt ungeschminkt ein Schattendasein und «mit hoher Authentizität und emotional nachvollziehbar das Schicksal von Millionen Geflüchteter und illegalen Migranten», so die Jury des Filmkritikerpreises, welche den Regisseur Wilkins auszeichnete.
Erwähnenswert sind weitere Schweizer Beiträge an den Filmtagen: «Atlas» von Niccolò Castelli, ein Film, der schildert, wie ein Terroropfer gegen seine Traumata kämpft (lief in unseren Kinos), «Nachbarn» von Mano Khalil, der Konfrontationen und Nächstenhilfe in einem syrischen Grenzdorf beschreibt (auch aktuell im Kino), schliesslich «Prinzessin» von Peter Luisi, der das tragische Verhältnis von Nina und ihrem Onkel Josef beleuchtet – von der Kindheit bis zur Drogenphase des Twens in der Ukraine.

Wie immer an Filmtagen und Festivals wechselten Licht mit Schatten, Enttäuschungen mit tollen Überraschungen, Irritationen mit Begeisterung. Starke Frauen standen oft im Fokus. Etwa beim Spielfilm «Los(ge)lassen» von der Rumänin Brigitte Drodtloff. Drei Frauen auf engem Raum in einer Münchner WG, durch einen Schneesturm isoliert. Hinzukommt die kratzbürstige Mutter einer Bewohnerin. Man geht sich auf die Nerven, zofft, giftet. Emotionen explodieren. Alina ist hochschwanger und auf die anderen angewiesen. Spannt Frau zusammen? Ein dichtes Kammerspiel unter Frauen mit Verve und Diskussionskraft.

Ein anderer Fall ist das starke düstere Drama «Trümmermädchen» von Oliver Kracht. Nachkriegszeit in Deutschland. Die ins Abseits gestellte Schauspielerin Gloria, die bei den Nazis Karriere gemacht hat, organisiert einen «Fräuleinkurs». Ihre «Schülerinnen» müssen parieren, sie will sie fit machen, die eigene Freiheit zu gewinnen, Männer nicht nur zu widerstehen, sondern in die Schranken zu weisen und platt zu machen. Die «Trümmermädchen» sind nur auf den ersten Blick emanzipatorische Kämpferinnen. Krachts Film-Kracher ist weit mehr als krude Frauen- Abrechnung. Er ist kein historischer Rückblick, keine Feministen-Proklamation, aber starker Ausdruck der Befreiung mit aktuellen Bezügen: Wo ist diese kollektive Kraft der «Trümmermädchen» in der modernen männerdominierten Gesellschaft heute geblieben?
Ein Beispiel ungewohnter, spontaner Machart ist das Kammerspiel «Landjäger« der Hamburgerin Lilli Thalgott. Eine Geburtstagsfeier von Martin (60) in einem abgelegenen Landhaus. In der vermeintlichen Idylle läuft einiges aus dem Ruder: Da wird ein Schwarzer von einem scheinbaren «Landjäger» gejagt, schäkert ein TV-Star mit seiner 30 Jahre jüngere Assistentin, fetzt sich das Gastgeberpaar. Am Ende ist nichts mehr, wie es war. Der Clou: Der Spielfilm wurde total improvisiert. Es wurde gedreht auf Teufel komm heraus, die Regisseurin vertraute voll auf Spontanität und Phantasie der Protagonisten. Sehr anregend, geistreich und amüsant.
Hof hält auf seine Weise Hof, ist und bleibt Heimstätte der Produktionen jenseits des Mainstream mit Fokus auf Produktionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, wobei viele Arbeiten der Filmhochschulen hier ihre Premiere feiern können. Besondere Aufmerksamkeit gilt Regisseuren, gelegentlich Schauspielern. Sie werden mit Retrospektiven geehrt – von Brian De Palma (1976) bis Samir (2019). In diesem Jahr stand der Schauspieler Joachim Król im Mittelpunkt. Darüber mehr in einem weiteren Beitrag und Interview.


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Veröffentlicht November 2021