Luke Gasser (links), Obwaldner Regisseur und moderner Kämpfer gegen die Obrigkeit; sowie Adrian Furrer, der Schauspieler, der Pfarrer wurde. (Bilder: rbr, privat)


Interview Luke Gasser

«Tell ist eine moderne Figur»

Das Interview mit Schauspieler Adrian Furrer finden Sie weiter unten.
Zur Filmkritik «Tell – Jagd auf ewig»


Er ist ein Eidgenosse von echtem Schrot und Korn: Wild, entschlossen, rigoros und unbeugsam: Wilhelm Tell oder Wilko vom Tellen, wie er im jüngsten «Tell»-Film heisst. Der Obwaldner Luke Gasser hat ähnliche Eigenschaften. Er hat das Drama «Tell – Jagd auf ewig» verfilmt – gegen alle Widerstände und geradezu ohne Unterstützung der Innerschweizer Kantone. Wir sprachen mit dem hartnäckigen Gesellen aus Obwalden über die Faszination Tell, den Schweizer Heldenmythos, die schwierigen Produktionsbedingungen und Innerschweizer Boykott.

Luke, was hat dich gereizt, diesen alten, verklärten Nationalhelden wieder auf die Leinwand zu holen?
Luke Gasser: Eben, weil er alt und verklärt ist. Es hat auch mit diesem Altdorfer Denkmal Tell zu tun, das sehr im Geist des späten 19. Jahrhundert verwurzelt ist. Tell ist eigentlich eine moderne Figur, ebenso seine Geschichte, auch wenn sie verstaubt scheint.

Er stand auf einem Denkmal, aber du hast ihn nicht gestürzt …
Nein. Aber Tell ist ein Mythos, und jede Zeit, jede Generation hat das Recht, ihn für sich zu interpretieren.

Dein Tell ist anders, ein radikaler Einzelgänger, ein Guerillakämpfer …
Das war er irgendwie von Anfang an. Das ist erstaunlich, weil die Schweizer das Bild vom «einig Volk von Brüdern» beschwören, wo die Solidarität grossgeschrieben wird. Tell ist im Grunde genommen aber ein totaler Maverick (aus dem Walisischen: Aussenseiter und tapferer Held. Red.), der einen privaten Rachefeldzug unternimmt. Bereits schon im «Weissen Buch» von 1470 ist er eher ein Einzelgänger.

Was soll uns dieser Tell heute sagen?
Er steht für Freiheit und Unabhängigkeit, und beides ist selten so angegriffen worden wie jetzt. Es ist mir unerklärlich, dass Intellektuelle und solche, die sich dafür halten, dies nicht erkennen wollen. Es gibt eine schleichende Beraubung der Freiheit. Ich fürchte, die Corona-Restriktionen könnten lediglich ein Vorgeschmack darauf sein, was noch auf uns zukommen wird.

Bei der Premiere in Emmen hat Alt-Bundesrat Ueli Maurer einen Vergleich zwischen dir und Tell gezogen. Du seist ein moderner Tell, ein Kämpfer gegen die Obrigkeit. Gemeint war der Boykott der Innerschweizer Kantone, die deinen Film nicht unterstützt haben. Was ist da abgelaufen?
Das ist eine lange Geschichte. Man hat mir vorgeworfen, mein Dossier sei nicht professionell. Die Vorwürfe waren haltlos, mein Dossier korrekt, wie auch das BAK bestätigte. Nach Jahren räumte das der Obwaldner Regierungsrat das behördliche Versagen sogar schriftlich ein - ohne den begangenen und eingeräumten Fehler aber korrigieren zu wollen.

Wer steckte denn dahinter?
Das musst Du Albin Bieri, Geschäftsführer der Innerschweizer Filmfachgruppe (IFFG), fragen. De facto und de jure hat er gelogen und manipuliert. In einem funktionierenden Rechtsstaat müssten derartige Gestalten suspendiert werden, denn er und die IFFG haben auch ein zweites Mal falsche Aussagen gemacht.

Warum waren die IFFG-Beurteilungen so wichtig?
Die Kulturkommissionen in den Kanonen verlassen sich in der Regel blind auf die Empfehlungen der Innerschweizer Filmfachgruppe. Zudem sind IFFG-Empfehlungen beim Kanton Zug bindend. Ich glaube, bewusst gemachte Falschaussagen oder nicht zurückgenommene Falschaussagen, die zu einer Reputationsschädigung und finanziellen Schädigung führen, sind eigentlich ein krimineller Akt. Am Ende kam ein Satz der Obwaldner Kulturdirektion heraus, die das Ausmass des Geschwurbels illustriert: Die Entscheide der IFFG zum Tell-Projekt seien zwar falsch, unprofessionell und nicht nachvollziehbar, aber nicht unkorrekt.

Die Obwaldner Regierung müsste eigentlich deine Interessen vertreten ...
Hat sie aber nicht. Und damit haben sie alle gesetzliche Aufsichtspflicht und ihren Amtseid verletzt. Das Drama hat den Kanton eine Stange Geld gekostet, weil ich keine Ruhe gebe, bis die Sache richtiggestellt wird. Es geht hier um ein sehr wichtiges Prinzip.

Und wie ging es mit dem Schweizer Fernsehen?
Das war eine weitere Groteske, die da abgelaufen ist. Urs Fitze passt das Projekt nicht. Er arbeitete von 1989 bis 2022 in unterschiedlicher Funktion beim SRF. Mein Projekt wurde zuerst nicht einfach abgelehnt. Ich habe dann das Drehbuch den Wünschen entsprechend umgeschrieben, doch es wurde trotzdem abgelehnt. Ich habe dann irgendwann erfahren, dass die angegebenen Argumente gar nicht der Grund für die Ablehnung waren. Es folgten weitere faule Ausreden, schliesslich kam es zu mehreren Wortbrüchen, auch von Seiten der SRF-Programmdirektorin Nathalie Wappler. Der Grund für die immer negativere Haltung ist mir völlig schleierhaft, vermutlich aber schlichte Rechthaberei. Am Ende bescheinigte man uns ein antiquiertes Frauenbild zu vermitteln. Sämtliche Rollen seien schlecht gespielt und die Qualität des Films so lausig, dass man es auf SRF niemals zeigen werde. Wer unseren Film sieht, wird den SRF-Realitätsverlust sofort erkennen.

Dieses Verhalten sowohl von Seiten der Kantone als auch vom Schweizer Fernsehen zeugt doch von Borniertheit, Ignoranz und Arroganz …
Absolut. Aber spätestens seit Corona ist das so ein Standard. Man sagt: Wir sehen das eben anders.

Zurück zu deinem wuchtigen Film. Am Ende wird der Jäger Tell (Tellen) zum einsamen Wolf. War es von Anfang klar, dass du selber die Hauptrolle übernimmst?
Das war überhaupt nicht klar. Ich wollte vermeiden, dass man sagt: Ich wäre so eingebildet, auch noch Tell zu sein. Der Tell sollte schon ein Innerschweizer sein, ein Deutscher sollte ihn nicht spielen. Das käme nicht gut. Die Suche hier und dort brachte nichts. Andere haben mich dann überredet, die Rolle selber zu übernehmen.

Dein Film bietet Historie und Abenteuer, Action und Legende. Wie würdest du deinen Film definieren?
Ein Drama.

Der Film ist bodenständig, sehr irdisch, obwohl es Hinweise auf Überirdisches gibt, etwa als der Weisse Hirsch auftaucht und Tells Frau Heiki die Natur beschwört …
Ich behaupte nicht, dass Heiki diesen Sturm heraufbeschwört hat, aber man kann es so interpretieren. Und der Weisse Hirsch ist ein Symbol für Kraft, die Tell innewohnt. Er ist ihm schon als Kind begegnet.

Wo fanden die Dreharbeiten 2018/19 statt?
Überwiegend in Obwalden. Da gibts noch geile Wälder. Ausserdem in Graubünden, Innenaufnahmen in Schloss Hallwyl und in der Ostschweiz.

Wie bist du mit den Dialekten umgegangen?
Ich habe so eine Art Innerschweizer Esperanto gesucht. Wir haben alte Ausdrucke verwendet, auch deshalb wurde der Film untertitelt. Seit «Tschugger» wissen wir, dass das notwendig ist.

Dir als Musiker ist die Musik im Film wichtig. Bisweilen tönte es etwas Schottisch. War der Dudelsack dabei?
Das war die Sackpfeife. Die Eidgenossen sind mit Sackpfeifen in die Schlacht gezogen. Dazu kommen im Film Leier, Schalmei und Geige. Das waren Instrumente, die dazumal gespielt wurde, auch wenn das heute irisch oder schottisch erscheinen mag.




Interview mit Schauspieler Adrian Furrer


«Beide wollen Menschen berühren»


Manch einem könnte das Gesicht bekannt vorkommen – von Film, Bühne oder Bildschirm. Der Schauspieler Adrian Furrer, in Marthalen geboren, in Henggart aufgewachsen, spielte im Theater Neumarkt, in Hannover und an der Wiener Burg. Aktuell wirkt er im neusten «Tell»-Film von Luke Gasser mit. Jetzt hat er die Bühne gewechselt und ist nach einem Theologiestudium Pfarrer von Henggart geworden. Wir sprachen mit dem Mann zwischen zwei Welten.

Herr Furrer, es sind bereits drei, vier Jahre her, dass Sie im „Tell“-Film mitgewirkt haben. Wie sind Sie zur Rolle als Walther Vürstand eigentlich Walter Fürst von Uri, gekommen?
Adrian Furrer: Luke hat mich angefragt. Wir kannten uns von einer Preisverleihung und einer kleinen gemeinsamen Arbeit.

Wie sind Sie mit dem Nationalhelden Tell aufgewachsen?
Als Teil der kollektiven Erzählung über die Schweiz war er auch für mich als Kind keine unwichtige Figur.

Haben Sie mal Tell gespielt?
Nein, den nicht, aber in Hannover habe ich in Schillers Drama Ulrich Rudenz gespielt, den Neffen vom alten Attinghausen.

Wie sehen Sie den Wandel dieser idealisierten Figur, die zu einer Schweizer Marke geworden ist?
Das ist schon komisch. Die Figur wurde vereinnahmt, verliert seine Ursprungskraft und wird zur Marke des Schweizertums.

Tell – halb Fiktion, halb Wirklichkeit. Was meinen Sie?
Als Kind war für mich klar: Tell hat gelebt. Später war für mich aber die Frage, ob er eine historische Figur war, nicht mehr von Belang. Interessant fand ich dann aber, wie unterschiedlich diese Figur und dieser Stoff adaptiert werden kann. Vom Symbol für nationalkonservatives Schweiztum bis zur Galionsfigur einer linksalternativen Zeitschrift in den 1980er.

Vom Fall Tell zu Friedas Fall. Sie haben Anfang September die Dreharbeiten zu «Friedas Fall» abgeschlossen. Welche Rolle spielen sie in diesem historischen Drama?
Eine Nebenrolle. Ich gehöre zum bürgerlichen St. Gallen, bin Grossrat und der Zahnarzt der Hauptfigur

Hauptberuflich sind Sie jetzt Pfarrer und besetzen die Pfarrstelle in Henggart, Ihrem Heimatort. War das ein alter Wunsch?
Pfarrer war als Jugendlicher schon mein Berufswunsch, und ich hätte wohl Theologie studiert, wenn es mit der Schauspielschule nicht geklappt hätte.
Die Möglichkeit des Quereinsteigerstudiums war Anlass, mich zu immatrikulieren, mit der Idee neben dem Schauspielerischen auch im weitesten Sinn pastoral zu arbeiten an der Schnittstelle Kunst und Theater.

Was war dafür Ihr Schlüsselerlebnis?
Ein Praktikum in einer Kirchgemeinde war der Auslöser, mich damit zu beschäftigen, hauptberuflich als Pfarrer zu arbeiten, und mit dem Vikariat wurde es für mich dann klar, dass ich "umsteige". Ein Entscheid nicht ohne Wehmut, aber mit dem Wissen, dass ich den neuen Beruf mit Überzeugung und gerne ausüben werde, ich ihn zutiefst sinnvoll finde, und dass er mir und meinen Fähigkeiten nicht fern liegt.

Hätten Sie Gewissenskonflikte, wenn Sie den Teufel spielen müssten?
Ich möchte nicht für zu viel Aufsehen sorgen, und das könnte dann der Fall sein. Solche Rollen suche ich jetzt nicht. Ich möchte, wie man sagt, das Amt nicht beschädigen.
n.

Wie schätzen Sie Ihre Aufgabe als Seelsorger ein?
Ich bin für die Menschen da, für ihre Fragen, für ihre Sorgen und Probleme, und manchmal auch für die Freuden – und ich will für jeden gleich da sein.

Ist der Schauspieler dem Pfarrer manchmal im Weg beim Gottesdienst?
Nein, im Gegenteil. Ich will keine Show machen und nehme mich manchmal fast zu sehr zurück, ich will nicht manipulieren. Es ist aber sicher von Vorteil, keine Angst zu haben, vorne zu stehen und etwas zu sagen. Wichtig ist ja, dass man grosses Interesse an der Geschichte von Menschen hat. Das ist eine Voraussetzung für beide Berufe, dass man sich von Menschen und ihren Geschichten berühren lassen kann.

Die Kirchen sind meistens menschenleer. Die Kirche kämpft mit schwindenden Mitgliedern. Viele Menschen sind ungläubig geworden. Wie kann die Kirche gegensteuern?
Die Kirche muss wissen, was ihr Zentrum ist und sich die Botschaft des Glaubens immer wieder auch selber bewusst machen. Und sie darf nicht vergessen, wie unabdingbar wichtig diese Botschaft für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist.

Was kann ein Gottesdienst heute leisten?
Er gibt den Menschen die Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. Man sollte die Räume so gestalten, dass die Leute, welche diese Räume besuchen, sich nicht fremd, sondern eingeladen und beheimatet fühlen. Der sakrale Raum kann so zu einem heilsamen Raum werden. Die Menschen sollen sich angenommen fühlen.

Wann treten Sie wieder vor die Kamera oder ist die Kirche die einzige Bühne, auf der Sie aktiv sind?
Ich habe nochmals zwei Drehtage im September für die dritte Staffel der TV-Serie «Neumatt», wo ich bezeichnenderweise einen Pfarrer spiele. Dann gibt es eine Wiederaufnahme des Stücks «Der Weibsteufel» Ende September in der Kellerbühne St. Gallen und die Wiederaufnahme von «Tribute to Monty Python» im Theater Rigiblick, Zürich (26. Oktober und 30. November 2023).


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Veröffentlicht September 2023