Eröffnungsfilm in Solothurn 2021: «Atlas» – Allegra (Mathilda De Angelis) hat einen Terroranschlag in Marrakesch überlebt und versucht wieder Fuss zu fassen. (Imagofilm)


56. Solothurner Filmtage – 20. bis 27. Januar 2021

Filme ohne Publikum –
mit starker Frauenpräsenz

Corona hat auch die 56. Ausgabe der Solothurner Filmtage infiziert und gebeutelt, heisst zu drastischen Einschränkungen gezwungen. Die Schweizer Werkschau an der Aare findet zwar statt, aber nur online. Auch an der Aare bleiben die traditionellen Abspielstätten auf Geheiss des Bundes geschlossen. Gleichwohl versuchen Direktorin Anita Hugi und ihr Team, den Schweizer Film zu protegieren und bewusst zu machen.

Oberflächlich gesehen, finden die Filmtage an der Aare wie alljährlich im Januar statt, doch die Voraussetzungen sind alles andere denn kinogerecht, weil es eigentliche Kinovorstellungen nicht gibt – infolge Corona und staatlichen Massnahmen. Die Kinos sind geschlossen. Das Publikum muss draussen bleiben. So gehen die Filmtage online, heisst: Filmgespräche, Preisverleihungen und Filme können online abgerufen und «erlebt» werden. Täglich startet eine Auswahl von rund 20 neuen Schweizer Filmen auf der Solothurner Website, die dann 72 Stunden zugänglich sind. Die Direktorin Anita Hugi bleibt optimistisch und erklärt: «Unser Auftrag ist e, das Schweizer Filmschaffen sichtbar zu machen; das gilt heute mehr denn je! Wir haben trotz der aktuellen Herausforderungen nicht klein beigegeben, sondern für die Präsentation und Vermittlung des aktuellen –besonders starken! – Filmjahrgangs neue Formen gefunden.»

«Kultur ist kostbar»
Die Eröffnung am 20. Januar 2021 wird vom Schweizer Fernsehen (SRF, RSI und RTS sowie auf der Website der Solothuner Filmtage) live übertragen und ist auf der Solothurner Website zu sehen. «Die neue Website ist ein Bildwurf in die Zukunft», ist Anita Hugi überzeugt. «Sie zeigt und vermittelt den Schweizerfilm auf attraktive und moderne Art.» Ehrengast ist heuer Bundespräsident Guy Parmelin, er wird traditionell wie auch Direktorin Anita Hugi und Filmtagepräsident Felix Gutzwiller zur Eröffnung sprechen und Optimismus ausstrahlen. Präsident Gutzwiller unterstreicht: «Ein weiteres Zeichen setzen wir damit, dass unsere Online-Edition keine Gratisvorführungen vorsieht, sondern die Filmplattform eine Bezahlangebot ist – Kultur ist kostbar.» Hugi appelliert einmal mehr dafür, die Kultur, speziell die Filmkultur, zu stützen und zu fördern: «Die verbindende Kraft von Kultur ist heute wichtiger denn je.»
Erstmals wird eine Tessiner Filmproduktion (Imagofilm) die Filmtage eröffnen: «Atlas» von Niccolò Castelli. Der Luganeser Filmautor greift eine wahre Begebenheit von 2011 auf. Eine Bombe wurde dazumal auf dem Markt von Marrakesch gezündet. 16 Menschen starben, darunter auch zwei Tessiner. Ihre Freundinnern überlebten schwer verletzt. Das Drama beschreibt das Schicksal einer der überlebenden Frauen, «Allegra», die aus der Bahn geworfen wurde. Im Kern dreht sich der Spielfilm um Angst und Unsicherheit, ein Thema, das in aktuellen Corona-Zeiten höchst akut ist. «Niccolò Castelli öffnet einen Raum für kollektive Gefühlswelt unserer Gegenwart und fragt: Wie gehen wir mit einem plötzlichen Eingriff in die gewohnten Lebensrealität um?», beschreibt Direktorin Anita Hugi «Atlas». An der der internationalen Koproduktion war die Tessiner Firma Imagofilm wesentlich beteiligt, von Villi Hermann begründet und geleitet. Ihm ist die diesjährige Retrospektive in Solothurn gewidmet (siehe Interview mit Hermann).

Stimmen von und für Frauen
Vor 50 Jahren wurde das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt. Solothurn nimmt den Anlass auf, und so signalisiert das aktuelle Puzzle-Plakat: Frauen stehen an vorderster Front an den Filmtagen 2021 – von der Direktorin bis zu verschiedenen Themen und Schwerpunkten. Wegweisende Filmerinnen der Jahre 1971 bis 1981 und ihre Arbeiten werden gewürdigt – von Lucienne Lanz, Gertrud Pinkus und June Kovach bis Isa Hesse-Rabinovitch. Wiederaufgeführt werden aus diesem Anlass Filme wie «Lady Shiva oder Die bezahlten nur meine Zeit» (1974), «Behinderte Liebe» (1979) oder «Sirenen-Eiland» (1981).
Die neue Sektion «Im Atelier» bietet in Solothurn Live-Begegnungen, die Workshops «Who writes his story?» und «Meet the Women behind the Camera and the Sound on Set».

Honorarpreis für Kinoaktivist
Traditionell werden in Solothurn die Auszeichnungen Prix de Soleure, Prix du Public und neu der Opera Prima verliehen, ein Preis für Schweizer Debütfilme – selbstredend alles online. Der Prix d'honneur geht 2021 an den Kinoaktivisten Frank Braun, der die Zürcher Kinos RiffRaff und Houdini und das Luzerner Bourbaki leitet. Der Ehrenpreis, honoriert mit 10 000 Franken, würdigt Brauns «inspirierenden Einsatz für den Film und das Kino als Ort der Begegnung», heisst es in der Begründung.
Um den Prix de Soleure, dotiert mit 60 000 Franken, wetteifern zwölf Produktionen, u.a. Jean-Stéphane Brons «The Brain», Mirjam von Arx' «The Scent of Fear», Andrea Stakas «Mare» (kurze Zeit im Kino), Mila Raus «Das neue Evangelium», Alice Schmids «Burning Memories», Sonja Wyss' «Farewell Paradise» oder Mana Khalis «Nachbarn».
Für den Prix du Public (20 000 Franken) wurden elf Filme nominiert, u.a. der Eröffnungsfilm «Atlas» sowie Gitta Gsells «Beyto», Thomas Imbachs «Nemesis», Bettina Oberlis «Wanda, mein Wunder», Stefan Haupts «Zürcher Tagebuch» oder Stéphanie Chuats/Véroniqie Reymonds «Schwesterlein».
In der Kategorie Opera Prima 2021, dem Preis für Erstlingswerke, werden 14 Filme aufgeführt, acht Dokumentar- und sechs Spielfilme, u.a. Thaïs Odermatts «Amazonen einer Grossstadt», Vlady Oszkiels «Lieblingsmenschen», Diego Hauensteins «Ich hätte am Kronleuchter hängen bleiben müssen», Christian Johannes Christian Kochs «Spagat», Mario Theus' «Wild – Jäger und Sammler» oder Stefanie Klemms «Von Fischen und Menschen».
Im Panorama werden 40 Filme gezeigt: Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilme wie beispielsweise «Amor Fati» von Claudia Vareijão, «Der Ast, auf dem ich sitze» von Luzia Schmid, «Der Spitzel und die Chaoten – Die Zürcher Jugendbewegung 1980» von Felice Zenoni, «Football Inside» von Michele Cirigliano, «Hexenkinder» von Edwin Beeler, «Kleine Heimat» von Hans Haldimann, «Not Me – A Journey with Not Vital» von Pascal Hofmann, «The Wall of Shadows» von Eliza Kubarska, «Yalda» von Massaud Bakhshi, «W. – Was von der Liebe bleibt» von Rolando Colla oder «Eden für jeden» von Rolf Lyssy.
Hervorzuheben sind zwei Dokumentarfilme zum Frauenstimmrecht: «De la cuisine au parlament: Edition 2021» von Stéphanie Goël und «Das katholische Korsett – oder der mühsame Weg zum Frauenstimmrecht» von Beat Bieri und Jörg Huwyler. Dazukommen TV-Serien wie «Frieden» oder «Wilder» (1. Episode der 3. Staffel), Familienfilme, Kurz- und Trickfilme.
Das Spezialprogramm «Fokus» widmet sich der Filmkritik, die unter Druck steht und eine ungewisse Zukunft hat. Solothurn zeigt Filme, die den Blick aufs Medium schärfen sollen, und bietet Online-Gespräche mit Betroffenen aus der Schweiz und dem Ausland. Zu sehen ist etwa Mark Cousins' «Women Make Film» (2019), der die Filmgeschichte anhand von 183 Regisseurinnen aufarbeitet oder Jean-Luc Godards «Grandeur et décadence d'un petit commerce de é» (1986).

Die 56. Solothurner Filmtage werden 2021 als Online-Edition präsentiert
211 Filme, darunter 36 Premieren. Auf der Filmplattform werden täglich 15 bis 20 neue Filme und Filmprogramme gestartet. Der Zugriff auf die Filme ist territorial auf die Schweiz beschränkt. Sie sind auf der Plattform jeweils während 72 Stunden verfügbar und auf 1000 virtuelle Plätze limitiert. Dazu kommen Filmgespräche, Interviews und Master Classes. Das komplette Filmtageprogramm und die neue Website der Solothurn Filmtage werden am 6. Januar 2021 online gehen.

Informationen: solothurnerfilmtage.ch
Telefon 032 625 8088
support@solothurnerfilmtage.ch
info@solothurnerfilmtage.ch


Zurück


Veröffentlicht Januar 2021