Patrick Thurston: «Kunst als aktiver Landschaftsschutz – mit diesem Slogan verband mein Vater die damals unbekannte Landschaft mit Menschen in der ganzen Schweiz, mit Berg- und Landschaftsliebenden, mit den Herzen der Menschen in der Surselva und im Bleniotal, aber auch mit der Politik und den Organisationen, welche sich um den Natur- und Landschaftsschutz kümmerten.» (Bild rbr)


Gespräch mit dem Architekten Patrick Thurston über seinen Film «Greina»

Engagement für eine Landschaft – oder
Die Kraft der Kunst

In den Siebziger und Achtzigerjahren setzte sich Architekt Bryan Cyril Thurston mit Vehemenz und unbeugsamem Engagement für den Erhalt der Greina ein, einer einzigartigen Hochebene zwischen dem Tessin und Graubünden. Geplant war dazumal ein Stausee. Sein Sohn Patrick Thurston hat nun fast fünfzig Jahre danach einen Dokumentarfilm über die Greina und seinen Vater realisiert.


Siehe auch Filmkritik zu «Greina»

Ihr Vater Bryan Cyril Thurston war dazumal Vorkämpfer und Motor des Widerstands gegen das Stauseeprojekt auf der Greina Hochebene. Er hat die Öffentlichkeit sensibilisiert und mobilisiert. Was hat Sie nun fünfzig Jahre danach bewogen, einen Film darüber zu realisieren?

Patrick Thurston: Am Anfang stand sicher der Wunsch, meinen 90jährigen Vater für sein Lebenswerk zu würdigen. Er ist eine etwas eigenartige Figur in unserer Gesellschaft. Er macht mit viel Enthusiasmus und ohne grosse Hemmungen das, was er mit seinen Händen machen kann – aus einer inneren Sehnsucht heraus. Das ist seine Haltung auch heute noch mit 91 Jahren. Er sagt: «I’m full of beans», was so viel bedeutet wie voll von Energie und Enthusiasmus. Es ging aber nicht nur um eine Würdigung, sondern auch die innere Dringlichkeit meinerseits, Schritte hin auf einen alten Mann zu machen.

Sie wollten eine gewisse Distanz abbauen, die seit der Kindheit existiert und ihm näher kommen …
Ja, ich wollte das über Jahrzehnte gespannte Verhältnis zu meinem Vater aufbrechen.

Wie sind Sie vorgegangen?
Ich habe ein Jahr lang Gespräche mit ihm wie beiläufig mit dem Handy gefilmt und einfach mal zugehört. Ich wollte all die vergangenen Verletzungen und mein Bedürfnis, von ihm gesehen und erkannt zu werden, beiseitelassen. Das war eben in meiner Kindheit passiert.

Hatte Ihr Vater ein gewisses Sendungsbewusstsein?
Ich glaube, der Verlust seiner Mutter als Zehnjähriger hat ihn im Innersten schwer getroffen. Ein Trauma. Das Gefühl des Verlorensein im Alter von zehn, zwölf Jahren hat ihn massiv geprägt. Das hat in ihm die starke Sehnsucht nach Geborgenheit ausgelöst, glaube ich.

Ihr Vater ist in den Fünfzigerjahren in die Schweiz gekommen. Glauben Sie, dass er eine neue Heimat in der Greina gefunden hat?
Genauso ist es. Er hat sie als Jugendlicher in Schottland gefunden, und dann eben in der Schweiz. In der Greina. Da fand er eine Wesensverwandtschaft, in den grossen flachen Ebenen, einen Ort der Weite und Einsamkeit, wo archaische Wildheit herrscht. In der Greina, sagt er im Film, hätte er ein Stück Schottland gefunden.

Wurde die Greina sein Lebensinhalt, seine Erfüllung?
Die Greina wurde ein Stück Wurzel, Geborgenheit und Ort der Sehnsucht. Er hat alles dafür getan, diese Landschaft zu retten und zu bewahren. Dass hat ihn 25 Jahre lang beschäftigt und bewegt.

Wie sehen Sie Ihren Vater, den Architekten und Künstler heute?
Er ist ja eine etwas kauzige Figur – auch im Film. Er passt nicht so recht in die Kunstszene und hat es nie geschafft, sich auf dem grossen internationalen Parkett zu bewegen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass er eine Würdigung verdient. Sein Werk ist zum grössten Teil in der Grafischen Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek archiviert. Es ist ihm ergangen wie vielen, er ist in den Schubladen und Archiven verschwunden.

Wie stand er Ihrem Film gegenüber?
Er war für mich erstaunlicherweise nicht ehrgeizig oder ambitioniert. Er hat oft gesagt: Mach doch ein Buch. Doch das ist sein Metier. Mich interessierte mehr der Prozess der Annäherung. Die Kamera hat mir dabei wesentlich geholfen, ihm effektiv näher zu kommen.

Bei Ihrem Film schälen sich zwei Aspekte heraus: Einerseits die Lebenshaltung und das Wirken eines engagierten Mannes, andererseits das Kunstschaffen im Dienste einer Landschaft.
Sein Motto war: «Nur die Poesie kann die Greina retten!» Und ich habe als Jugendlicher gedacht: Der spinnt doch total. In der Schweiz braucht man Anwälte und Geld. Der Stausee wurde nicht gebaut, die Greina blieb unberührt.

Verstehen Sie Ihren Dokumentarfilm auch als Plädoyer für Kunst, Kunstschaffen und Verantwortung? Glauben Sie, damit Zeichen zu setzen von gestern für heute und morgen …?
Unbedingt. Das ist mein Anliegen: Schaut mal, wenn ihr daran glaubt, dass euere innersten Wünsche und Kräfte Ausdruck finden, kann man damit in der Welt etwas bewirken. Kunst kann etwas in uns Menschen bewegen, auch als aktiver Landschaftsschutz dienen. Mit seinen Zeichnungen, seiner Kunst hat er die Leute berührt, es gab eine breite Resonanz. Architekt Gion A. Caminada drückt es im Film sehr schön aus: Bryan habe auf eine sehr schöne Art provoziert und die Leute berührt. Das löste Mitte der Achtzigerjahre eine breite Bewegung aus.

Wie sieht Ihr Vater heute die Situation?
Er sagt, er habe immer gewusst, dass das Bekanntmachen der Landschaft auch nachteilige Wirkung haben könnte und touristisch überfrachtet wird.

Ist das so?
Viele Leute kennen die Greina. Es gibt beispielsweise einen Greina-Trail, auf dem Hunderte rennen. Davon ist er nicht begeistert. Er meint, es gebe heute viele andere Greina’s und die hat er gefunden, das Bergell beispielsweise.

Wie sieht es mit Ihnen aus? Wo sind Sie aktiv?
Ich habe als Architekt beispielsweise das Restaurant Fischerstube in Zürich gebaut (2021). Früher war ich 13 Jahre im Natur- und Vogelschutz tätig, heute bin ich engagiert im Forum Raumordnung Schweiz. Da haben wir für Berlingen am Bodensee einen ortsbaulichen Entwurf erarbeitet. Diese Vereinigung will die Raumplanung in der Schweiz neu denken.




Patrick Thurston

1959 in Zürich geboren
Kunstschule ZH
Ab 1994 eigenes Architekturbüro in Bern, Bau Restaurant Fischerstube in Zürich (2021)
Dokfilme über Architekt Franz Füeg (2016) und Alain G. Tschumi (2019)



Bryan Cyril Thurston
1933 geboren ins Leiston Suffolk, GB
Als Architekt Mitarbeiter bei Eduard Neuenschwander.
Ab 1976 eigenes Architekturbüro, z.B. Berufsschule Rüti ZH
Ab 1967 Engagement für Greina Hochebene mit Kunst (bis 1986)



Die Greina
Die Greina ist eine der schönsten und grössten Hochebenen der Schweiz und gehört zu den wenigen noch naturbelassenen zusammenhängenden Gegenden der Schweiz. Aus diesem Grund wurde die Greina Ebene als Schutzzone ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler der Schweiz von nationaler Bedeutung aufgenommen.
Die Ebene ist ungefähr sechs Kilometer lang und einen Kilometer breit und liegt auf 2200 m ü.M. Der Greinapass verbindet Graubünden im Norden mit dem Tessin im Süden. Die drei Täler Val Lumnezia, Val Sumvitg und Valle di Blenio sind nur über die Greinaebene verbunden. Insgesamt gibt es fünf Zugänge zur Hochebene. Mit dem Bus alpin können einige der Wanderungen etwas abgekürzt werden.


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Veröffentlicht Oktober 2024

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