Karl Saurer's Lebensgefährtin Elena M. Fischli wirft mit ihrem neuen Buch ein Licht auf das Leben und Wirken ihres langjährigen Partners. (Bild: Elena M. Fischli, rbr )

Filmer und Förderer Karl Saurer – eine Geschichte der Nachhaltigkeit

Von Träumen, Reisen, Ruhe und Unruhe

Er war Filmschaffender, Feingeist, Fussballer und Freund. Karl Saurer aus Einsiedeln starb vor drei Jahren und doch lebt er weiter – in seinen Filmen und jüngst auch in einem Buch, herausgegeben von seiner Lebenspartnerin und Mitfilmerin Elena M. Fischli.
Zu unserem Nachruf auf Karl Saurer


Der Mensch interessierte ihn brennend – in all seinen Schattierungen und Eigenheiten. Karl Saurer, der Sohn aus Einsiedeln, war nicht nur wissbegierig und akribisch genau in seiner Arbeit, sondern vor allem ein Menschenfreund und Menschenversteher, Forscher und Philosoph. Seine sanfte Stimme mag verstummt sein, nicht aber seine Filme, seine Intentionen sind gegenwärtig, sein Blick fürs Wesentliche ist prägend.

In dem jüngst erschienenen Buch «Filme für den kreativen Widerstand» wird sein Wirken unabhängig von der Leinwand nochmals lebendig. Es gibt Einblicke in sein Schaffen, seine Sicht, Erfahrungen und Motivation. «Vielleicht bin ich ein etwas zu optimistisches Exemplar jener Gattung, die von Zeitgenossen, die wissen, wo’s langgeht, als ‚Gutmenschen‘ abgestempelt werden. Vielleicht hat sich – trotz zeitweise heftiger Gegenwehr – etwas vom Geist der ‚tausendjährigen Kulturstätte‘ behauptet, die mir als Heimat bestimmt war», sprach Karl Saurer anlässlich der 1. August-Feier 2007 in Einsiedeln. Seine Maxime war, Menschen und ihre Situationen, Nöte, Freude und Fehler abzubilden, aufzuklären, Weg zu weisen. So gesehen, war er ein weiser Dokumentarist, der die Vergangenheit aufzeigte und die Gegenwart festhielt, um in die Zukunft zu weisen. Das war nicht anders beim «Traum vom grossen blauen Wasser» (1993) als auch bei seinem Film «Kebab & Rosoli» (1993) oder bei seinen letzten Filmen «Rajas Reise» (2007) und «Ahimsa (2012)». Die Stärke von Gewaltfreiheit» (2012).

Rückblick auf das Sihlsee-Projekt. Ein Kleinbauer aus Gross brachte es auf den Punkt: «Es ist einfach nicht recht in einer Demokratie, wenn eine nicht betroffene Mehrheit über eine betroffene Minderheit entscheidet.» Mag sein, dass sein Film über die Entstehung des Sihlsees auch deshalb so aktuell ist und so viel Zuschauerinteresse fand. Im November 2022 lancierte Elena M. Fischli, Lebenspartnerin und Sauers wichtigste Mitarbeiterin, eine Tour durch die Schweiz mit einer restaurierten Filmfassung. Annähernd 10'000 Interessierte lockte der Dokumentarfilm in die Kinos – 30 Jahre nach der Entstehung! Mit der Arbeit «Fragmente und Fundstücke einer Hochtal-Geschichte» dokumentierte er auch eine Geschichte von unten.

Von der Idee, vom Thema, Vorbereitung und Entstehung bis zur Kameraeinstellung und Resonanz lässt das Buch über Karl Saurer und sein Filmschaffen tief blicken. Hier liegt nicht nur eine sehr lesenswerte, auch amüsante Biografie und Filmaufarbeitung vor, sondern auch ein Stück Kultur- und Zeitgeschichte. Zwölf Autoren und Autorinnen blicken zurück, berichten von Tatorten (Drehplätzen) und der Wirkungsstätte, dem Kino. Detailliert wird die Geschichte hinter den Filmen dargelegt, etwa beim Film fürs Fernsehen «Tatort Luzern – oder wem gehören unsere Städte, ein Beitrag über demokratische Meinungsprozesse» (1975). Es ging unter anderem darum, den Luzerner Hauptbahnhof ins Gebiet der Allmend und Kaserne zu verlegen. Die Innenstadt sollte so entlastet werden. Elena M. Fischli erinnert sich: «Der Film zeigt diskret, aber für schweizerische Verhältnisse provokativ, wie die Machtpositionen in der Planung verteilt sind: Der Stadtrat, die Planungsbürokratie und die Wirtschaft haben die starken Machtpositionen, die Mieter und Bürger haben die schwache Position.» Der Film löste dazumal eine Riesendiskussion aus, so Karl Saurer.

Eine andere Arbeit fürs Schweizer Fernsehen war dazu nicht in der Lage, weil der Film nie ausgestrahlt wurde und im Eisschrank des Schweizer Fernsehens verschwand. Er heisst «Ruhe», würde ihn heute wohl als Agitprop beschreiben und griff 1971/72 die Unruhe der Jugend auf (siehe Interview mit Elena M. Fischli). Er wurde jetzt wiederentdeckt und wird neben dem Buch in einzelnen Kinos präsentiert. Das Zeitdokument wirft einen gesellschaftspolitisch-kritischen Blick auf die Schweiz. Junge Leute prangerten Demokratiedefizite zugunsten von Wirtschaftsinteressen an – vor fünfzig Jahren in Zeiten des Kalten Krieges. Ein Dokument – damals wie heute relevant.
Ob «Traum» oder «Ruhe» – nicht nur diese beiden Arbeiten Karl Saurers zeigen, wie vertiefend, ja nachhaltig sie waren und sind. Enorm bereichernd ist das Karl Saurer-Buch, das in Layout, Bild und Texten hervorsticht, gegenüber anderen ähnlichen Publikationen und nicht nur Kinokenner und Filmfreunde erfreuen wird. «Filme für den kreativen Widerstand» – das brillante Film- und Zeitzeugnis, nachhaltig bebildert, erweist sich als Dokument kreativer Rezeption, das nicht nur Cineasten, sondern auch Historiker und an Sozialgeschichte interessierte Leser begeistern wird. Es ist freilich nicht nachvollziehbar, dass die Solothurner Filmtage 2024 weder an einer Film- noch Buchpräsentation interessiert sind. Karl Saurer war oft mit seinen Filmen in Solothurn präsent, als Filmschaffender, Gast und Förderer junger Filmer.



Gespräch mit Elena M. Fischli

«Mit Filmen gesellschaftspolitische Themen aufgreifen und Wege suchen»


Karl Saurer starb im März 2020 (Unser Nachruf). Gleichwohl ist er präsent geblieben. Seine langjährige Mitarbeiterin und Lebenspartnerin Elena M. Fischli hat sich intensiv mit seinem Nachlass befasst, gebündelt, geordnet, Verschollenes entdeckt. Nun ist unter ihrer Federführung ein anregendes Buch über das Schaffen Karl Saurers erschienen: «Filme für den kreativen Widerstand».

Wir trafen Elena M. Fischli, selbstständige Psychotherapeutin, Lektorin, Autorin und Publizistin, in Einsiedeln, ihrem Wohnort, zu einem Gespräch.

Elena, gehen wir auf ein vergangenes Projekt zurück: Karl Saurers Dokumentarfilm «Der Traum vom grossen blauen Wasser» entstand vor dreissig Jahren, erlebte vor einem Jahr eine Renaissance und ist heute noch immer aktuell wie damals anfangs der Neunzigerjahre. Es geht um Natur und Ausbeutung, die Energiegewinnung aus Wasserkraft. Du bist seit Ende 2022 mit dem Film durch die Schweiz und auch ins Ausland gereist. Mit grossem Erfolg.
Elena M. Fischli: Seit November 2022 gab es zahlreiche Kinovorführungen in der ganzen Schweiz. Bis jetzt wurde die restaurierte Fassung von annähernd 10'000 Menschen gesehen. Im Anschluss an die Aufführungen gab es oft spannende und interessante Diskussionen mit dem Publikum. Ich konnte ihn auch Hunderten von Schülern und Schülerinnen zeigen und mit ihnen über klimafreundliche Energie-Ressourcen debattieren.

Der Film ist nach wie vor aktuell. Das Problem Natur und Ausbeutung, Umwelt und Bewahrung beschäftigt mehr denn je.
Das grosse Thema des Films ist ja die Frage: Wie finden wir ein Gleichgewicht zwischen Nutzung sowie Schutz der natürlichen Ressourcen?

Zusätzliche Aktualität hat der Film durch die Vertragsverhandlungen beziehungsweise Konzessionserneuerung zwischen der SBB und der Region gewonnen.
Da bestand natürlich regional eine ausgewiesene Aktualität. Es hat sich aber bei den Vorführungen gezeigt, dass viele Besucher diesen Film als eine exemplarische Geschichte verstanden haben, die man sehr gut transponieren kann auf andere Gegenden oder auch ins Ausland. Die Geschichte mag lokal verortet sein, hat aber in der cineastischen Form und Komposition eine übergeordnete Aussagekraft.

Die Schaffung des Sihlsees war zweischneidig …
Es gab dabei Verlierer und Gewinner. Karls Stärke war immer, dass er komplexere Sachverhalte aufzeigen und gegenläufige Interessenslagen anschaulich darzustellen wusste. Und dass er es verstand, «Geschichte von unten» zu zeigen, das heisst mit Direktbetroffenen.

Nach der Renaissance des Films vom Sihlsee gibt es jetzt zwei Premieren, die auch im Zeichen des Filmschaffenden Karl Saurer stehen: Das neue Buch «Filme für den kreativen Widerstand. Zum Wirken Karl Saurers» und der erstmals zu sehende Film «Ruhe», im Auftrag des Schweizer Fernsehens 1970/71 entstanden, aber bis dato unter Verschluss gehalten. Du bist die treibende Kraft hinter beiden Projekten. Was gab den Anstoss für die Restaurierung der beiden Filme, für das Buch?
Karl selbst wollte kurz vor seinem Tod den Sihlsee-Film restaurieren und digitalisieren, weil dieser in einem sehr schlechten Zustand war. Für mich war es klar, dass ich dieses Vorhaben in seinem Sinn und nach seinem Wunsch ausführen wollte.

Was mag Karl Saurer damit bezweckt haben?
Es ging ihm nicht um die Bewahrung eines Films von ihm – Karl war ein un-eitler Mensch. Er hat den Film als ein Vermächtnis für die Geschichte dieser Region erachtet. Die Menschen, die sich heute an diesem See erfreuen, sollten erfahren können, wie leidvoll und entbehrungsreich die Entstehung dieses Sees gewesen ist. Die Erinnerung an diesen Prozess sollte bewahrt werden, auch, um die Gegenwart besser zu verstehen und Weichen für die Zukunft zu stellen – das war für ihn immer sehr wichtig.

Du bist auf den Dokumentarfilm «Ruhe» gestossen, ein Zeitzeugnis aus den Jahren kurz nach 1968, das vom Schweizer Fernsehen in Auftrag gegeben worden ist, aber nie ausgestrahlt wurde. Er wurde eingefroren. Was waren die Gründe?
Aus Karls Unterlagen und einem veröffentlichten Essay in Cinema konnte ich erfahren, dass zu jener Zeit Druck seitens einer jungen, veränderungswilligen Generation auf das Fernsehen ausgeübt wurde. Ihr Vorwurf an das nationale Medium: die Gründe für den Unmut und die Alternativ-Vorschläge einer Jugend im Aufbruch würden darin kaum sichtbar. Daraufhin wurde in Leutschenbach ein neues Format namens «Die Kehrseite» ins Leben gerufen, wo einmal monatlich 50 Minuten für die Sicht und Kritik der jugendlichen Bevölkerung gewährt werden sollte. Gleichzeitig wurde das Schweizer Fernsehen anfangs der Siebzigerjahre von zahlreichen konservativen Beschwerden überhäuft. Stichwort Ernst Cincera, Stichwort Walther Hofer, der später den «Hofer Club» gründete, Stichwort «Trumpf Buur». Ein Gremium hatte den Film «Ruhe», der Aufbruchsbewegungen thematisierte, gebilligt, jedoch wurde er in letzter Minute durch einen Allein-Entscheid des Programmdirektors abgesetzt, aus Furcht vor weiteren Beschwerden und wohl auch seines eigenen Postens wegen.

Wer war der Programmdirektor seinerzeit?
Guido Frei.

Wie schätzt du diesen Dokumentarfilm ein?
Er ist ein wichtiges, zeithistorisch wertvolles Dokument über verschiedene Aufbruchsbewegungen, die ’68 entstanden sind. Allen gemeinsam ist, dass sie ein Demokratiedefizit zugunsten von privaten Wirtschaftsinteressen anprangern. Der Film gibt einer Bandbreite von Bewegungen eine Stimme, ein Gesicht und präsentiert deren Alternativen. Es ist ein relevantes Dokument aus dieser mehr als fünfzig Jahren zurückliegenden Zeit.

Ein bedeutsames Vermächtnis des Schaffens und Wirkens Karl Saurers ist das Buch, das du herausgegeben hast. Du bist der Spiritus Rector der Ausführung und Publikation «Filme für den kreativen Widerstand».
Für den Film über die Entstehung des Sihlsees war ich nach Karls Tod Spiritus Rector des Restaurationsvorhabens. Beim Film «Ruhe» bin ich diejenige, die von seinem historisch wertvollen, dokumentarischen Wert überzeugt ist. Meines Erachtens ist er es wert, gezeigt zu werden. Seine Thematik liefert heute noch Anstoss für Diskussionen. Er ist sowohl historisch als auch aktuell relevant. Beim Buch fungiere ich als Herausgeberin und Mitautorin.

Das Buch ist mehr als ein Zeitdokument, Werkverzeichnis oder eine Biografie. Was erhoffst du dir mit seiner Veröffentlichung?
Es soll Zugang zu seinen Filmen ermöglichen, das Verständnis vertiefen, auch einen Blick hinter die Entstehungsprozesse werfen. Einerseits wird es wohl das Interesse an einem oder anderen Film von Karl Saurer wecken. Andererseits hoffe ich ebenso sehr, dass es junge Menschen von heute ermutigt, sich trotz Rückschlägen und Hindernissen für eine soziale, nachhaltige, gerechtere Welt einzusetzen.

Sicher hätte Karl Freude über die Resonanz zu seinen Filmen, die Nachhaltigkeit seiner Arbeiten und seines pädagogischen Engagements gehabt. Was denkst du, was würde er jetzt zu dieser Ausgrabung eines alten Films und dem Erscheinen der Monografie sagen?
Was er wohl sagen würde: «Ach, Elena – du hast viel zu viel für mich getan. Das war doch alles gar nicht nötig!» Sicher wäre er sehr erfreut und auch bewegt. Für mich waren es intensive Prozesse, die mich aber sehr bereichert haben. So hat sich bei der Arbeit am Buch für mich ein klarer roter Faden herauskristallisiert in seinem Werdegang und Wirken, und Karl wäre wahrscheinlich selber freudig überrascht gewesen, das so deutlich erkennen zu können. Sein Leben und Schaffen eignet sich dafür, andere zu ermutigen, zu ermächtigen und zeigt, wie spannend es sein kann, mit Filmen wichtige gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und Wege zu suchen, komplexe Geschichten und Prozesse in cineastischen Gebilden zu veranschaulichen und damit das Publikum anzuregen.



Buchpremieren und der Film «Ruhe»

Aufführungen mit Herausgeberin Elena M. Fischli

12. November in Einsiedeln (Cinebox)

18. November in Schwyz (Kino Schwyz)

19. November in Luzern (Bourbaki), 11.00 Uhr

19. November in Zug (Gotthard), 17 Uhr

26. November in Zürich (RiffRaff)

3. Dezember in Rapperswil (Leuzinger)

10. Dezember in Bern (Rex)

16. Januar 2024 in Freienstein (Neues Kino)

7. Februar in Altdorf (Leuzinger)

17. Februar in Heiden (Rosental)

Buch
«Filme für den kreativen Widerstand. Zum Wirken Karl Saurers 1943–2020», Daimon Verlag 2023, 38 Franken.

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Veröffentlicht November 2023