Die Filmkultur blüht auf – zumindest was Preisverleihungen und Festivals angeht. In Zürich mühte man sich (zumeist Französisch) dem Quartz etwas Glanz zu verleihen beim Verleihen. Der Glanz blieb freilich wie in all den Quartz-Jahren zuvor von Solothurn über Luzern bis Genf und Zürich matt. Anders bei der Hollywood-Kür der Oscars. Hier sorgte die handfeste Retourkutsche von Will Smith an Komiker Chris Rock, dem Präsentator mit dem losen Mundwerk, für Schlagzeilen – neben dem überraschenden Gewinnerfilm «Coda». Davon später mehr.
Ach wie gut, dass niemand weiss, dass die Gewinnerin
«Olga» heisst. Dies geschah in der Halle 622 zu Oerlikon. Denn entgegen den Erwartungen mancher Filmkritiker und einigen Vorschusslorbeeren war nicht «Soul of a Beast» (acht Nominationen) der grosse Quartz-Gewinner 2022, sondern das Exil-Drama um eine junge Turnerin aus der Ukraine: «Olga». Der überdrehte Zürcher «Beast»-Szenetrip von Lorenz Merz über einen überforderten Jung-Vater, seinen Sohn und einer Clique auf der Überholspur landete etwas abgeschlagen – mit je einem Quartz für den Hauptdarsteller Pablo Caprez, für beste Filmmusik und beste Kamera.
Die Schweizer Filmakademie setzte ein politisches Zeichen und erkor «Olga» von Elie Grappe zum besten Spielfilm, dazu kamen Auszeichnungen für das beste Drehbuch und den besten Ton. Das Augenmerk des Dokumentarfilms «Ostrov» von Svetlana Rodina und Laurent Stoop galt einer «verlorenen Insel» im Kaspischen Meer. Die Inselbewohner, vom Kreml vergessen, setzen gleichwohl ihre Hoffnung auf Machthaber Putin. Ein etwas anderes Spiegelbild des russischen Kosmos.
In eine intime Szene tauchte der Spielfilm
«La mif» von Fred Baillif. In einem Heim finden sich Mädchen im Teenageralter mit Problemen – mit ihren Eltern, ihrer Umgebung, mit sich selbst. Die Heimleiterin Lora tut alles, um ihre Schützlinge zu schützen und wird selber Opfer ihres Einsatzes. Claudia Grob als Lora wurde mit einem Quartz ausgezeichnet. Sie ist wie fast das ganze Ensemble Laiendarstellerin und war als Heimleiterin tätig. Das semidokumentarische Sozialdrama erhielt weitere Auszeichnungen für beste Nebenrolle (Anais Uldry) und beste Montage (Frédéric Baillif).
Der Preisanlass war endlich eine willkommene Gelegenheit, dass sich die Filmbranche wieder live erleben und feiern lassen konnte. Ein Anlass freilich auch, der nur bei einer Gelegenheit das Publikum von den Sitzen «riss». Das geschah, als Bundesrat Alain Berset Altmeister
Fredi M. Murer («Höhenfeuer», «Vollmond») den Ehrenpreis überreichte. Es gab eine Standing Ovation.
Man (be)mühte sich. Stadtpräsidentin Corine Mauch dankte der «Ukraine für das Zeichen setzen für Friede, Freiheit, Demokratie», und sie fand auch, dass das Sofa kein Ersatz für ein Kinoerlebnis sein kann.
Filmakademie-Präsident Christian Frei wartete mit einer Überraschung und einem Filmchen auf. Er hatte Nicole Hoesli in Norddeutschland besucht und ihr den Spezialpreis für das Szenenbild in «Soul of a Beast» überreicht. Filmchef Ivo Kummer (BAK) war es schliesslich, der «Olga» als besten Spielfilm ehrte. Sein Wort in aller Ohr: «Film ist die Seele unserer Zeit.»
Die Quartz-Gewinner 2022 heissen:Bester Spielfilm
«Olga» von Elie Grappe,
Bester Dokumentarfilm
«Ostrov» von Svetlana Rodina und Laurent Stoop
Bester Kurzfilm
«Über Wasser» von Jela Hasler
Bester Animationsfilm
«Dans la Nature» von Marcel Barelli
Bestes Drehbuch
«Olga» von Elie Grappe
Beste Darstellerin
Claudia Grob in «La mif»
Bester Darsteller
Pablo Caprez in «Soul of a Beast»
Beste Nebenrolle
Anais Uldry in «La mif»
Beste Filmmusik
Fatima Dunn, Lorenz Merz und Julian Sartorius für «Soul of a Beast»
Beste Kamera
Fabian Kimoto und Lorenz Merz für «Soul of a Beast»
Beste Montage
Fréderic Baillif für «La mif»
Bester Ton
Jürg Lempen für «Olga»
Bester Abschlussfilm
«Love Will Come Later» von Julias Furer
Spezialpreis der Akademie
Nicole Hoesli für ihr Szenenbild «Soul of a Beast»
Ehrenpreis
Fredi M. Murer
Die
Oscar-Verleihung 2022 wird als handfester Skandal in die Filmgeschichte eingehen. Oscar-Gewinner Will Smith («King Richard») rächte seine Frau Jada Pinkett Smith mit einer Ohrfeige, als diese von Moderator Chris Rock despektierlich wegen ihres geschorenen Kopfes angemacht wurde. Der Darsteller, der als «King Richard», Vater der berühmten Williams-Tennis-Sister, ausgezeichnet wurde, schritt zur Tat und gab dem verdutzten Joke-Maker eine Backpfeife. Keine feine Art in der geballten Medien-Öffentlichkeit, aber mit dem Herzen betrachtet hatte er Recht. Ob's ein Nachspiel, eine gelbe oder rote Karte gibt à la Hollywood? Warten wir's ab …
Hollywood 2022 scherte auch anders aus und erkor nicht den meist genannten Spätwestern «The Power of the Dog» (12 Nominationen) von Jane Campion zum besten Film, sondern das Gehörlosendrama «Coda» von Siân Heder. Der taubstumme Troy Kotsur (bester Nebendarsteller) wurde ebenfalls dekoriert. Die Favoritinnen Kristen Stewart in «Spencer» und Nicole Kidman in «Being the Ricardos» kamen nicht in die Ränge, dagegen wurde Jessica Chastain in «The Eyes of Tammy Faye» mit einem Oscar beglückt. Als beste Nebendarstellerin stach Ariana DeBose im Remake «West Side Story» hervor. Sie ist die erste Afro-Latina, die in Hollywood zu Oscar-Ehren kommt.
Zwei deutsche Filmschaffende konnten sich feiern lassen: Hans Zimmer für «Dune» (beste Filmmusik) und Gerd Nefzer für «Dune», zusammen mit Brian Connor, Paul Lambert und Tristan Myles (beste visuelle Effekte). Die meisten Oscars heimste das Space-Spektakel «Dune» (sechs Oscars bei zehn Nominationen) ein. Die Fortsetzung des SF-Fantasy-Abenteuers ist bereits in Produktion.
Der Schweiz Beitrag
«Ala Kachuu» von Maria Brendle ging leer aus. Den Oscar für den besten Kurzfilm gewann «The Long Goodbye» von Riz Ahmed und Aneil Karia. Das japanische Meisterwerk «Drive My Car», vier Nominationen, von Ryūsuke Hamaguchi wurde als bester internationaler Film ausgezeichnet. Unbedingt im Kino ansehen. Es ist noch im Programm!
Die wichtigsten Oscars 2022:Bester Film
«Coda» von Siân Heder
Beste Regie
Jane Campion für «The Power of the Dog»
Beste Hauptdarstellerin
Jessica Chastain für «The Eyes of Tammy Faye»
Bester Hauptdarsteller
Will Smith für «King Richard»
Beste Nebendarstellerin
Ariana DeBose für «West Side Story»
Bester Nebendarsteller
Troy Kotsur für «Coda»
Bestes Originaldrehbuch
Kenneth Branagh («Belfast»)
Bestes adaptierten Drehbuch
Siân Herder («Coda»)
Bester internationaler Film
«Drive My Car» von Ryūsuke Hamaguchi
Bester Kurzfilm
«The Long Goodbye» von Riz Ahmed und Aneil Karia
Bester Dokumentarfilm (lang)
«Summer of Soul» Beste Kamera
Greig Fraser («Dune»)
Beste Filmmusik
Hans Zimmer («Dune»)
Bester Filmsong
«No Time to Die» (Billie Eilish und Finneas O'Connell)
Bester Schnitt
Joe Walker («Dune»)
Beste visuelle Effekte
Gerd Netzer, Brian Connor, Paul Lambert, Tristan Myles für «Dune»
Bester Kurzfilm
«The Long Goodbye» von Riz Ahmed und Aneil Karia
ZurückVeröffentlicht März 2022