Das Piazza-Programm bietet breite Unterhaltung, laut Carlo Chatrian «ganz im Zeichen der Leichtigkeit». (Locarno Filmfestival)


Vorschau – Locarno71 (1. bis 11. August 2018)

Filmfestival – leichte Kost und ein Filmmarathon

Die Filmwelt blickt an den Lago Maggiore. Nach dem Jubeljahr – gefeiert wurde die 70. Ausgabe – beschäftigt eine Frage in Locarno: Wer wird Nachfolger des künstlerischen Leiters Carlo Chatrian, der 2019 dem Ruf nach Berlin folgen und neuer Direktor der Berlinale werden wird? Am Ende des 71. Festivals (1. bis 11. August 2018) will Präsident Marco Solari den neuen Direktor oder die neue Direktorin bekannt geben.

Die einen strömen an den See oder an die Maggia, die anderen ins Kino oder auf die Piazza Grande. Das Filmfestival Locarno – neu Locarno71 geheissen – lockt. Eröffnet wird es am 1. August mit der französischen Komödie «Team Spirit – Les beaux Esprits» von Vianney Lebasque. Er liegt im Trend, also ein Film nach wahren Begebenheiten: Trainer Martin schickt ein Team von Basketballern mit vermeintlich psychischen Defiziten nach Sydney 2000 an die Para-Olympics. Die Zeichen stehen auf Heiterkeit, gleich zu Beginn auf der Piazza Grande, aber auch am Ende.

Das Programm unterm Sternenhimmel, das allabendlich Tausende anzieht (bis zu 8000), ist bunt bestückt, mit Betonung auf Heiter (Komödie). Zur Übersicht ein paar Vorschläge zum Piazza-Event: Die deutsche Filmerin Sandra Nettelbeck hat ihr Filmkomödie «Was uns nicht umbringt» namhaft bestückt – mit Deborah Kaufmann, Mark Waschke, Christian Berkel, Sophie Rois, Barbara Auer, Peter Lohmeyer u.a. (Freitag, 3. August, 21.30 Uhr). Denzel Washington räumt wieder rigoros auf im sehenswerten Actionthriller «The Equalizer 2» (4. August, 21.30 Uhr). Spike Lee taucht tief in die amerikanische Rassistenszene mit «BlacKkKlansman» (5. August, 21.30 Uhr), eine Satire um einen Afroamerikaner im Dienste des FBI – zum 70. Geburtstag der Erklärung der Menschenrechte.

Die Schweizerin Bettina Oberli erzählt von einer gestörten Dreierkiste in «Le vent tourne» (6. August, 21.30 Uhr). Denis Rabaglia nimmt's komödiantisch bei einem «Geliebten Feind – Un nemice ch ti vuole bene» (7. August, 21.30 Uhr). Ethan Hawke (Excellence Award Locarno 71) schildert die Geschichte des umstrittenen US-Singer-Songwriter Blaze Foley, der 1989 erschossen wurde: «Blaze» (8. August, 21.30 Uhr).

Duccio Chiarini aus Florenz präsentiert die schweizerische Koproduktion «L'ospite» (9. August, 21.30 Uhr). Der amerikanische Thriller «Searching» von Aneesh Chaganty schildert, wie ein Vater seine verschwundene Tochter sucht (10. August, 21.30 Uhr). Die französische Komödie «I Feel Good» (11. August) beschliesst den Filmreigen auf der Piazza Grande nach der Leoparden-Verleihung um 21 Uhr. Bemerkenswert ist auch, dass erstmals eine Fernsehreihe auf der Piazza Grande gezeigt wird, und zwar Bruno Dumonts «Coincoin et les Z'inhumains» (2mal 52 Minuten am 4. August nach «The Equalizer 2»). Diese burlesk-extraterrestische Krimiserie stammt aus Frankreich.

Würde man das Piazza-Programm zum Massstab nehmen, bietet Locarno71 breite Unterhaltung, «ganz im Zeichen der Leichtigkeit», wie Carlo Chatrian meint. Was wohl kaum auf den Internationalen Wettbewerb (15 Langfilme) und Wettbewerb neuer Talente (Concorso Cineasti del presente mit 16 Erstlings- und Zweitwerke) zutreffen wird. Hier werden häufig Werke, bisweilen auch Zumutungen, gezeigt, die danach in der Versenkung verschwinden. So hoffentlich nicht der Schweizer Wettbewerbsbeitrag «Glaubenberg» von Thomas Imbach, eine Bruder-Schwester-Geschichte. Starkes Sitzvermögen ist bei einem argentinischen Werk gefordert, es dauert 14 Stunden (oder 808 Minuten), heisst «La Flor», wurde von Mariano Llinás geschaffen und wird ab 3. August (über acht Tage verteilt) gezeigt – eine Hommage an die Kinogeschichte, an welcher der Autor zehn Jahre gearbeitet hat.

Seit Jahrzehnten ist die Filmkritikerwoche (Semaine de la Critique) ein Garant für spannende Dokumentarfilme. Vom 3. bis 10. August sind sieben Filme zu sehen, etwa vom Genfer Nicolas Wadimoff («The Apollo of Gaza» am 3. August), vom Franzosen François-Xavier Droeut («The Time of Forest» am 4. August), von der Schweizerin Barbara Müller («#Female Pleasure» am 6. August), vom Iraner Reza Farahmand («Women with Gunpowder» am 8. August) oder von der Argentinerin Georgina Barreiro («Tara's Footptint» am 9. August). Neu werden die Filme der Semaine im grössere La Sala (11 Uhr) mit Wiederholung am nächsten Tag im L'altra Sala (18.30 Uhr) gezeigt.

Wer sich speziell für Schweizer Filme interessiert, wird vom «Panorama Suisse» bedient. Zehn Filme, ausgewählt von den Solothurner Filmtagen, der Schweizer Filmakademie und Swiss Films, sind hier zu entdecken oder wiederzusehen. Präsentiert werden sieben Dokumentar- und drei Spielfilme, beispielsweise «Eldorado» von Markus Imhoof, «Genesis 2.0» von Christian Frei oder «Chris the Swiss» von Anja Kofmel, ein animierter Realfilm um einen Journalisten und Söldner, ihrem Cousin, der an der serbischen Grenze starb.
Bekannt sind die zwei mehrfach ausgezeichneten Spielfilme «Mario» über einen schwulen Fussballer und «Blue My Mind» über eine sich wandelnde junge Frau. In «Fortuna» beschreibt Germinal Roaux die Liebe zwischen Fortuna und Kabir, von einem Asylentscheid bedroht.

Von Cineasten immer wieder geschätzt ist die Retrospektive von Locarno. In diesem Jahr ist sie dem Hollywood-Regisseur Leo McCarey (1898–1969) gewidmet – mit 109 Werken. Er war der Geburtshelfer und Vater des Komikerduos Stan & Ollie (Dick und Doof) alias Laurel und Hardy. Er schuf aber auch Filme wie «Die Marx Brothers im Krieg» (1933), «Der Weg zum Glück» (7 Oscars) oder «Die Glocken von St. Mary» mit Bing Crosby und Ingrid Bergman. Teile der Retrospektive werden nach Locarno auf Tournee gehen, beispielsweise nach Zürich (Filmpodium), nach Bern (Rex), und zur Cinémathèque Suisse.

Die Sektion «Signs of Life» gibt experimentiellen Aussenseiterfilmen eine Chance, im vergangenen Jahr beispielsweise war hier die krude Geschichte vom Mann, der sich in einen Hund verwandelt, zu sehen: «Chien».

Was wäre Locarno ohne seine zahlreichen Awards? Ein bisschen Startum muss sein. Leoparden gehen in diesem Jahr u.a. an Ethan Hawke (Excellence Award), an die Schauspielerin Meg Ryan (Leopard Club Award), sie ist im Erotikthriller «In the Cut» zu sehen (3. August um Mitternacht auf der Piazza Grande). Schliesslich werden Regisseur Bruno Dumont (Pardo d'onore) und Kyle Cooper (Vision Award) geehrt, ein amerikanischer Grafikdesigner, der den Vorspann zu «Se7en» (5. August auf der Piazza um Mitternacht) schuf.

Eingestimmt wird das (einheimische) Publikum bereits am 31. Juli (21.30 Uhr) auf der Piazza Grande (freier Eintritt) – mit dem Musicalfilm aus dem Jahr 1978 «Grease» mit John Travolta und Olivia Newton-John.


www.locarnofestival.ch


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Veröffentlicht Juli 2018