Der Spinne auf der Spur beim Eintauchen ins tiefe Mittelalter: Regisseur Markus Fischer (links) und Anatole Taubman als diabolischer Kutscher. (Bilder: rbr)



Die schwarze Spinne

Ritter, Tod und Teufel und eine Frau, gefeiert und verteufelt

Das ist es wieder, dieses Symbol für Pest und Plage, Angst und Verbreitung des Bösen: die Spinne. In der Novelle über Gut und Böse von Jeremias Gotthelf aus dem Jahr 1842 ist sie Zeichen einer Kollektivschuld. Markus Fischer hat «Die schwarze Spinne» neu verfilmt – mit Anatole Taubman als teuflischem Verführer, Lilith Stangenberg als Hebamme Christine, die den Pakt mit dem Teufel schliesst, und Nurit Hirschfeld als ihre Zwillingsschwester Maria. 

Düstere Zeiten im 13. Jahrhundert. Die Dorfbevölkerung im Sumiswald wird von der Obrigkeit drangsaliert. Hier im Emmental ist es der Deutschritter Hans von Stoffeln (Ronald Zehrfeld) mit seinen Gefolgsleuten, dem feisten Konrad und dem bösen Polenritter (Fabian Krüger). Der Rittersmann, der selber unter einem Kriegstrauma leidet, erteilt den leibeigenen Bauern aus puren Machtgelüsten den sinnlosen Auftrag, eine Allee mit 100 Buchen zu pflanzen – innerhalb eines Monats. Der Ammann (Andreas Matti) stemmt sich dagegen, will revoltieren und stirbt bei der Sisyphusarbeit. Den Bauern ist offensichtlich nicht zu helfen. Allein die fahrende Hebamme Christine (Lilith Stangenberg), die in ihr Dorf zurückgekehrt ist, um ihrer schwangeren Zwillingsschwester Maria (Nurit Hirschfeld) bei der Geburt helfen will, findet einen Ausweg. Unversehens begegnet sie einen Fuhrmann (Anatole Taubman), der ihr einen Pakt anbietet: Er will die Baumreihe setzen und fordert dafür ein ungetauftes Kind. Der teuflische Pakt wird mit einem Kuss auf Christines Wange besiegelt, einem Brandmal, wie sich herausstellen sollte.
 
Christine hat das Unmöglicher möglich gemacht und wird als Retterin gefeiert. Doch der Teufel fordert unerbittlich seinen Tribut, den das Dorf nicht zahlen will. Die Stimmung schlägt um. Der Priester (Ueli Jäggi) rettet ein Baby und wettert gegen Christine, der Grünebauer (Marcus Signer) und andere Dörfler verfolgen sie, die Aussätzige, die für die Pest, durch Spinnen verbreitet, verantwortlich gemacht wird. Ihr soll der Teufel ausgetrieben werden. Marias Neugeborenes ist in Gefahr.
 
Markus Fischers Verfilmung taucht tief in ein finsteres Mittelalter ein, nimmt sich ein paar Freiheiten heraus, die gleichwohl im Sinne der Novelle sind. Christine ist eine Hebamme, eng verbunden mit ihrer Schwester. Der grüne Jäger verwandelt sich in einen Fuhrmann. Regisseur Fischer, massgeblich als Produzent an der Erfolgsserie «Der Bestatter» beteiligt, verzichtet auf eine Rahmenhandlung, wie Gotthelf sie vorsah. Die Besetzung ist tadellos: Lilith Stangenberg («Der Staat gegen Fritz Bauer», «Wild») ist die zentrale Figur, in ihr spiegeln sich Gut und Böse. Nurit Hirschfeld («Zoe & Julie», «Finsteres Glück») beeindruckt als Maria ebenso markant wie Anatole Taubman als schmeichelhafter Teufel.
 
Mag die Geschichte auch konventionell erzählt sein, hat sie doch ihre Kraft, Ausstrahlung und ihren tieferen Sinn nicht verloren. Die Retterin wird zur Aussenseiterin und zum Opfer. Die Menschen pendeln zwischen Schuld und Sühne, sind nicht bereit den Teufelspreis zu zahlen. Der Mensch hat sich nicht geändert, erst recht nicht in Pandemiezeiten: Schnell werden Schuldige gesucht, wird gebrandmarkt, spaltet sich die Gesellschaft. «Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird», schrieb Friedrich Nietzsche. Diese Warnung hat Markus Fischer seinem Film «Die schwarze Spinne» vorangestellt. Wir sprachen mit Regisseur Fischer und dem Schauspieler Anatole Taubman.
 
Markus Fischer, wie erging es dir vom «Bestatter» zur «Schwarzen Spinne»?
Markus Fischer: Das war ein grosser Schritt – von einer Fernsehserie zum grossen Kino. Mein grösster Schritt in meiner Karriere. Ich konnte bisher noch keinen Film in dieser Grössenordnung machen, auch was die Produktionsbedingungen und den Dreh in ungarischen Studios angeht. Die Bedingungen waren hervorragend. Dort werden sonst Blockbuster, grosse Hollywood- oder Netflix-Filme gedreht werden. Ungarn ist der Ort, wo man am besten historische Filme machen kann. Wir sind im 13. Jahrhundert, und ich habe versucht, ein dunkles Mittelalter darzustellen.
 
Wie hoch waren die Produktionskosten?
Ungefähr 5,5 Millionen Franken mit Covid-Massnahmen.
 
Wo würdest du den Film ansiedeln?
Es ist kein Festivalfilm. Eher eine Mischung von Arthouse-Mainstream. Das haben wir bewusst so gewählt. Der Stoff ist in der Schweiz sehr bekannt, und wir wollten den Film einem breiten Publikum zugänglich machen. Ich meine, es ist ein Mainstream-Film mit Tiefgang, und glaube, ich habe noch keinen Film so kompromisslos gemacht wie «Die schwarze Spinne».
 
Wurde denn auch im Emmental gedreht?
Ja, wir haben einiges im Emmental gedreht: Schlösser und Burgen, dazu die Emmentaler Landschaft und Berner Alpen. Diese Aufnahmen wurden dann eingefügt.
 
Pest und Pandemie – gibt es Verbindungen?
Ich sehe das nicht ganz so, also keine Parallele von der Spinne zur Corona-Seuche. Die Spinne ist ein Symbol für verschiedene Sachen, für Schuld und Sühne, dafür, dass man Widerstand gegen Unterjochung leistet und Hilfe beim Bösen sucht in der Hoffnung, dass das Gute siegen wird. Der Film bietet meines Erachtens Projektionsfläche für viele Interpretationen. Mein Interesse war es, einen emotionalen Film über Gut und Böse, Schuld und Sühne zu machen.
 
Es gibt in der Schweiz verschiedene Geschichten über einen Teufelspakt. «Die schwarze Spinne» ist Schullektüre. Welche Erinnerungen hast du daran?
Vor etwa fünf, sechs Jahren hatte ich eine grosse schwarze Spinne in meinem Garten. Da kam ich auf Gotthelfs «Schwarze Spinne». Das hatten wir doch mal in der Schule. Ich habe mir das Reclam-Heftchen geholt, gelesen und dachte: Das kann man nicht verfilmen. Aber der Stoff hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe dann die Drehbuchautoren Plinio Bachmann und Barbara Sommer gefragt, ob sie daran interessiert wären. In drei Jahren haben wir die Novelle adaptiert. Ich habe aber von Anfang an klar gemacht, dass ich nur die Kerngeschichte, eben den Pakt mit dem Teufel ohne Rahmenhandlungen schildern wollte.
 
Damit gingen einige Änderungen einher …
Ja, der Teufel ist bei uns kein grüner Jäger, sondern ein Fuhrmann, der die Bäume transportiert, Christine keine Fremde wie bei Gotthelf, sondern eine Hebamme und eine Agnostikerin, die nicht an Gott glaubt. Den religiösen Überbau, der bei Gotthelf sehr wichtig ist, haben wir herabgesetzt. Die Zwillingsschwester Maria – eine Erfindung von uns – spielt die klassische religiöse Frau aus dem Mittelalter.
 
Wie charakterisierst du die bösen Herrscher in der Burg?
Der Deutschritter leidet unter einem postdramatischen Syndrom aus dem Krieg mit den Mongolen und verhält sich dementsprechend. Der zweite, der Polenritter, ist der Inbegriff des brutalen, ruchlosen Mannes. Der dritte, der Dicke, steht für Dekadenz.
 
Und die Kirche?
Sie hatte eine bigotte Funktion, übrigens auch bei Gotthelf. Bei ihm rettet die Kirche die Kinder, bei uns ist es die Frau, die sie rettet, aber auch das Böse auslöst.
 
Stand eine Modernisierung des Stoffes zur Diskussion?
Nein, ich wollte eine Geschichte aus dem Mittelalter erzählen, die heute noch gültig ist, wenn man die entsprechenden Weichen stellt. Ich wollte, dass man ins dunkle Mittelalter der Schweiz einsteigt – mit diesem Dreck, mit dieser Armut und Unterjochung durch dekadente, gelangweilte Deutschritter.
 
Wie hast du den Film sprachlich bewältigt auf Berndeutsch?
Die deutsche Schauspielerin Lilith wurde auf Schweizerdeutsch synchronisiert. Der Berner Marcus Signer diente uns quasi als Übersetzer. Die Schweizerdeutsche Fassung haben wir sehr sorgfältig produziert. Das Original ist auf Deutsch für den internationalen Markt.
 
Corona hat das Kino zeitweise zum Stillstand gebracht. Wie beurteilst du die Aussichten? Kehrt das Publikum zurück wie vorher?
Ja, aber nicht mehr auf dieselbe Weise. Viele weichen auf Streamingdienste aus und werden wohl ausgewählter Filme schauen. Das Arthouse-Kino dürfte es schwieriger haben, ein grösseres Publikum anzuziehen. Ich glaube, dass der Weizen stärker von der Streu getrennt wird. Man muss versuchen, mit Qualität ein Publikum finden.
 
Man kennt ihn bestens als Bösewicht im Kino, im Fernsehen. Aktuell im ZDF-Thriller «Sarah Kohr – Geister der Vergangenheit» (14. März und in der ZDFmediathek). Der Schweizer Anatole Taubman agiert da als Schwerverbrecher, der nach 19 Jahren aus dem Knast flieht. Im Kinofilm «Die schwarze Spinne» ist er als diabolischer Fuhrmann unterwegs.
 
Anatole, was fasziniert dich an dieser Rolle?
Anatole Taubman: Ich kenne nicht nur die Novelle sehr gut, sondern mich hat das Böse per se fasziniert. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Böse in jedem drinsteckt, und habe es geliebt, den Prototyp des Bösen, den Teufel oder Satan, zu erkunden und zu entwickeln.
 
Wie bist du vorgegangen?
Ich bin in die griechische Mythologie eingestiegen. Woher kommt der Teufel? Ursprünglich kommt er von Pan, dem Fürsten des Waldes, dem Gott des Wilden. Pan war ursprünglich ein lustiger und inspirierender Kerl. Sein bester Freund war Dionysos, der Gott des Weins. Sie haben im Wald gefeiert, natürlich Wein getrunken. Pan hatte ein Problem: Er sah hässlich aus, die Sirenen, Elfen und andere haben sich vor ihm gefürchtet. Er war narzisstisch verletzt, hat sein Aussehen genutzt, hat geneckt und erschreckt. Bei den Römern war es Luzifer, der sich gottgleich wähnte und überschätzte. Er wurde vom Himmel verbannt und gestürzt. Aber eigentlich hat die Kirche die Natur zum Bösen gemacht, hat einen Antipol geschaffen zum Himmel, hat mit diesem Bösen, dem Teufel, gedroht.
 
Ist der Teufel also eine personifizierte Drohung?
Genau. Ich glaube, dass jeder Mensch weiss (unschuldig) und nicht als Teufel geboren wird wie in Polanskis «Rosemarie's Baby». Ich war froh, dass Markus Fischer den Teufel als charmanten modernen Weltenbürger einführen wollte. Ich habe mir vorgestellt, dass der Teufel in einer Schaltzentrale sitzt jenseits von Zeit und Raum und schaut, wo es auf der Welt Probleme gibt, welche die Menschen nicht lösen können, wo sie ihn brauchen. Und er dachte, er könnte so seine Nachkommenschaft sichern – mit einem Baby. So komme ich ins Spiel, mache in der «Schwarzen Spinne» einen Deal mit der Hebamme.
 
Ziehst du Parallen zwischen Mittelalter und heute, Pest und Pandemie?
Massiv. Die Geschichte ist zeitlos. Der Mensch hat immer die gleichen Probleme über Jahrhunderte hinweg – in Sachen Besitz, Schuld und Sühne, Kollektivschuld, Verantwortung und Zivilcourage.
 
Die Heldin Christine ist Retterin, Täterin und Opfer zugleich, sie wird gefeiert und verteufelt.
Wie in einer griechischen Tragödie. Das findet man heute noch.
 
Wie war die Zusammenarbeit mit Lilith Stangenberg als Christine?
Ein Traum. Sehr inspirierend. Ich habe noch nie mit einer Schauspielerin, einem Schauspieler gearbeitet, die so ähnlich arbeiten wie ich – so akribisch, die ihre Figuren wirklich «bewohnen» wollen.
 
Wie schätzt du die Verfilmung der «Schwarzen Spinne» ein?
Ich glaube dem Film die Zeit, in der er spielt. Wie sich die Menschen in Summiswald bewegen – alle mit einer Schuld und Schwere beladen. Menschen eben, welche die Härte des Lebens spüren. Alles sehr authentisch und glaubhaft.
 
Wie sehen deine Film-Reisepläne demnächst aus?
Zwischen Hamburg, Norwegen und Berlin. Ich spiele u.a. in einer ARD-Serie fünfmal 60 Minuten – ein modernes Drama. Dazu eine norwegische Produktion 90 Minuten für den Streamer NENT (Nordic Entertainment Group). Eine wahre Geschichte in Norwegen während des Zweiten Weltkriegs.

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Veröffentlicht März 2022.