Ein Zürcher daheim: Rolf Lyssy vor einem waschechten Mario Comensoli, dem Tessiner Maler, der 1993 verstarb. (Bild: rbr)


Rolf Lyssy – Zürcher Filmemacher vom «Schweizermacher» zum «Eden für jeden»

«Der Kinofilm wird nicht untergehen»

Sein Name ist unauslöschlich mit der liebenswürdigen Gesellschaftskomödie «Die Schweizermacher» verbunden. Über 40 Jahre ist es her, dass der Film die Schweiz begeisterte und zum erfolgreichsten Film avancierte mit über einer Million Zuschauern – bis heute. Das ironische Zeitbild über Schweizer Bürgerlichkeit, Einbürgerung und Liebe mit Emil Steinberger und Walo Lüönd schrieb Kino-Komödiengeschichte. Der Zürcher Filmemacher Rolf Lyssy (84) wird nun am Zurich Film Festival (ZFF) mit einem Preise fürs Lebenswerk geehrt. Wir besuchten den aktiven Filmschaffenden in seiner Zürcher Wohnung, blickten zurück und vorwärts.
Rolf Lyssy kann auf eine lange Karriere zurückblicken und doch wurden ihm nur drei Preise zuteil: 1992 der Fischhof-Preis der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 1975 der Zürcher Filmpreis für den Film «Konfrontation» und 2012 der Schweizer Filmpreis Quartz (Ehrenpreis). Nun verleiht ihm das Zurich Film Festival den Career Achievement Award (Preis fürs Lebenswerk) und feiert die Weltpremiere seines neusten Films «Eden für jeden» (siehe Filmkritik) am 28. September.

Was hast du empfunden, als du von dieser Ehrung erfahren hast?
Rolf Lyssy: Ich habe mich natürlich wahnsinnig gefreut. Erstens bin ich ein Stadtzürcher, zweitens habe ich bis auf «Konfrontation» und «Ein klarer Fall», der Geschichte von Zwahlen, alle Filme in Zürich gedreht. Christian Jungen, der neue Festivaldirektor, lud mich im Dezember zu einem Kaffee auf dem Sechserläutenplatz ein und erklärte mir, seine erste Amtshandlung sei die Überreichung des Career Achievement Award. Ich wollte es zuerst gar nicht glauben – 45 Jahre nach dem Zürcher Filmpreis wieder ein Preis in Zürich!

Gemäss einer Publikumsumfrage ist «Die Schweizermacher» der drittbeliebteste Film in der Schweiz. Im Nachhinein betrachtet – war dieser Film eher Lust oder Last für dich?
Bei diesem Film lernte ich beide Seiten einer Medaille kennen. Du bist der Regisseur des erfolgreichen Film mit über eine Million Zuschauern in der Schweiz, dazu 900 000 in der damaligen Bundesrepublik. Ich hatte natürlich Freude an diesem Erfolg und bin glücklich damit. Klar, wir schwebten ein bisschen auf Wolke 7. Das war natürlich auch Emil, dem bekannten Kabarettisten, zu verdanken. Die Leute standen Schlange.

Wie erklärst du dir diesen Riesenerfolg?
Komödien brauchen Typisierungen. Zum Teil hat man mir Klischees vorgeworfen. In einer Komödie muss man von Sachen reden und sie zeigen, welche die Leute kennen. Sonst können sie nicht lachen. Der Kern eines guten Films ist seine Geschichte. Wenn die nicht funktioniert – auf dem Papier, im Drehbuch – kann man den Film vergessen. Die meisten Fehler bei Kinofilmen, die gemacht werden, passieren bei der Drehbucharbeit.

Du glaubst an den Kinofilm …
Der Kinofilm wird nicht untergehen. Kino ist eine Errungenschaft des letzten Jahrhunderts, eine der grossartigsten kulturellen Errungenschaften, eines der komplexesten Medien. Es spricht den Seh- und Hörsinn und den Verstand an. Es ist das Dreidimensionale, das aber zweidimensional wahrgenommen wird. Filme, die nicht in den Kopf und nur in den Bauch gehen, können selten funktionieren. Filme, die nur im Kopf stattfinden, funktionieren auch nicht. Es braucht einen komplexen Mix. Und den herzustellen, ist sehr schwierig, egal ob es ein Drama, eine Tragödie oder eine Komödie ist. Ich messe dem Drehbuch grösste Bedeutung zu, das hat absolute Priorität bei mir.

Ich komme nochmals auf meine Frage zurück. Wann ist der Erfolg zur Last geworden und warum?
«Schweizermacher» ist dann zur Last geworden, als es um den nächsten Film ging. Ich wurde von allen Seiten gedrängt, jetzt «Schweizermacher 2» zu machen. Meistens gehen Remakes oder Sequels in die Hose. Es gibt wenige Ausnahmen wie beispielsweise «Der Pate I, II und III» oder «Sabrina» von Billy Wilder und das Remake von Sydney Pollack. «Schweizermacher 2» kam für mich nicht infrage, und so waren schnell alle Türen zugesperrt. Ich musste mir eine neue Geschichte einfallen lassen – möglichst mit Emil.

So entstand also «Kassettenliebe» mit Emil …
Mir geht es darum, Geschichten zu erzählen, die etwas mit den Menschen, den Zuschauern zu tun haben. «Kassettenliebe» handelt von Partnerwahl wie schon in meinem ersten Spielfilm «Eugen heisst Wohlgeboren» von 1968. Ich wollte meinen ersten Film nochmals drehen – zwölf Jahre später. Jetzt spielten also Videokassetten eine Rolle. Leute konnten diese in einer Agentur anschauen. Emil spielt einen Kameramann, der in dieser Agentur arbeitet. Die Presse hat den Film vernichtet, obwohl er der grösste Schweizer Erfolg 1981/82 war. Die Presse hat ihn jedoch madig gemacht und mich auf den Boden zurückgeholt.

Wie hast du das verarbeitet?
Ich war nicht glücklich mit dem Film und habe die Fehler gesehen. Meine Freunde, Bekannte sind mir mit Mitleid begegnet. Das tat weh. Im Vergleich zu «Schweizermacher» war «Kassettenliebe» harmlos. Der Film war unterhaltsam und erfolgreich, aber ich war am Boden zerstört. Die Häme, die mir entgegenschlug, und die Schadenfreude haben mir zugesetzt.

Ist das nicht auch typisch Schweizerisch, so auf Erfolg zu reagieren, nämlich mit Neid und Missgunst?
Das kann ich nur unterstreichen. In der Schweiz werden Neid und Missgunst grossgeschrieben. Das habe ich in meiner Karriere erfahren.

Und nun ein neuer Film unter dem schönen Titel «Eden für jeden».
Es ist mein erster und letzter Fernsehfilm dieser Art. Dieses Format wird beim Schweizer Fernsehen abgeschafft. Es gibt im nächsten Jahr nur noch «Tatort» und Serien. Ein Glück, dieser Fernsehfilm ist nun zum Kinofilm mutiert, er startet am 1. Oktober.

Bist du auf dem «grünen» Boden der Tatsachen gelandet? Wie kam es dazu?
Es gibt den Dokumentarfilm «Unser Garten Eden». Mein Drehbuchautor Dominik Bernet, mit dem ich zusammen «Die letzte Pointe», schrieb, wurde vom Fernsehen angefragt, ob es ihn interessieren würde, auf Grund dieses Dokfilms ein Spielfilmdrehbuch zu schreiben. Die Idee kam vom Filmproduzenten Marcel Wolfisberg. Dominik fragte mich, ob wir das zusammen machen wollen. Toll, dachte ich, wenn das Fernsehen den Film finanziert, müssen wir kein Geld suchen. So erfanden wir eine passende Geschichte, und Dominik schrieb ein Treatment. Das Fernsehen fand Gefallen, und im Herbst 2018 lag die erste Drehbuchfassung vor. Dann ging es zügig voran mit vier weiteren Versionen. Dann kam mein Sohn Elia als Kameramann dazu, und wir schrieben die drehreife Fassung. Am 26. Augst 2019 war Drehbeginn, und vier Wochen später musste der Film abgedreht sein.

Der Begriff Eden kann manches assoziieren – vom Nachtclub bis Paradies. Bei eurem Film geht’s aber ganz irdisch zu …
Die Geschichte spielt fast ausschliesslich in einem Schrebergarten, in der Schweiz sagt man Familiengarten. Der Film erzählt eine dramatische Familiengeschichte. Und da die Handlung sich weitgehend in einem Familiengarten abspielt, kann man das wunderbar auch als Komödie erzählen. Gedreht haben wir übrigens im Familiengarten Aussersihl, Zürich.

Hast du persönlich eine Affinität zum Schrebergarten?
Null. Ich bin in auf dem Land in Herrliberg aufgewachsenen. Mein Praktikum als Junggärtner habe ich in der Jugend erlebt. Wir zogen im Sommer 1944 von der Stadt aufs Land. Ich war acht Jahre alt und der einzige jüdische Bub in der Umgebung, war anders angezogen und habe mich gleichwohl schnell integriert. Ich gehörte aber einer anderen Kultur an. Zum Glück waren meine Eltern nicht religiös. Ich ging einmal im Jahr mit meinem Vater in die Synagoge. So kam es, dass ich, geprägt von meinen jüdischen Wurzeln, den Menschen und überhaupt der Gesellschaft schon früh immer mit etwas Distanz begegnete. Wir wohnten wie gesagt in Herrliberg, und jede Wohnung hatte einen Gartenplatz. Dort haben wir Gemüse etc. angepflanzt. Ich war 14 Jahre alt, als sich meine Eltern trennten. Mein Vater ging nach Zürich, und ich musste praktisch den Garten übernehmen mit Tomaten, Bohnen, Beeren usw. – bis 1958. Als 22-jähriger ging ich dann nach Zürich, und es war vorbei mit Gärtnern. Ich war frei.

Zurück zum Garten «Eden». Worum geht’s?
Sechs Figuren bilden den Kern der Familiengeschichte: die leicht demente Grossmutter, die Enkelin, deren Tante und Onkel, die zwei Parzellen bewirtschaften. Der Vater der Enkelin und sein Onkel leben als Winzer in Frankreich auf einem Weingut. Anfangs hatten wir Hazel Brugger als Enkelin vorgesehen, doch die hatte abgesagt. Wir haben uns weiter umgeschaut, Lara Stoll wollte nicht, und andere Stand-up-Comedians standen nicht zur Verfügung. Diese Enkelin sollte eine junge, schräge Figur sein. So castete ich für die Figur der Nelly Steffi Friis, die in meinem vor vier Jahren realisierten Film «Die letzte Pointe» als Verkäuferin in einer winzigen Rolle zu sehen war.

Und wie kam der Pop- und Soulsänger Marc Sway ins Spiel?
Erstens macht er schöne Musik, zweitens hat er brasilianische Wurzeln – das gefiel mir. Marc und sein Agent hatten ruckzuck zugesagt. Er spielt den Gitarrenlehrer und Singer/Songwriter Paolo Cesar Kunz, Bewohner der nachbarlichen Parzelle von Nelly und ihrer Grossmutter Rosemarie, die von Heidi Diggelmann gespielt wird.

Dein Sohn Elia ist auch wieder mit von der Partie …
Ja, als Director of Photography.

Wie ist die Corona-Zeit an dir vorbeigegangen?
Wir haben unheimlich Glück gehabt, weil der Film bereits Mitte Februar fertiggestellt war. Der renommierte Schweizer Verleih Ascot-Elite nahm ihn in sein Programm. Das Fernsehen gab grünes Licht und «Eden für jeden» startet am 1. Oktober in den Deutschschweizer Kinos.

Ein Lucky Punch …
Das war nicht nur ein Lucky Punch, sondern mindestens zwei, denn ich bekomme nicht nur den Career Award, sondern mein Film feiert am ZFF auch seine Galapremiere.

Dir hat die Pandemie also nichts angehabt …
Ich mache seit 50 Jahren Homeoffice und kenne eigentlich nichts anderes. Die positive Seite des Lockdowns wurde mir schnell bewusst: keine Flugzeuge, weniger Verkehr, wenig bis keine Menschen auf der Strasse. Meinen täglichen stündigen Rundgang genoss ich sehr. Natürlich eine absurde Geschichte. Aber die Pandemie zeigt in aller Deutlichkeit, dass der Mensch sich nicht über alles erheben kann, wie manche Politiker und einige Staatspräsidenten in ihrer Selbstgerechtigkeit glauben. Im Gegenteil, der Corona-Virus zwingt die Gesellschaft dramatische, lebensbedrohende Situationen zu bewältigen, die man nicht so auf die Schnelle in den Griff kriegt.

Die Kinos leiden …
In der Tat. Einige Multiplexkinos haben lange geschlossen oder nur an Wochenenden geöffnet. Dagegen haben die Arthouse-Kinos entschieden, trotz massivem Besucherschwund, das tägliche Programm nicht einzuschränken.

Hat die Corona-Krise auch Gutes bewirkt? Welche Lehren sollte man ziehen?
Das Homeoffice-System wird garantiert in Zukunft dafür sorgen, dass weniger geflogen wird. Ein Virus hat die Gesellschaft gezwungen, existenzielle und philosophische Themen zu reflektieren und zu analysieren. Das hat Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf den Markt – der Online-Markt boomt. Ich hoffe, dass die Entschleunigung nicht nur vorübergehend sein wird.

Noch ein Wort zur Komödie – dein Lebenselixier – die nicht nur in Krisenzeiten gut tut …
Es sind die Widersprüche, welche den Menschen zu schaffen machen. Und das ist auch der Kern meines Verständnisses dafür, warum mir die Komödie mit Substanz so wichtig ist. Lachen finde ich wichtig, Lachen ist gesund. Mich interessiert die Schnittstelle zwischen Tragödie und Komödie, da suche ich die Geschichten, und die sind zeit- und grenzenlos. Der Kern ist freilich, dass der Mensch mit seinen inneren, eigenen Widersprüchen nicht fertig wird. Die daraus entstehenden zwischenmenschlichen Probleme und Konflikte, haben mich immer in meinen Geschichten interessiert. Das erklärt auch, warum meine Komödien, im Kern der Geschichten, immer auch die tragische Seite des Menschseins beinhalten.

Es geht also um Widersprüche und Spiegelungen …
Richtig. So entstehen Reibung und dramatische Momente, an denen sich meine Geschichten orientieren.

Was soll man aus deinen Filmen mitnehmen?
Sie sollen zum Nachdenken und Diskutieren animieren. Das ist meine Motivation. Der Film muss von Anfang bis Schluss glaubwürdig sein. Der Zuschauer soll sich gut unterhalten und keine Blähungen im Kopf und im Bauch bekommen.



Retrospektive Rolf Lyssy am ZFF

Im Rahmen des 16. Zurich Film Festivals (24. September bis 4. Oktober 2020) wird Rolf Lyssy der Career Achievement Award verliehen sowie sein jüngstes Werk «Eden für jeden» feiert Galapremiere am 28. September 2020.

Ausserdem bietet ZFF eine Retrospektive von zehn Lyssy-Filmen:

Spielfilme
«Konfrontation» (1974
«Die Schweizermacher» (1978)
«Teddy Bär» (1983)
«Leo Sonnyboy» (1989
«Die letzte Pointe» (2017)

Dokumentarfilme
«Vita parcoeur» (1972)
«Ein Trommler in der Wüste» (1992)
«Schreiben gegen den Tod» (2002)
«Hard(y)s Life» (2009)
«Ursula – Leben in Anderswo» (2011)


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Veröffentlicht September 2020