Fallstudien im Kino (im Uhrzeigersinn): «Friedas Fall»; «Les Courageux»; «Russians at War»; «Tschugger – Der lätscht Fall». (Bilder: ZFF)


20. Zurich Film Festival (ZFF) – 3. bis 13. Oktober 2024

Filme soweit das Auge reicht …

Zürich feiert ein Jubiläum: Das Zurich Film Festival (ZFF) hat sich etabliert und Locarno den Rang abgelaufen, was Premieren, Staraufgebot und Glamour angehen. Die 20. Ausgabe wartet an elf Festivaltagen mit über 100 Filmen auf, darunter zahlreiche Weltpremieren und Schweizer Premieren wie «Friedas Fall», der die Geschichte einer Mörderin aufrollt, wie «Tschugger – Der lätscht Fall», der den Walliser Prolopolizisten nochmals agieren lässt, und der «Landesverräter», der Spielfilm, der das Schicksal eines naiven Schweizer Spions während der Nazizeit behandelt.
 
Den Tanz ums Golden Eye (nicht Kalb) vollführen 14 Dokumentar- und 14 Spielfilme. Einige Beispiele seien herausgegriffen: «Black Box Diaries» behandelt einen «MeToo»-Fall aus Japan; «The Wolves Always Come At Night» dokumentiert das Schicksal einer mongolischen Familie in der Wüste Gobi; «Russians at War» beschreibt den Kriegsalltag russischer Soldaten im Ukraine-Krieg. Diese Reportage sorgte bereits im Vorfeld für Medienaufregung. Die russisch-kanadische Filmerin Anastasia Trofimova hat sieben Monate lang eine russische Truppe begleitet und zeigt das Kriegsgeschehnis aus dieser Perspektive. Der Film dokumentiert, wie die Soldaten manipuliert, im Ungewissen gelassen und verheizt werden. Die einen Kritiker (auf ukrainischer Seite) werfen dem Dokumentarfilm Putin-Propaganda vor, die anderen sehen in ihm einen Antikriegsfilm. Festivaldirektor Christian Jungen setzte sich vehement für Aufführungen am ZFF ein und will so auch eine Plattform für Diskussionen bieten. Wahrscheinlich wird die Regisseurin an einer Diskussion in Zürich teilnehmen. Quasi als «Ausgleich» oder Alternative zeigt das ZFF zwei Filme aus Ukraine-Sicht: «The Invasion» von Sergei Laznitsa über den Kriegsalltag der ukrainischen Bevölkerung (Sektion Border Line) und «Under the Volcano» von Damian Kocur, ein Drama über eine ukrainische Familie in Teneriffa (Spielfilm-Wettbewerb).

Man darf gespannt sein, wie sich der Spielfilm «Les Courageux» aus dem Wallis im Wettbewerb ums Goldene Auge schlägt. Jasmin Gordon schildert, wie eine alleinerziehende Mutter ums Überleben kämpft und ihren Kindern etwas vorgaukelt. Eine Comédie humaine über Armut in der Schweiz. Ausserdem im Wettbewerb u.a. «When We Were Sisters» der Schweizerin Lisa Brühlmann über die Tücken einer Patchworkfamilie, «Brief History of Family», ein Psychothriller des Chinesen Jianjie Lin, «Sister Midnight» von Karan Kandhari, eine Punk-Komödie über eine arrangierte Ehe in Indien, oder «The New Year That Never Came» von Bogdan Muresanu, ein rumänisches Zeitbild.

Für Boulevard-Schlagzeilen des diesjährigen Jubiläumsfestivals sorgen natürlich die Stars, die im Gegensatz zu Locarno zuhauf in die Limmatstadt reisen und neuste Filmwerke mitbringen. Pamela Anderson («The Last Showgirl») erhält den Golden Eye Award, Kate Winslet («Lee») den Golden Icon Award, Alicia Vikander («The Assessment») ebenfalls den Golden Icon. Dazu gesellen sich Schauspieler Jude Law («The Order»), Ralph Fiennes («Conclave»), Richard Gere («Wisdom of Happiness»), Iris Berben («Der Spitzname») oder Regisseur Edward Berger («Conclave»), der mit dem «Tribute to … Award» ausgezeichnet wird.
Ein Schweizer wirbelt mindestens so viel Medienstaub auf wie die genannten Grössen: Emil Steinberger. Der unverwüstliche Komiker, Vorleser und Autor wird mit dem «Lifetime Achievement Award» geehrt. Als Zugabe gibt’s den Dokumentarfilm «Typisch Emil» von Phil Meyer. Ein triftiger Grund zur Freude und zum Lachen!

Filme en masse, die ein grosses Publikum ansprechen. Dabei werden auch zielgerecht Kino-Kids angelockt, beispielsweise mit der holländischen Produktion «Leeuwin» über eine Fussballerin aus Surinam oder mit «Woodwalkers», einem Filmabenteuer, inspiriert von der gleichnamigen deutschen Erfolgsbuchreihe, mit Oliver Masucci, Martina Gedeck, Hannah Herzsprung u.a. Die Autorin Katja Brandis wird die Premiere am 12. Oktober begleiten.

«ZFF … cause life is better with movies» lautet der Slogan der 20. Ausgabe des Festivals, welches manchmal auch «Sprungbrett» zu den Oscars sein kann. Die Erfolgsgeschichte des ZFF kann man im Buch «Hollywood an der Limmat» von Felix E. Müller nachlesen (36 Franken). Wie bereits angetönt: Besser noch ins Kino gehen und abtauchen.
Das diesjährige ZFF-Plakat gestaltete Wim Wenders, gern und oft gesehener Gast am ZFF. Es zeigt eine Wand (Leinwand?) mit Auto. Wenders erklärt: «So ein Jubiläum, 20 Jahre, ist ja schon was Besonderes, und dafür ein Plakat entwerfen zu können, eine Ehre. Das hab' ich in meinem Leben nicht so oft gemacht. Ich hab' in meinen Photos nach Bildern von Kinos gesucht. Da gab‘s 'ne Menge, auch Autokinos. Und dann habe ich Kontaktbögen von der weissen Fassade dieses Drive-Ins in Texas gefunden. Zusammen mit dem alten Schlitten davor hatte das eine ganz eigene Atmosphäre.» Einwand. Autokinos sind (fast) passé, das ZFF lebt gleichwohl zwischen Wirklichkeit und Fantasie.

https://zff.com/de/programm-tickets/filmprogramm


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Veröffentlicht September 2024