Bühnensolist, Sprecher und Schauspieler: Hanspeter Müller-Drossaart (65) bereichert aktuell als Erzähler die Schweizer Filme «Hexenkinder» und «Zürcher Tagebuch». (Bild: rbr)



Hanspeter Müller-Drossaart, Schauspieler, Kabarettist, Komödiant, Erzähler und Literat

Ein Gesamtkunstwerk vervollständigen

Sachlich mit sonorer Stimme, aber mit bewegendem Unterton erzählt er von «zwangsversorgten Heimkindern», die unter religiösem Deckmantel «gedeckelt», heisst drangsaliert, diszipliniert und stigmatisiert wurden. Er ist die Stimme aus dem Off im Schweizer Dokumentarfilm «Hexenkinder» (in den Kinos) von Edwin Beeler. Der Zürcher «Zwingli»-Regisseur Stefan Haupt engagierte den Schauspieler Hanspeter Müller Drossaart auch als «Kommentator» für seinen Film «Zürcher Tagebuch» (Kinostart: 5. November). In Haupts filmischem Essay wiederspiegelt sich Gefühle, persönliche Befindlichkeiten, Begegnungen, Impressionen, die der Regisseur bis zum Beginn der Corona-Krise festgehalten hat. Sein Tagebuch spannt ein assoziatives Netz über Stimmungen, Tendenzen, Wirklichkeiten. Stefan Haupts Texte werden von Müller-Drossaart gesprochen.
Wir trafen den vielseitigen Sprachkünstler und Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart, ursprünglich aus Sarnen, nun in Dietikon ansässig, im Zürcher Hauptbahnhof zu einem intensiven Gespräch.

In rund 50 Kinofilmen und Fernsehproduktionen sind Sie ab 1992 aufgetreten, haben unzählige und haben unzählige Bühnenauftritte absolviert, in Hörspielen mitgewirkt und Off-Kommentare gesprochen. Ihre Stimme ist gefragt. Was reizt Sie, bei Dokumentarfilmen mitzumachen?
Hanspeter Müller-Drossaart: Das Zusammenwirken mit einem Filmkünstler, der mit grosser Begabung und hervorragendem Handwerk seit Jahren seine Arbeit leistet, macht grosse Freude, sei es mit Stefan Haupt, Edwin Beeler, Christoph Schaub und anderen. Wenn man da angefragt wird, heisst das, man kommt in einen Qualitätsstandard hinein, den man sich gar nicht erarbeiten könnte. Da kann man mithelfen und ist eingeladen, so ein Gesamtkunstwerk zu vervollständigen.

Wie weit können Sie sich in solche Produktionen einbringen?
In dem Moment, wo man sich findet, hat man das Vertrauen. Man kennt sich ja und kann im Dialog Verbesserungen anstreben.

Arbeiten Sie als Sprecher und Erzähler, arbeiten Sie mit dem Bild …
Ja. Es ist ein Teamwork mit dem Bild, wobei ich nur ein Teil davon bin. Die Bildwahl, das Thema ist die Arbeit des Regisseurs. Insofern beeinflusse ich die Arbeit nicht und versuche, sie zu vervollständigen, eine Farbe dazuzugeben.

Wie war das im Fall des «Zürcher Tagebuchs»?
Ich halte Stefan Haupt sowohl in den Bildern als auch in der Sprachfindung für einen Poeten. Er kann unglaublich sprachliche und optische Bilder finden, von da her kann ich nur vervollständigen. Es ist nicht meine Arbeit, das in Frage zu stellen, sondern die Bilder stimmlich zu erweitern. Ich komme von aussen und kenne den ganzen Prozess nicht, kann aber die Bilder erkennen. Und das ist sehr hilfreich für mich.

Zum Schluss des Films kommt auch noch die Corona ins Spiel. Was bewirkt diese Krise? Es stellen sich existentielle Fragen …
Vielleicht haben wir lange etwas verpasst bei unserer ungeheuren Freude am Immer-noch-mehr-Haben-Müssen und müssen verzichten wieder lernen.

Kommt Ihnen die Entschleunigung infolge der Pandemie zu Pass?
Abgesehen vom Finanziellen, war diese Zeit des Homeoffice nicht nur hinderlich. Man konnte einen anderen Rhythmus finden. Nicht das Rasende, sondern das Ruhende war angesagt.

Die Theater öffnen wieder. Was läuft mit Ihren Programmen?
Es geht wieder los. Ich habe bereits im August den «Bajass» gespielt, es waren natürlich weniger Leute da, aber das Haus fühlte sich trotzdem voll an.

Aktuell sind Sie auch mit dem «Trafikant» unterwegs.
Ja, den habe ich vierzigmal gespielt und spiele ihn weiter.

Ihre Stimme ist gefragt, Ihr Erzähltheater ist gefragt. Wie sieht es mit dem Film aus?
Wir drehen im Herbst wieder einen «Bozen Krimi», den dreizehnten seit 2014.

Im Fernsehen boomen die Regionalkrimis – von Usedom über Istanbul und Bozen bis Zürich. Wie gefällt Ihnen das?
Fernsehen ist wie der Gärtner, Bäcker oder Grossverteiler ein Dienstleister. Da wollen viele Menschen solche Geschichten und gleichzeitig etwas von der Welt sehen. Diese Krimireihen funktionieren – mal so oder mal so.

Sie kommen ursprünglich aus Obwalden und sind ein Phänomen in Sachen Dialekte.
Ja, das ist eine wunderbare Macke, die mir sehr hilft. Ich bin aber nur ein halber Obwaldner, die Mutter kommt aus Nidwalden. Mir gefallen solche Rollen wie der Südtiroler Polizist. Man kennt sich.

Im nächsten Jahr wird der 100. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts gefeiert. Und Sie sind dabei mit einer szenisch-musikalischen Lesung …
Ich arbeite seit Jahren mit Musiker zusammen. Jetzt habe ich Matthias Ziegler aus Stäfa kennengelernt, der seine Blasinstrumente erfindet. Er ist ein Virtuose und gottgefälliger Improvisator. Wir werden die Erzählung «Die Mondfinsternis» von Dürrenmatt, die als Vorlage für den «Besuch der alten Dame» diente, am 15. Januar in Stäfa aufführen, sozusagen im Doppelklang Sprache und Musik. Dann gehen wir auf Tournee.

Sprache ist Ihr Metier, Ihr Kunsthandwerk. Wen oder was würden Sie gern sprechen, spielen?
Ich würde gern einmal den Shakespear'schen Kosmos ins Spiel bringen und mir dazu ein paar Rollen aussuchen. Wie kann man so viel Energie wie Jago aufbringen, um Menschen zu zerstören? Wie kann man nicht merken, als uralter Vater wie Lear betrogen zu werden? Oder wie spielt man als älterer zurückblickender Schauspieler Hamlet? Liebend gern würde ich auch den Richter Adam im «Zerbrochenen Krug» von Kleist spielen.

Nun sprechen Sie ja nicht nur, sondern schreiben auch. Was erwartet uns?
Im Oktober erscheint das Buch «steile flügel», Gedichte parallel in Mundart und Hochdeutsch. Im Sinne einer Überschreibung.

Die Pandemie hat uns noch länger im Griff. Was wünschen Sie sich in dieser Beziehung?
Ich wünsche mir, dass ein Postulat, das wir aus dem künstlerischen Metier seit Jahren mit uns herumtragen, eine grössere Nachhaltigkeit erhält. In Zeiten, wo die Menschen nur unter erschwerten Bedingungen herausgehen können, muss man die Institutionen und Möglichkeiten, Kultur zu erleben, stärker unterstützen. Das grosse Netz an Kleinveranstaltungen, die wir in der Schweiz haben, muss man unbedingt erhalten, verbessern und unterstützen. Wir müssen zurück zu den kleinen Formen und kleinere Pakete schnüren.

Kurz und knapp – wie würden Sie Ihren Charakter umschreiben?
Ich bin vielleicht ausufernd, begrenzt geduldig, unbegrenzt kindlich und begeisterungsfähig.



Hanspeter Müller-Drossaart

Geboren am 21. September 1955 in Sarnen
Sternzeichen: Jungrau
Verheiratet, zwei Kinder

Aktivitäten
4.–10. Oktober 2020 in Bozen
Dreharbeiten zum «Bozen-Krimi» ARD
 
18. Oktober 2020 in Amsteg
«Der Witz - die unterschätzte literarische Gattung»
Zusammen mit Urs Heinz Aerni

21. Oktober 2020 in Buchrain LU
«Wotsch wüsse wär i bii…»
Eine klingende Reise durch die Schweizer Landschaften!

22. Oktober 2020 in Sarnen
Symposium Schärme

23. Oktober 2020 in Kriens
«Wotsch wüsse wär i bii…»

24. Oktober 2020 in Männedorf
«Der Trafikant»

25. Oktober 2020 in Zofingen
Literaturtage Zofingen

26. Oktober 2020 in Zürich
Buchpräsentationen Wolfbach Verlag
Vorstellung «steile flügel»
Theater Stok um 19 Uhr
 
27. Oktober 2020 in Muttenz
Lesung «Der Mensch im Gebirge»
 
28. Oktober 2020 in Altdorf
Lesung «gredi üüfe» Kiwanis
 
30. Oktober 2020 in Affoltern am Albis
«Bajass» im La Marotte

31. Oktober 2020 in Sursee
«Bajass» im Somehus

5. November 2020 in Niederhasli
«Der Witz – die unterschätzte literarische Gattung»
Zusammen mit Urs Heinz Aerni
Mediothek um 20 Uhr
 
7. und 8. November 2020 in Burgdorf
Szenische Lesung C. A. Loosli «Die Schattmattbauern»
Anlässlich der Krimitage

9. November 2020 SRF / 3sat
Literaturclub Aufzeichnung
 
14. November 2020 in Flüeli OW
«Chilbitanz», Pax Montana

19. November 2020 in Schwyz
«Der Witz – die unterschätzte literarische Gattung»

20. November 2020 auf dem Bürgenstock
«Chilbitanz», Lesung mit Musik, Hotel Honegg

22. November 2020 in Muothatal
Lesung im Hotel Alpenblick

24. November 2020 in Gstaad
Lesung im Hotel Ermitage

27. November 2020 in Rümlang
«Wotsch wüsse wär i bii …»
 
2. Dezember 2020 in Thalwil
«Der Witz – die unterschätzte literarische Gattung»

5. Dezember 2020 in Frick
«Wotsch wüsse wär i bii …»

9. - 13. Dezember 2020 in Zürich
«Bajass«» im sogar Theater

21. Dezember 2020 in Flims
Lesung Beethoven

9. Januar 2021 in Sarnen
«Bajass», Kollegibühne

15. Januar 2021 in Stäfa
Lesung «Salon Dürrenmatt»

21. Januar 2021 in Baar
«Der Witz – die unterschätzte literarische Gattung»
Um 9:00 Uhr in der Rathus-Schüür (Donschtig Träff)

12. März 2021 in Altdorf
«Bajass» im Theater Uri

19., 20. März 2021 in Baden
«Bajass» im ThiK Theater

26.–29. Mai 2021 in Wädenswil
«Bajass» im Theater Ticino


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Veröffentlicht September 2020