Glanzlichter im Kino von Belfast bis Kirgisien. Favoriten für Oscar und Quartz: «Ala Kachuu» aus der Schweiz (Bild oben); «Belfast», Kindheit in Irland, und «The Power of the Dog», moderner Western aus Australien (Bilder mitte); Jugend im Rausch in «Soul of a Beast» aus der Schweiz. (Bilder: DCM Film, Universal, Netflix, Ascot Elite)


Quartz und Oscars 2022

Zwischen Brautraub und Jugendrausch

Es ist eher selten, dass ein Schweizer Film für den begehrten Oscar nominiert wird. Jetzt ist es wieder soweit: «Ala Kachuu – Take and Run» von Maria Brendle ist im Rennen. Die Verleihung findet am 27. März in Los Angeles statt. Zuvor werden die Schweizer Filmpreise Quartz am 25. März in Zürich verliehen.

Es ist schon seltsam mit dem Schweizer Filmpreis – nicht nur in diesem Jahr. Die 476 Mitglieder der Schweizer Filmakademie legen Nominationen vor, die nur bedingt befriedigen können. Zu bemängeln ist etwa das fragwürdige Timing. Die Nominierten stehen für 2022, doch wo bleiben Filme wie «Die Schwarze Spinne», die erst noch in den Kinos starten? Wo findet sich der Kurzfilm «Ala Kachuu» von Maria Brendle, zwar 2020 realisiert, aber nun für einen Oscar nominiert? Coronabedingt wurde 2020 kein Preis für Kurzfilm verliehen, aber was heisst das …? Hausgemachte Probleme begleiten das Quartz-Prozedere seit Jahren zu den verschiedenen Standorten wie Solothurn, Luzern und Genf bis Zürich. Der «Nominations-Event» wurde wieder im Rahmen der Solothurner Filmtage 2022 eingebaut. Kein wirkliches Ereignis.

Auffällig ist auch, dass gewisse Spielfilme wie das Ausbrecherstück «Stürm: Bis wir tot sind oder frei» oder das Geiseldrama «Und morgen seid ihr tot» etwas stiefmütterlich berücksichtigt wurden – immerhin wurden Marie Leuenberger und Joel Basman (beste Darsteller für «Stürm») und Sven Schelker (im Geiseldrama) nominiert.
Bei den besten Spielfilmen ist kein Kinorenner dabei. «Azor» von Andreas Fontana schlug keine grosse Publikumswellen. «La Mif» von Frédéric Baillif und «Wet Sand» von Elena Naveriani müssen erst noch in Deutschschweizer Kinos Fuss fassen. Der Spielfilm «Olga» von Elie Grappe über eine emigrierte Turnerin aus der Ukraine hat traurige Aktualität gewonnen und überzeugt. Der Favorit «Soul of a Beast» von Lorenz Merz steht an der Spitze mit acht Nominationen, darunter Bester Spielfilm, Beste Darstellerin (Ella Rumpf), Bester Darsteller (Pablo Caprez) und Beste Nebenrolle (Luna Wedler). Der Film wurde im Januar am Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken zweimal ausgezeichnet; für Beste Regie und Bester Darsteller/Nachwuchs (Pablo Caprez). Der Kinostart für das rauschartige Jugenddrama ist am 14. April vorgesehen.

Andere Filme fehlen, wie der Spielfilm über den Tessiner Kultort «Monte Verità – Der Rausch der Freiheit» von Stefan Jäger oder die französisch-schweizerische Koproduktion «Presque», das beste Roadmovie seit Jahren, von Bernard Campan und Alexandre Jollien. Eine fragwürdige unbefriedigende Auswahl.

Stark wie gewohnt sind die Dokumentarfilme: «Apenas el Sol», eine Hommage an einen aussterbenden Indianerstamm in Paraguay, «Dida», ein bewegendes Bild über einen Mann und drei Frauen, «Les guérisseurs», Einblicke in die Situation praktizierender Ärzte heute und morgen, «Ostrov – Die verlorene Insel» über den Überlebenskampf russischer Fischer auf der Insel Ostrov, «Réveil sur Mars», die Vision eines marsbegeisterten Jungen. Mein Favorit: «Dida».
 
Beim Oscar 2022 herrschen klare Verhältnisse. Drei Frauen – Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Suykes – moderieren die Gala im Dolby Theatre, Los Angeles. Acht Kategorien stehen zu Gebote. Spitzenreiter ist der etwas andere Western aus Australien-Neuseeland: «The Power of the Dog» von Jane Campion wurde zwölfmal nominiert, u.a. für Besten Film, Regie, Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch, Nebendarsteller Jesse Plemons und Nebendarstellerin Kirsten Dunst. Die zweitmeisten Nominationen erhielt das SF-Abenteuer «Dune» (10; u.a. Bester Film/Produktion, Beste Kamera Greig Fraser). An dritter Stelle folgen «Belfast» und «West Side Story» (je 7 Nominationen). In der Kategorie Bester Film sind «King Richard» und «West Side Story» zu favorisieren. Regisseurin Jane Campion («The Power of the Dog») könnte Kenneth Branagh («Belfast») knapp schlagen, aber vielleicht schafft auch der japanische Film «Drive My Car» von Ryusuke Hanaguchi eine Überraschung.

Als Beste Hauptdarsteller dürften Will Smith («King Richard») und Benedict Cumberbatch («The Power of the Dog») den Oscar unter sich ausmachen. Weitere Favoriten aus meiner Sicht: Kristen Stewart in «Spencer» (Hauptdarstellerin). Jesse Plemons in «The Power of the Dog» (Bester Nebendarsteller) und Judi Dench in «Belfast» (Beste Nebendarstellerin). Interessant auch, wie Van Morrison mit dem Filmsong «Down to Joy» aus «Belfast» abschneiden wird. In der Kategorie Bester Kurzfilm hat der Schweizer Beitrag «Ala Kachuu» von Maria Brendle sehr gute Chancen. Ihr Spielfilm zeigt, wie eine junge Frau in Kirgisien geraubt und zwangsverheiratet wird, wie sie sich auflehnt und versucht, sich zu befreien und ihren eigenen Weg zu finden. «Ala Kachuu» bedeutet Brautraub und ist in Kirgisien trotz offiziellen Verbots noch immer gang und gäbe.


Zurück


Veröffentlicht März 2022