Neustart für «Wanda, mein Wunder». Regisseurin Bettina Oberli begleitet ihre gesellschaftskritische Sozialkomödie: Eine polnische Pflegerin mischt eine wohlbetuchte Familie am Zürichsee auf. (Bild: Anita Affentranger)


Bettina Oberli drehte «Wanda, mein Wunder»

Distanz und Nähe –
Chaos in der Familie

Ihr Film «Wanda, mein Wunder» eröffnete das 16. Zurich Film Festival letztes Jahr. Dann musste der Kinostart infolge der Pandemie mehrmals verschoben werden. Nun ist es endlich so weit: Bettina Oberlis gesellschaftskritische Komödie startet zur Tour de Suisse. Wir sprachen mit der Berner Regisseurin via Skype.

Zur Filmkritik

Es war ein langer Weg zum Neustart ihres Films «Wanda, mein Wunder». Wie haben Sie diese Zeit überstanden?
Bettina Oberli: Der Film wurde in eine Art Winterschlaf versetzt. Es war wichtig, die Balance zu finden – zwischen Zurückhalten und Wachhalten, welche die Produktion und der Verleih finden musste. Indes hat der Film international einen längeren Weg von Zürich nach Tribeca, Vancouver und so weiter hinter sich. Natürlich überwiegend virtuell, darum ist es jetzt schön, dass es nun mit Publikum losgeht. Der Film läuft jetzt in den USA und in der Türkei. Ich hätte gern auch dort eine Kinotour gemacht, aber das ist eben momentan nicht so leicht möglich. Darum freue ich mich, jetzt in der Schweiz dabei zu sein.

Der Film wird auch in Polen starten, klar, denn ein Teil der Geschichte betrifft eine polnische Familie. Wissen Sie schon einen Termin?
Nein noch nicht. Sie warten ab. Ich weiss, dass der Film in Deutschland und in Österreich am 12. Dezember in die Kinos kommen soll.

Gab es in der langen Phase des Wartens Solidaritätsakte unter Filmschaffenden?
Es gab Initiativen von Produzenten und der SRG, diese Kurzfilm-Lockout-Collection zu realisieren. Sehr kurz, sehr konzentriert mit einem fixen Budget. So entstanden zwei Staffeln. Ich war selbst mit einem Kurzfilm beteiligt. Da konnte man mal wieder sehen, wie toll es sein kann, trotz zeitlicher und budgetmässiger Begrenzung, kreativ zu sein.

Wann waren Sie denn das letzte Mal im Kino?
Vor ein paar Wochen zur Premiere von «Das Mädchen und die Spinne».

Welche Beziehung haben Sie zu diesem Spielfilm und hat er Ihnen gefallen?
Extrem gut. Sehr stilsicher, abgründig, lustig und böse. Einer der beiden Filmemacher, Ramon Zürcher, war ein Student bei mir an der Kunsthochschule in Bern.

Welche Erwartungen setzen Sie auf den Neustart?
Ich habe keine Ahnung. Man muss mal schauen. Ich glaube, der Hunger und die Lust aufs Kino kehren zurück.

Ihr Film ist aktueller denn je. Fremdarbeit ist immer ein Thema in der Schweiz. Sie haben den Schauplatz Familie gewählt, in die sich eine Polin für eine begrenzte Zeit «eingenistet» hat. Aus der Fremden wird eine Vertraute. Wanda bringt Bewegung und Chaos in die Familie, bewirkt Wunder. Wie hat sich diese Geschichte entwickelt?
In vielen Gesprächen bin ich mit dem Produzenten Reto Schaerli auf das Thema der 24-Stunden-Betreuung gestossen. Das schien uns ein Stoff, der nicht nur schweizerisch, sondern universell ist, und der sich in eine Familiengeschichte einbetten lässt. Wir waren uns schnell einig, kein Sozialdrama zu entwickeln, sondern uns der Thematik mit Humor anzunähern und das Ganze zu überspitzen.

Die Pflegerin Wanda, gespielt von der Polin Agnieszka Grochowska, ist Dreh- und Angelpunkt …
Sie ist die Figur, die zu Veränderungen in einer gut situierten Schweizer Familie führt.

Im Film geht es um zwei Familien, zwei unterschiedliche Stände oder Klassen, um Dienstleistungen und Klassenunterschiede, um West und Ost.
Das könnte man so sagen. Der Film handelt auch vom Auseinanderdriften und Näherkommen, von Nähe und Distanz in einer Familie.

«Wunder gibt es immer wieder» sang Katja Epstein 1970. «Wunder» gibt's auch in Ihrem Film. Wie würden Sie «Wanda, mein Wunder» beschreiben – ein Familiendrama, Liebesfilm, Sozial- und Gesellschaftskomödie?
Der Film ist insofern eigenartig – in dem Sinn, dass er mit den Genres spielt und sie mischt. Das ist auch etwas Zeitgemässes, dass sich diese Grenzen auflösen. Es bereitete mir Freude, die Genre-Erwartungen zu unterlaufen. Die Ausgangssituation war eigentlich unwitzig. Mir war es aber sehr wichtig, in eine andere Richtung zu lenken – mit Humor.

Wie geht's weiter im Filmbusiness, und was erhoffen Sie sich vom Kino – nach der Pandemie?
Es wird sich schon etwas verändern und die Entwicklung zur Digitalisierung beschleunigen. Es eröffnet aber auch Chancen, ein Publikum über das Kino hinaus zu erreichen. Filme auch online zugänglich zu machen, wird immer wichtiger werden.

Wie sehen Ihre Pläne und Projekte fürs Theater, Kino oder Schreiben aus?
Ich habe die Zeit genutzt, um neue Stoffe zu entwickeln. Jetzt habe ich ein Angebot aus München erhalten: eine sechsteilige Dramaserie um eine Familie – mit Jens Albinus («Schwesterlein»). Eine ARD-Produktion. Die Dreharbeiten beginnen im September.

Wie geht's weiter im Theater?
Die Oper, die wir in Luzern inszenieren wollten, hat der Lockdown gestoppt. «Eugen Onegin» von Pjotre (Peter) Tschaikowsky ist immer noch bereit – mit grossem Aufwand, Orchester und Chor. Das geht erst wieder, wenn die Einschränkungen fallen. Kulissen und Kostüme sind eingelagert. Ich hoffe sehr, dass es zur Aufführung kommt. Mir hat die Arbeit sehr viel Freude gemacht.



Daten und Fakten
Bettina Oberli, am 6. November 1972 in Interlaken geboren, in Samoa und Meiringen aufgewachsen. Sie lebt zurzeit in Zürich. 1995 bis 2000 Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. 2000 HGKZ-Diplom als Filmregisseurin.
Filmauswahl: «Im Nordwind» (2004), «Die Herbstzeitlosen» (2006), «Tannöd» (2009), «Private Banking» (zweiteiliger TV-Film, 2017), «Le Vent Tour» (2018), «Wanda, mein Wunder» 2020),
Operninszenierung in Luzern «Eugen Onegin» (2020)

Kinoauswertung «Wanda, mein Wunder», Vorpremieren ab 27. Mai in Basel, Bern, Biel, Biel, Luzern, Zürich.
Offizieller Kinostart am 3. Juni.
Parallel zur Premiere am 3. Juni im Kosmos, Zürich, mit Bettina Oberli und Cast: Livestream-Angebot via
https://www.filmlivestreaming.ch/de/home/


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Veröffentlicht Mai 2021