Platzspitzbaby

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Mutter überfordert, Tochter alleingelassen: Die Fixerin (Sarah Spale) hat jeglichen Halt verloren und droht, ihre Tochter Mia (Luna Mwezi) mit in den Abgrund zu ziehen. (Ascot)



Lausiges Leben am Abgrund


Die berüchtigte Drogenszene am Platzspitz in Zürich wird 1995 geräumt. Was passiert danach? Michelle Halbheer hat ihre eigenen Erfahrungen in einem Buch verarbeitet, Pierre Monnard hat den Stoff verfilmt. Eine drogenabhängige Mutter wurde quasi aufs Land verbannt und versucht, irgendwie durchzukommen – mit ihrer Tochter im Schlepptau. Nein, «Platzspitzbaby» ist keine Kopie oder Replik auf die «Kinder vom Bahnhof Zoo», dem Film um «Christiane F.» und Berlin um 1975. Das Schweizer Drogendrama spielt zwanzig Jahre danach. Es geht kurz um die offene Zürcher Platzspitz-Drogenszene und deren Auflösung im Februar 1995. Die eindrücklichen Aufnahmen bilden nur den Auftakt und bleiben Randerscheinungen. Michelle Halbheers Buch «Platzspitzbaby» von 2013 diente Regisseur Pierre Monnard quasi als Material. Der Film hält sich, wie erwähnt, nur flüchtig mit der Zürcher Szene auf, es geht es um ein persönliches Schicksal, eine Fallstudie.

Die Junkie-Mutter Sandrine (Sarah Spale) und ihrer elfjährigen Tochter Mia (Luna Mwezi) suchen ihr Heil notgedrungen auf dem Land. Die Fixerin hangelt sich von Tag zu Tag, von Droge zu Droge, benutzt Mia, verspricht, vertröstet, verkommt. Diese sucht die Nähe einer Jugendgang, einer Freundin und flüchtet sich in eine Wunschwelt.
Eigentlich ist es eine schmutzige und trostlose Welt, die Hölle auf Erden, die Monnard beschreibt, freilich gnädig abmildert und dabei phasenweise ins Phantasievolle (bei Mia) flüchtet. Man wird das Gefühl nicht los, als wäre diese Wirklichkeit auf ein erträgliches Mass gefiltert worden. Es bleibt ein (gespieltes) Filmdrama, das sich um dokumentarischen Touch bemüht, aber selten tiefer berührt.

«Platzspitzbaby» sendet Signale, das Drogendrama ist kein Unterhaltungsstoff, eher Mahnung und Moralappell. Besonders junge Zuschauer, aber auch Erzieher, Pädagogen und Eltern sind gefordert. Es ist Anstoss und Warnung zugleich. Respekt muss man, unabhängig von der filmischen Umsetzung, der Darstellerin Sarah Spale zollen, die anders als in der TV-Krimireihe «Wilder» keine Sympathieträgerin ist, sondern eine haltlose kaputte Mutter verkörpert. Tochter Mia sieht als «Platzspitzbaby» nur einen Ausweg: die Flucht. Jungschauspielerin Luna Mwezi ist eine Entdeckung und Wucht als Mia. Regisseur Pierre Monnard («Wilder») hat es geschafft, seine «Kommissarin» Spale «umzudrehen» und zu überzeugen, sich in eine Drogensüchtige  zu verwandeln, die als abgefahrene Mutter keinen Sympathiebonus geniesst.


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Schweiz 2020    
100 Minuten

Regie: Pierre Monnard
Buch: André Küttel
Kamera: Darran Bragg

Darsteller: Sarah Spale, Luna Mwezi, Delio Malär, Jerry Hoffmann


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