Ein Berserker auf der Bühne: Lars Eidinger brilliert seit zehn Jahren als «Hamlet» in Berlin. (Schaubühne Berlin, Arno Declair)

 

«Interpretieren statt imitieren»

Er ist einer der Topschauspieler Deutschlands und omnipräsent: Der Berliner Lars Eidinger (42) begeistert als «Hamlet» und «Richard III.» an der Schaubühne seit Jahren, wirkt bei der Erfolgsserie «Babylon Berlin» mit und agiert als Bertolt Brecht in «Mackie Messer». Ausserdem tourt er auf dem Mofa im Kinofilm «25 km/h» durch Deutschland. Lars Eidinger – das ist ein Phänomen auf Bühnen und vor Kameras, ein «Gesamtkunstwerk», wie der «stern» schrieb.

Wie schafft man das – Shakespeare-Helden mit gewaltigem Textvolumen nicht nur eine Saison zu spielen, sondern über Jahre? Am 27. Dezember wird Lars Eidinger zum 200. Mal als «Richard III.» über die Berliner Schaubühne toben. Seit zehn Jahren ringt er als «Hamlet» um Sein oder Nichtsein auf ebendieser Bühne, der er seit bald zwanzig Jahren treu ist. Im Textlernen sei er gar nicht so gut, wohl aber im Training, erklärte Lars Eidinger im Telefongespräch. Und je länger man spiele, desto freier werde man und routinierter – im positiven Sinn. Es kann auch vorkommen, dass Eidinger kurz aus seiner «Hamlet»-Rolle schlüpft und sich direkt ans Publikum wendet. Verfremdung à la Brecht, von dem noch die Rede sein wird. Beim Theater könne man immer mal etwas ausprobieren, dann wird's nicht nie langweilig Und welche Rolle spielt das Publikum dabei? «Eine sehr wichtige.»
Doch das direkte Publikum fehlt beim Film. «Beim Film bieten die Kollegen Resonanz», so Eidinger, «da ist man 100prozentig vom Gegenspieler abhängig.»

Theater und Film sind zwei Paar Schuhe. Wie sieht das der Schauspieler Eidinger? «In das Kino kann man nur reingucken, im Theater aber auch raus.»
Diese verschiedenen Ebenen Theater, Illusion, Wirklichkeit arbeitet der Brecht-Kenner Joachim A. Lang in seinem Spielfilm «Mackie Messer – Brechts 3Groschenfilm» heraus. Ein vielschichtige Werk (siehe Filmkritik), das im Kern beschreibt, wie Bertolt Brecht (Lars Eidinger) und Kurt Weill (Robert Stadlober) 1928 «Die Dreigroschenoper» auf die Bühne stellen, wie «Mackie Messer» alias Macheath (Tobias Moretti) Polly (Hannah Herzsprung), Tochter des Bettlerkönigs Peachum (Joachim Król), freit und dem Polizeichef Tiger Brown (Christian Redl) ausgeliefert wird. Die Rahmenstory dreht sich um die Filmproduktion, auf die sich Brecht einlässt, die ihm aus den künstlerischen Händen genommen wird und in einem Prozess endet, den Brecht verliert. Regisseur Lang verschmilzt Theater, Film, Berlin und London, Fiktion und Realität und schafft so ein Stück Brechtscher Wirklichkeit. Faszinierend für Kenner, sehenswert für Kulturliebhaber.

Brecht, das ist eine literarische und politische Grösse, zu der es eine Unmenge an Material gibt – wie geht ein Schauspieler damit um? Wie hat sich Lars Eidinger dieser Kulturlegende genähert, sich zueigen gemacht? «Ich bin ein Brecht-Fan, er ist mir sehr nah, und ich hatte Bedenken, dass dadurch das Verhältnis gestört wurde», meinte Eidinger. «Ich habe mich an der Figur abgearbeitet, wollte sie nicht imitieren, sondern interpretieren, sie stilisieren. Wie Brecht Kunst beschreibt, entspricht auch meiner Auffassung.»
Brecht hatte eine eigene Erwartung und Beurteilung von Film, nimmt eine ganz andere Stellung als die Produzenten ein. Er will die «Dreigroschenoper» weiterentwickeln, die Nero-Film AG indes den Bühnenerfolg fürs Kino abbilden und eins zu eins adaptieren. «Es wäre Unfug, Elemente eines Theaterstücks wenig verändert zu verfilmen», behauptete Brecht und brach seine Mitarbeit an der Filmproduktion ab.

Brecht und Film – wie beurteilt Eidinger den Film? «Brecht wollte analytisches Publikum, das sich nicht einfühlt. Er hat den Zuschauer ernst genommen. Während die Propaganda-Maschine der Nazis den Zuschauer wieder für dumm verkauft hat, indem sie ihn durch perfekte Illusion blendet.»
Die Zwanzigerjahre, in denen «Die Dreigroschenoper» in Berlin und im Ausland gigantische Erfolge feierte, werden jetzt wieder entdeckt – auch die TV-Serie «Babylon Berlin» trägt ihren Teil dazu bei. «Ich habe das Gefühl, wir waren da schon mal – auch was gewisse Erscheinungen heute angeht wie Rechtspopulismus und mehr», glaubt Eidinger.

Nicht düster oder historisch geht es im aktuellen Film «25 km/h» mit Lars Eidinger zu (siehe Filmkritik), sondern lebenslustig, abenteuerlich. Am Begräbnis des Vaters treffen sie sich im Schwarzwald wieder: Global-Bürger und Topmanager Christian (Eidinger) und sein Bruder, der Tischler Georg (Bjarne Mädel), der den väterlichen Betrieb daheim übernommen hat. Man hat sich fast 30 Jahre nicht mehr gesehen. Georg ist sauer, lässt sich dann aber überreden, eine Mofa-Fahrt nachzuholen, welche die beiden dazumal nicht gemacht hatten. Mitten in der Nacht düsen sie los ohne Helm, aber mit einem Ziel, die Ostsee. Mit ihren fahrbaren Untersätzen, einem Chopper und einer alten Zündapp, tuckert das Paar mit 25 km/h durch Deutschland. Dabei passieren herrlich komische Begegnungen. Die Brüder beweisen dabei sehenswerte Fähigkeiten beim Mofa-Fahren, Tischtennis und Stepptanz.

Das sieht im Film sehr professionell aus. Wie haben Sie das gemacht, Lars Eidinger? «Fürs Tischtennisspielen hatten wir professionelle Hilfe durch den Trainer der amerikanischen Frauen-Olympiamannschaft und durch einen Topspieler aus der Bundesliga. Aufs Steppen hatte ich nicht richtig Lust. Das ist viel schwieriger, als es aussieht», berichtete der Schauspieler. «Bis die Schrittfolge so leichtfüssig aussieht, ist viel Training erforderlich. Am Schluss waren wir begeistert.» Man sieht es der kurrligen Komödie an: Alle hatten Spass an dem Slow-Roadmovie «25 km/h», das schlussendlich nicht nur an die Ostsee, sondern auch nach Berlin führt.

Eidinger ist ein Berliner Kind. Ist Berlin ein guter Nährboden? Lars Eidinger: «Eigentlich bin ich aus Berlin nicht rausgekommen – bis auf Gastspiele und Dreharbeiten. Wenn ich St. Gallen oder Bodensee höre, werde ich ganz sentimental.» Da klingt eine gewisse Sehnsucht an über die Spree hinaus. Und wie geht's weiter? «Ich habe gut zu tun und bin für 2019 so gut wie ausgebucht. Zurzeit drehe ich in Weissrussland.»
In Deutschland startete bereits «Abgeschnitten» im Kino, ein Thriller nach dem Roman von Sebastian Fitzek. Eidinger spielt einen Sadisten. Im Sciencefiction-Abenteuer «High Life» verkörpert Eidinger den Raumschiff-Kapitän Chandra. Das dürfte spannend werden.



Lars Eidinger


Geboren am 21. Januar 1976 in (West-)Berlin. Sternzeichen: Wassermann. Vater Ingenieur, Mutter Kinderkrankenschwester. Ein Bruder.

Aktiv an der Theater-AG an der Oberschule. 1995 – 1999 Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, zusammen mit Nina Hoss, Devid Striesow, Fritzi Haberlandt u.a. Engagements am Deutschen Theater, Berlin, und an den Kammerspielen, München.

Ab 2000 Schaubühne, Berlin, Schauspieler u.a.:
«Das Kontingent» (Debüt), 2002 «Macbeth» (als Malcolm), 2003 und 2006 «Nora» (Dr. Rank), 2004 «Nora» (Schauspielhaus Zürich), 2008 «Hamlet» (Berliner Schaubühne, bis heute), 2010 «Der Menschenfeind», 2011 und 2012 «Mass für Mass», 2011 und 2012 «Dämonen», 2013 «Tartuffe», 2015 «Richard der III.» (bis heute).

Theaterregisseur:
2008 «Die Räuber» an der Schaubühne, 2013 «Romeo und Julia».

Schauspieler im Film/TV u.a.:
2002 «Schloss Einstein» (zwei Folgen); 2007 «After Effect», Kinodebüt. 2008 «Torpedo; »2009, 2010, 2013 «Polizeiruf 110»; 2010, 2012, 2016 «Tatort»; 2011 «Hell» vom Schweizer Tim Fehlbaum; 2013 «Der Wagner-Clan»; 2014 «Die Wolken von Sils Maria»; 2015 «Nora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern» von der Schweizerin Stina Werenfels); 2017 «Babylon Berlin», Fernsehreihe; 2018 «Mackie Messer»; 2018 «Werk ohne Autor»; 2018 «Hihk Life» 2018 «Abgeschnitten».

Preise:
2013 Preis der deutschen Filmkritik: Bester Darsteller in «Was bleibt» und für «Tabu – Es ist die Seele eine Fremdes auf Erden» (als ; 2014 Grimme-Preis für «Grenzgang»; 2018 Österreichischer Filmpreis Bester Darsteller für «Die Blumen von gestern».

Eidinger arbeitet auch als Musiker und DJ, etwa in der Schaubühne unter dem Motto «Autistic Disco». Er ist mit der Opernsängerin Ulrike Eidinger verheiratet und hat eine Tochter.


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Veröffentlicht Oktober 2018