«Klimt’s Kuss – Spiel mit dem Feuer» – Sinnliche Reise
Nach dem grossen Besuchererfolg mit
«Monet’s Immersive Garden» wartet die Lichthalle Maag in Zürich mit der Installation
«Klimts Kuss – Spiel mit dem Feuer» auf (bis 7. Mai 2023). 40 Projektoren lassen Leben und Werk des Wiener Künstlers Gustav Klimt 1862–1918) aufflammen. Ein sinnliches Sehereignis mit Klimts berühmtestem Bild im Zentrum: «Der Kuss» (1907/08).
Er war kein Mann der grossen Worte, schon gar kein Selbstdarsteller. Es existieren keine Selbstporträts wie bei vielen Malern, nur einige Fotografien, wenige schriftliche Zeugnisse und ein Porträt des Zeitgenossen Egon Schiele. Der Wiener Maler Gustav Klimt war publikumsscheu, er kommentierte seine Werke nicht: «Ein Künstler spricht aus seinen Bildern, Worte sind überflüssig.» Und die regten Fantasie und Diskussionen an, erst recht zu seiner Zeit, dem Jugendstil und Fin de Siècle.
Nun darf man von der spektakulären Multivision in der Zürcher Lichthalle Maag keinen kunsthistorischen Exkurs oder die absolute Interpretation des stilbildenden österreichischen Malergenies erwarten, wohl aber packende Einblicke in Klimts Welt und Werk. Und das beginnt mit einer Künstlerchronologie vom Elternhaus in Wien (1862) bis zu seinem Tod 1918 infolge eines Schlaganfalls. Auffallend sind dabei seine zahlreichen Verbindungen und Liebschaften zu Frauen – Klimt hatte sechs (ehelose) Kinder mit drei verschiedenen Frauen (und Modellen). Seine Bilder erregten Aufsehen, besonders seine Frauenporträts, Akte, Paarungs- und Liebesszenen, beispielsweise beim «Beethoven-Fries» (1902). Zentrales Thema des Frieses, der sich auf den Schlusschor von Beethovens «9. Symphonie», die Vertonung der Ode «An die Freude» von Friedrich Schiller, bezieht, soll gemäss Ausstellungskatalog die Erlösung der «schwachen Menschheit» durch die Kunst und die Liebe darstellen. Ausschnitte aus dem Fries werden in der Multivision mit entsprechendem «Freude»-Chor untermalt.
Gleich zu Beginn der Schau in der Maaghalle begegnet man der allegorischen Komposition «Wasserschlange II» (1904–1907) und «Wassernymphen». Eine fiktive Begegnung begleitet die Besucher: Eine Studentin spricht im Off mit der Modeschöpferin Emilie Flöge (1874–1952), die Klimt ein Leben lang begleitet und gefördert hat. Eine echte Lebensgefährtin, Vertraute und Muse, unverheiratet und kinderlos. Die Ausstellung gliedert sich in verschiedene Abschnitte, die Themen wie «Emilie», «Nackte Wahrheit», Sinnlichkeit und Erotik, Landschaften und mehr gewidmet sind. Man kann sich einsehen und von den impressionistischen, ornamentalen oder monumentalen Projektionen berauschen lassen. Insgesamt stehen 40 Projektoren im Einsatz, die Wände, Decken und Böden beleben: Ornamente schweben. Frauenporträts, «Judith» oder «Salome» beispielsweise, ziehen vorbei, Lebensstationen, das Wiener Secessionsgebäude (1897–98), Ausstellungsräume, Zeitgenossen passieren Revue.
Natürlich nimmt Klimts wohl berühmtestes Gemälde «Der Kuss» (1907/08), welches der Ausstellung den Titel gab, breiten Raum ein – en Detail und im Gesamten. Ob tatsächlich Klimt selbst und Gefährtin Emilie tatsächlich als Vorbilder dienten, ist eher fragwürdig und bleibt Spekulation. Das Bild wurde zum Kommerztopos, hat weltweit verschiedenste Formen angenommen, dient für Reproduktion auf Tassen und Tüchern, Tapeten und Kacheln, Poster oder Hinterglasbilder.
«Die Aura des Bildes», schreibt Gottfried Fliedl in seinem Buch über Gustav Klimt, «und seine verführerische Schönheit beruhen sowohl auf seiner – doppeldeutigen – Kostbarkeit wie auf der Darstellung des Liebespaares als Inbegriff des ungetrübten erotischen Glücks.» Ein traumatischer Akt, der Welt enthoben, isoliert verschmolzen. Im Sinne der Ideologie des Jugendstils werde das Paar als «Allheitliches, Kosmologisches und Naturverbundenenes» geschildert (Jost Hermand «Der Schein des schönen Lebens». Studien zur Jahrhundertwende, 1972).
Gustav Klimt huldigte Frauen, verinnerlichte sie. «Das gesamte Werk Klimts ist eine Huldigung an das Matriarchat, das die Moderne beherrscht», urteilt Jacques Le Rider in seinem Beitrag «Modernismus/Feminismus» (1985). Sicher hat er mit seinen Gemälden und Zeichnungen dazu beigetragen die Kraft des Erotischen zu entstauben und zu stärken. Sein Werk habe sich auf das im Umbruch befindliche Bild der Geschlechter und auf die reale, gesellschaftliche Veränderung der Geschlechterbeziehung bezogen, schreibt Gottfried Fliedl in seinem grossformatigen, reich illustrierten Band über Klimt.
Grob betrachtet, kann man Klimts Werke in drei Sparten aufteilen: Frauenporträts, allegorische Arbeiten (Friese u.a.), Menschenbilder («Baby», «Tod und Leben» u.a.). So lädt die immersiven Inszenierung «Klimts Kuss» zu einer intensiven Erlebnisreise und bietet Reiz zur Vertiefung.
Empfehlenswerte Lektüre:Gottfried Fiedl «Gustav Klimt 1862–1918. Die Welt in weiblicher Gestalt», Benedikt Taschen Verlag 1991. Grossformat, 240 Seiten. Tobias G. Natter (Herausgeber) «Gustav Klimt». Sämtliche Gemälde. Sechs Kapitel verschiedener Autoren von «Der Salonmaler: Frühe Werke – frühe Karriere» über «Frauendarstellungen» bis «Die Landschaften: Eine re-konstruierte Natur» und Biografie. Taschen Bibliotheca Universalis, Köln 2022, 29.90 Franken. Reich illustriert, 510 Seiten.
Veröffentlicht Dezember 2022