Das neue Evangelium

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Moderne Passion: Ein schwarzer Jesus (Yvan Sagnet) setzt sich für Ausgebeutete und Emigranten ein. (Vinca Film)



Evangelium als soziales Manifest


Jesus fasziniert – bis auf den heutigen Tag. Der Schweizer Theater- und Filmregisseur Milo Rau verknüpft in seinem vielschichtigen Filmdrama biblische Geschichte und moderne Sozialkonflikte. Da ist einmal der faszinierende Schauplatz Matera, europäische Kulturhautstadt 2019, an dem bereits Pier Paolo Pasolinis 1964 sein Meisterwerk «Il Vagelo secondo Matteo – Das 1. Evangelium – Matthäus» inszenierte. Auch Mel Gibsons drehte dort seine « Passion Christi» (2004). Die Rumänin Maia Morgenstein verkörpert jetzt bei Rau wie bei Gibson Jesu Mutter Maria. Und auch Enrique Irazoqui wirkt mit, der bei Pasolini Jesus darstellte.

Regisseur Milo Rau bereitet seine Filmarbeiten in Matera vor, probt und inszeniert – diese sind bereits Bestandteil seines Kinowerks «Das neue Evangelium». Dabei bezieht er Flüchtlinge, Fremdarbeiter, Migranten/-innen und lokale Kleinbauern mit ein. Die einen werden ausgebeutet, die anderen wurden in den Ruin getrieben. Sie alle kämpfen für ihre Rechte und Würde. Ihre Kampagne «Rivolta della Dignità» (Revolte der Würde) bildet neben den Filmarbeiten einen starken Handlungsstrang in der modernen Evangeliums-Version.

Der in St. Gallen aufgewachsene Rau setzte die Geschichte Jesu (gemäss den Evangelisten) zeitgemäss und zeitnah um. Wir erleben, wie der schwarze Jesus (Yvan Sagnet) Jünger um sich sammelt, von Johannes dem Täufer (Enrique Irazoqui, der jüngst verstarb) getauft wird, wie Maria (Maia Morgenstern) um ihren Sohn bangt und weint, wie der römische Statthalter Pontius Pilatus (Marcello Fonte) Jesus verurteilt und seine Hände in Unschuld wäscht, wie Jesus ausgepeitscht und ans Kreuz geschlagen wird.

Wir erleben aber auch die Vorbereitung dieser Szenen, Statements und Aktionen der Emigranten, die sich gegen die moderne Sklaverei wehren und zusammen mit Kleinbauern um Recht und Würde kämpfen. Rau vermischt Fiction und Wirklichkeit und nimmt seine Filmarbeit zum Engagement, an die Solidarität mit Ausgebeuteten zu appellieren. Sein Evangelium ist ein soziales Manifest für menschliche Würde und ein vielschichtiges Beispiel von Filmkunst – zwischen Dokumentation und Fiktion.

Kino- und Streamingstart sind Anfang April vorgesehen.


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Schweiz 2020
107 Minuten

Buch und Regie: Milo Rau
Kamera: Thomas Eirich-Schneider

Darsteller: Yvan Sagnet, Enrique Irazoqui, Maia Morgenstern, Marcello Fonte


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