Gemeinsam mit seiner Frau Molly hat John Chester (Bild) ein verödetes Stück Land nahe bei Los Angeles in ein Paradies verwandelt. Dieser Prozess ist dokumentiert im Film «The Biggest Little Farm». (rbr

 

John Chester -
Filmer und Farmer mit Weitsicht

Es gibt Zeiten und Situationen, da sind Menschen der Stadt, des Stadtlebens müde und sehnen sich nach Ruhe, Idylle, Natur, Bodenständigkeit. Bei John und Molly Chester gab es einen gewichtigen vierbeinigen Grund, ihren Hund Todd.

Der bellte nämlich hörbar und unermüdlich, wenn die beiden die Stadtwohnung verlassen hatten. Nicht nur Schweinegeruch, wie jüngst ein Nachbarschaftsstreit in der Schweiz belegt, stört und mindert die Lebensqualität, sondern auch ständiges Hundegebell nervt und fordert Gegenmassnahmen einer unduldsamen Nachbarschaft. John und Molly mussten sich entscheiden, Todd wegzugeben oder die Wohnung in Los Angeles zu verlassen. Klarer Fall: Todd war dem Ehepaar lieber und wichtiger als ihr urbanes Daheim.

Und so schlugen die beiden Städter 2010 ein neues Kapitel auf. John, der Filmer seit 25 Jahren unter anderem mit drei Emmys ausgezeichnet, und seine Frau Molly, begannen einen verödeten Landstrich, eine Autostunde (40 Meilen) nördlich von Los Angeles entfernt, zu beackern. Ihr Ziel war, das Stück Land über 80 Hektaren wiederzubeleben und zum Blühen zu bringen. Die Böden mussten «aufgepäppelt», heisst bepflanzt, bewässert, reaktiviert werden. Ein hartes Stück landwirtschaftlicher Arbeit.

Tatsächlich hat sich daraus ein Paradies auf Erden entwickelt, die Apricot Lanes Farms, bewirtschaftet von John (47) und Molly sowie rund 20 Mitarbeitern (Farmers). 10 000 Obstbäume, unzählige Nutz- und Wildpflanzen sind heimisch geworden, 250 Haus- und Wildtiere u.a. Ziegen, Schafe, Enten, Hühner, Perlhühner, Pferde, Hochlandrinder. Eine Schweizer Milchkuh namens Maggie grast hier ebenso zufrieden wie viele andere. Stars im Film sind freilich die Sau Emma und ihr treuer Begleiter, der Gockel Rooster.

Der Natur auf der Spur: John und Molly  Chester (Bild rechts oben) haben spröde Erde zum Blühen gebracht. Star der Farm ist «Emma the Pig», über die es indes auch ein Bilderbuch gibt.. (Impuls Films)

John Chester hat diese Entwicklung über acht Jahre mit allen Problemen, Rückschlägen, Erfahrungen und Erkenntnissen in einem spannenden Film dokumentiert: «The Biggest Little Farm». Er machte auf seiner europäischen Promotionstour kurz auch in Zürich Station und erlebte die Premiere im Lunchkino. Er war ebenso begeistert wie das Publikum. «The Biggest Little Farm» ist ein wunderbares lebendiges Beispiel über die Kraft und Balance der Natur, Heilung und Optimismus, nicht zuletzt über Ökosysteme, die sich selbst regulieren. Wir sprachen mit dem Farmer und Filmer John Chester.


Wie entstand die Idee zum Film, wollten wir wissen? «Zuerst war nur das Farmprojekt, da gab's noch kein Filmprojekt. Ich wusste gar nicht, worüber denn der Film handeln sollte.», erzählt John Chester. «Natürlich habe ich mein Leben lang gefilmt, auch jetzt, und war motiviert, auch auf den Apricot Lane Farms zu filmen. Über fünf Jahren lang habe ich gewisse Momente festgehalten. Aber ich hatte noch keine Idee, keinen Schlüssel, die Begebenheiten mit Tieren, mit Insekten, Pflanzen, mit der Natur filmisch zu erzählen. Dann irgendwann fand ich den Schlüssel. Das Stichwort heisst Biodiversität. Ich wollte die Geschichte von einem ausgleichenden System erzählen, von der Komplexität der Natur und einem gesunden Ökosystem.»


Die Farm wuchs, der Alltag war anstrengend, oft mühsam, vor Rückschlägen waren die enthusiastischen Farmer nicht gefeit – seien es Dürre, Stürme oder der Einfall von Vögeln, Schnecken oder Kojoten, die unzählige Hühner töteten. Der Eingriff des Menschen – mal wurde ein Kojote erschossen – half nicht wirklich. Immer wieder machte ihnen ihr Farm-Mentor, Alain York, Mut. John Chester beobachtete die Natur, das Verhalten der Tiere und sah in der Erneuerung des Ökosystems die Lösung, setzte auf Diversität. «Das war etwa 2015», erinnert sich Chester. «Ich sah die Rückkehr der natürlichen Vielfalt im Einklang mit meinen Intensionen. Das war die Geschichte. Ich wollte erzählen, was passiert, wenn die Natur auf die Farm zurückkehrt. Wir sind Teil der Natur. Beide Kräfte müssen kombiniert werden, die der Natur und die der Menschen, wobei wir Naturkräfte akzeptieren müssen, auch wenn sie gegen unsere Intentionen beim Bewirtschaften laufen.»


Menschliche Eingriffe, so zeigt der Film auch, können neue Probleme bewirken. «Alles, was wir zur Verbesserung eingesetzt haben, rief neue Probleme hervor», gesteht Chester, «wir haben es dann meistens aufgegeben, weil es nicht funktionierte. Wir haben gelernt, vorwärts zu gehen, tiefer zu schauen und Komplexität zu erkennen. Es braucht Zeit, bis eine Balance hergestellt ist.» Zwei Dinge sind wichtig bei der Art Farming, die Chester und seine Mitarbeiter verfolgen: Passion, Geduld und Beobachtung.


Welche Ratschläge würde John Chester Farmern mit auf den Weg geben?
«Meiner Ansicht nach müssen wir Systeme und Elemente der Natur wiederherstellen und nachahmen (Biomimikry). Wir müssen die Balance der Natur einbeziehen, Symbiosen kombinieren. Wir müssen die Unabwägbarkeiten des Lebens akzeptieren, das ist die Triebkraft, der Wirkstoff des Lebens. »

Sozusagen als roter Faden zur Farmentwicklung laufen amüsante Episoden mit der Sau Emma und ihrem Gockelkumpan Rooster. Ein Beispiel auch, um die Vielfalt des Zusammenlebens zu zeigen, die Balance zwischen Tieren. John Chester bezeichnet seine «Biggest Little Farm» als Organic-Farm, wir würden Biofarm sagen. Er verkauft zwar Eier und mehr direkt, betreibt aber keinen Bioladen – noch nicht, sagt er. Das bedeutet: «Unsere Organic-Farm verzichtet auf Pestizide und chemische Zusätze. Es ist existenziell notwendig, dass wir Biodiversität und eine gesunde Erde generieren. Wir können auf unserem Planeten nicht ohne Biodiversität und gesunde Erde leben. Das sind wir unsern Kindern schuldig.»


Während John Chester seinen Film in Europa begleitet, führt seine Frau Molly die Farm. «Sie ist der Boss», meint John. Die beiden engagierten Farmer sind Eltern eines Sohnes geworden, der auch kurz im Film auftritt. Inzwischen ist auch ein geplantes Bilderbuch von John Chester herausgekommen: «Saving Emma the Pig» (Feiwel & Friends/ Macmilan Verlag). Emma geht's übrigens gut, sie wiegt laut John Chester 600 Pfund.


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Veröffentlicht Juli 2019