Stimmige Zusammenarbeit: Aron Lehmann (Regie) und Luna Wedler (Schauspielerin). (rbr)


«Was man von hier aus sehen kann» – 
Gespräch mit Regisseur Aron Lehmann und Darstellerin Luna Wedler

Vergänglichkeit und Neuanfang

Das Buch der Kölnerin Mariana Leky avancierte 2017 zum Überraschungshit in der Buchbranche und verkaufte sich 800'000mal. Aron Lehmann nahm sich des liebenswürdig-skurillen Gesellschaftsromans an. In «Was man von hier aus sehen kann» spielt neben Corinna Harfouch die Zürcherin Luna Wedler die Hauptrolle («Der Passfälscher»). Wir sprachen mit der Darstellerin und dem Regisseur im Zürcher Kino Le Paris.

Siehe auch Filmkritik zu «Was man von hier aus sehen kann»

Das Buch ist eine Fundgrube. Wie bringt man all die Episoden und Geschichten auf eine Reihe? Wie sind Sie daran gegangen, dies alles zu verdichten?
Aron Lehmann: Beim Lesen des Buches war mir schnell klar, dass es nicht gelingen wird, die Buchstaben dieses Buches zu bebildern. Dafür ist der Roman zu komplex. Eine Geschichte passiert auf dem Papier anders als auf der Leinwand. Auf der Leinwand muss man sich für einen Kern entscheiden. Das Wichtigste für mich war, dass wir es schaffen, den besonderen Geist und Ton des Romans auf die Leinwand zu übersetzen. Diesbezüglich habe ich mit der Autorin Mariana Leky eng zusammengearbeitet. Wir haben oft miteinander telefoniert, während ich das Drehbuch geschrieben habe. Wir waren uns dann schnell einig, dass es im Kern sich um Vergänglichkeit und Neuanfang geht.

Sie haben dann tatsächlich den Zeitraum verkürzt und verdichtet.
Aron Lehmann: Wir haben uns auf zweimal zwei Tage konzentriert, haben vieles verflochten. Soll auch heissen: Tod und Liebe umfassen quasi das ganze Leben.

Mir scheint, dass das Buch ein Puzzle ist, das Sie neu zusammengesetzt haben …
Aron Lehmann: So sieht es aus. Wir haben ein Elixier daraus gemacht. Uns ging es darum, dass beide Werke nebeneinander existieren können, aber im Herzen und Seele verwandt sind.

Der Optiker taucht im Buch immer wieder auf, ein Schattenmann und Reflektor, im Film gewinnt er an Gewicht.
Aron Lehmann: Ja, er ist im Film intensiver. Für mich ist er auch einer der heimlichen Helden.

Er ist eine Art Schattenmann und Reflektor. Dazu kommt die Erzählerin Luise. Waann kam denn Luna Wedler als Hauptfigur ins Spiel?
Aron Lehmann: Ich hatte Luna schon sehr früh beim Schreiben im Blick. Man muss vorsichtig sein, weil sich die Figur ändern kann und man sich fragt, wie alt muss sie sein und anderes. Als eine Fassung fertig war, hatte ich Luna angerufen. Diese Luise ist eine verschlossenen, in sich gekehrte Person mit «Verstockungen», wie Mariana Leky schreibt, trotzdem wollte ich nicht, dass sie eine graue Maus wird. Ich brauchte jemanden wie Luna, die von Innen strahlt.

Und wie sind sie mit der 22jährigen Luise umgegangen?
Luna Wedler: Diese Luise liegt mir sehr, sehr am Herzen. Ich habe das Buch nach dem Drehbuch gelesen – und verschlungen.

Luise liebt zwei, hier Jugendliebe mit Martin und dann den Mönch Frederik.
Luna Wedler: Ich weiss gar nicht, ob man das so trennen kann. Martin bleibt immer. Es ist für Luise ein grosser Schritt, Frederik in die Augen zu gucken. Er ermöglich ihr, sich der Welt wieder zu öffnen.
Aron Lehmann: Wir lassen die Beziehung Luises zu Andreas im Buch aus dem Spiel. Mir ging es darum, den Kern von Vergänglichkeit und Neuanfang nicht zu verwässern. Die Liebe zu Frederik hätte es dieser Form nicht ohne das Drama mit Martin gegeben. So wird klar, dass aus schrecklichen Dingen schöne neue Dinge entstehen können.

Luna Wedler, wie würden Sie diese Luise beschreiben?
Luna Wedler: Wir haben diese junge Luise, die sehr neugierig, frech, tanzend durchs Leben geht. Nach dem tragischen Zwischenfall verstockt und verschliesst sich etwas in Luise. Sie ist lieb, feinfühlig, auch tollpatschig, hat aber grosse Angst, wieder jemanden zu verlieren.

Und wie war die Zusammenarbeit mit Corinna Harfouch?
Luna Wedler: Das war eine grosse Ehre. Ich mag sie sehr als Schauspielerin. Total schön fand ich, dass die Vertrautheit und Verbindung zwischen Luise und Selma auch bei uns von Anfang an vorhanden waren.


Wie sind Sie mit dem Okapi zurande gekommen, ist es echt?
Aron Lehmann: Es ist echt. Wir haben es im Frankfurter Zoo gedreht und haben es per Computer vor das Fenster gesetzt.

Wo haben Sie denn den Westerwald gedreht?
Aron Lehmann: In Hessen, unter anderem in Ulrichstein, Bad Neuheim und München. Ulrichstein war ein Volltreffer. Das Optiker-Geschäft und der Buchladen stehen immer noch da als Bauten. Die Szenenbildabteilung hat Unglaubliches geleistet, auch was Selmas Küche betrifft, wo wohl ein Drittel des Films spielt. Sie wirkt nie langweilig. Dieser Raum ist ein Meisterwerk.

Glauben Sie, dass diese Geschichte zeitlos ist?
Aron Lehmann: Sie ist hoffentlich zeitlos. Auch beim Drehen haben wir uns gesagt, es ist ein modernes Märchen, das irgendwo in der näheren Vergangenheit spielt. Wir wollten uns nicht genau festlegen. Für mich ist dies eine allgemein gültige Geschichte.

Sie haben meistens auch das Buch für Ihre Filme geschrieben. War es eine Belastung in diesem Fall, dass ein erfolgreiches Buch vorlag?
Aron Lehmann: Das war das schönste Geschenk meiner beruflichen Karriere. Es war eine wunderbare Arbeit, die auch an Grenzen führte. Das Schlimmste war, sich von schönen Begebenheiten oder Szenen zu trennen, von herrlichen Dialogen und Weisheiten. Meine erste Drehbuchvorlage war 240 Seiten lang, die Fassung für den Produzenten dann immer noch 180 Seiten. Dafür braucht man einen Kern. Es ist ein schmerzhafter Prozess, weil man sich von wunderschönen Sachen trennen muss.




Mariana Leky, Autorin
12. Februar 1973 in Köln geboren
Studium Germanistik in Tübingen und Studium Kulturjournalismus in Hildesheim,
lebt in Köln und Berlin
2017 «Was man von hier aus sehen kann», in 20 Sprachen übersetzt
Bestseller. 65 Wochen Spiegel-Bestsellerliste

Aron Lehmann, Regie
Geboren 1981 in Wuppertal, wohnhaft in München
Studium Film und Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen, Potsdam-Babelsberg
Seit 2007 Filme «So G’sell so» (Kurzdok)
2012 «Kohlhaas oder die Verhältnismässigkeit der Mittel», Publikumspreis Max Ophüls
2018 «Das schönste Mädchen der Welt», Kinospielfilm

Luna Wedler
Geboren am 26. Oktober 1999 in Zürich
Filmdebüt 2015 in «Amateur Zeens»
2018 «Das schönste Mädchen der Welt» (Regie: Aron Lehmann)
2018 Shooting Star an Berlinale
2018 Schweizer Filmpreis für «Blue My Mind»
2021 Nominierung für den Deutschen Filmpreis Lola, Hauptrolle in «Je suis Karl»
2022 «De Räuber Hotzenplotz» als Fee Amaryllis
2022/23 «Jakobs Ross»
April 2022 Dreharbeiten «Bachmann & Frisch» von Margarethe von Trotta. Luna spielt Marianne Oellers. Kinostart 2023


Veröffentlicht Januar 2023.