Aktuell wie vor dreissig Jahren: Karl Saurers Dokumentarfilm «Der Traum vom grossen blauen Wasser» griff bereits 1993 Themen wie Ausbeutung der Natur und Bevölkerung, Wasserkraft und Energiewirtschaft auf. (Bilder: zVg)


Eine Frage von Energie und Verlust

Er starb im März 2020. Im nächsten Jahr 2023 wäre Karl Saurer 80 Jahre alt geworden. Gleichwohl, sein Werk lebt und ist aktuell geblieben. Das trifft besonders auf seinen Dokumentarfilm «Der Traum vom grossen blauen Wasser» (1993) zu, der neu in den Kinos lanciert wird und gefragt ist.

Wie kam es dazu, dass es so gekommen ist – diese und ähnliche Fragen haben ihn immer wieder beschäftigt? Was passiert mit Menschen, denen etwas passiert, die sich zurechtfinden müssen – mit neuen Umständen, geografischen und sozialen Herausforderungen? Solche Probleme, Konflikte, Auseinandersetzungen haben den Schwyzer Kulturschaffenden Karl Saurer gefordert, getrieben und motiviert.

Obwohl viele Jahre im Ausland tätig, war er der Heimat verbunden, verwurzelt, gleichwohl weltoffen, hellhörig nach Innen und Aussen. Wie sehr ihn das Innerer der Schweiz, und nicht nur der Innerschweiz beschäftigt hat, zeigt wegweisend sein Film «Der Traum vom grossen blauen Wasser». Er hat sich auf die Spuren des Wassers und der Menschen gemacht, die dazumal vom Bau eines Kraftwerks betroffen wurden. Es waren 1700. «Je genauer ich mich dieser Geschichte, nein, je intensiver ich mich dieser Geschichte zugewandt habe, desto mehr habe ich erkannt, dass hier ja eine Kette von Abhängigkeiten bestand», erklärte Sauer in einem Interview 1993. «Also, dass das, was mit dem Strom passiert, nämlich, dass die Region hier für diesen Rohstoff, eigentlich für das Wasser, das sie liefert für die Stromgewinnung, nicht angemessen entschädigt wird, das ist nur ein letztes Glied in einer Kette.» Ein Thema aktueller denn je.

Kein Jetzt ohne Gestern. Keine Gegenwart ohne Vergangenheit. Karl Saurer suchte unter der Oberfläche den Nährboden, die Wurzeln, das Entstehen. Schwyzer Auswanderer, die aufgrund der Stauseepläne (Sihlsee) ihre Heimat verlassen, ja aufgeben mussten – mit Segen und Subvention der Heimatgemeinden –, bauten sich beispielsweise in Nebraska eine neue Heimat auf. Das hat der aufmerksame Zeitbeobachter Saurer sehr eindringlich und bewegt in seinem Film «Steinauer, Nebraska. Geschichten um Gewinn und Verlust» dokumentiert. Eine Mehrheit hat einer Minderheit diktiert, hat sie gezwungen, eine neue Existenz zu finden, aufzubauen, um wieder heimisch zu werden.

Der Rohstoff Wasser ist heute mehr denn je wieder im Gespräch. Dazumal haben die SBB mit der Wasserkraft aus dem Sihlsee ihren Betrieb «gefüttert» und tun es noch heute. Fast prophetisch hat Karl Saurer das bereits vor fast dreissig Jahren erkannt: «Vielleicht hat der Rohstoff Wasser auch eine andere Bedeutung, eine andere Qualität.» Energiepolitik war schon in den Neunzigerjahren ein Thema, ebenso die Spannung zwischen Stadt und Land. Sie hat nicht abgenommen! «Ja», meinte Saurer bereits 1993 in einem Interview, «die Brücke lässt sich mit meinem Film von der Energiewirtschaft zu anderen Gebieten schlagen, wo Konflikte zwischen Ökologie und Ökonomie ausgetragen werden.»

Die grosse Stärke des Films ist auch, dass Saurer Betroffene und Engagierte zu Worte kommen lässt. Er schildert die Geschichte von unten. Die Menschen hatten ein Bedürfnis sich mitzuteilen – mündlich. «Ich habe einfach gesehen, dass die Leute es genossen haben, sich auf solche Form einzulassen. Vielleicht hat das auch mit der schwindenden Erzählkultur zu tun. Wir berichten ja nicht mehr so viel, wir haben ja nicht mehr oft Grosseltern mit Zeit, den Kindern von früher zu erzählen. Ich glaube, hier lebt ein kleines Gegengewicht zu diesem Verlust, dass man hier älteren Menschen zuhören kann. Und man dadurch, wie sie erzählen, etwas von früher erfährt. Nicht nur Informationen an sich, sondern wie sie geschildert werden, wie diese Menschen ihr Leben erinnern. Das widerspiegelt sich auch in ihren Gesichtern. Dieses vergangene Leben ist in der Art und Weise des Erzählens immer noch präsent.»

Saurers «Fragmente und Fundstücke einer Hochtal-Geschichte» sind bis heute aktuell. Die Nachfrage nach dem restaurierten Film ist überraschend gross, weiss Elena Hinshaw Fischli, Saurers Lebensgefährtin. Er wird in diversen Kinos wiederaufgeführt.



Die restaurierte Filmfassung (DVD) von «Der Traum vom grossen blauen Wasser» ist mit einem Booklet und einem Bonus ausgestattet und kann über Elena Hinshaw Fischli bezogen werden: ehinshaw@bluewin.ch.
Im nächsten Jahr 2023 erscheint ein Werkbuch über das Schaffen Karl Saurers.

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Veröffentlicht Oktober 2022