Nomadland

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Unendliche Weiten, endlose Freiheit? Die modernen Nomaden Amerikas sind «aussortierte», entwurzelte, aber nicht heimatlose Menschen jenseits von 60 wie die reisende, alleinstehende Fern (Frances McDormand). (Disney)



«Wir sehen uns wieder irgendwo unterwegs»


Sie sind unterwegs – mit ihrem Van, Camper oder Wohnwagen. Sie sind die modernen Nomaden Amerikas – irgendwann aus der Bahn geworfen worden, vom Schicksal geschlagen, aber nicht hoffnungslos. Sie leben auf Rädern – on the road von einem Job zum andern, von einem Parkplatz oder freiem Raum zum anderen. Menschen meistens über 60, die sich ein «normales» Leben nicht mehr leisten können. Die Journalistin Jessica Bruder war selber auf endlosen Asphaltbanden unterwegs, hat ihre Begegnungen und Erfahrungen im Sachbuch «Nomadland: Surviving America in the 21. Century» (Nomaden der Arbeit, 2017) niedergeschrieben. Chloé Zhao hat das Material zum Drehbuch verarbeitet und verfilmt.

Empire, ein öder Flecken in Nevada. Fern (McDormand) hat 2011 ziemlich alles verloren: Mann und Job und Lebenssinn. Sie verlässt die karge Behausung und steuert mit ihrem weissen Van neue Ufer an – von Nevada und South Dakota über Nebraska und Arizona bis Kalifornien. Sie jobbt zur Weihnachtszeit bei Amazon, verdingt sich als WC-Putzfrau im Badlands National Park oder anderswo als Restaurantgehilfin. Immer knapp am Lebenslimit. Fern trifft «Artgenossen», Nomaden wie Charlene Swankie, die zur letzten Reise nach Alaska aufbricht, oder Bob Wells, der aussieht wie ein Weihnachtsmann und der jährlich ein grosses Nomadentreffen in der Wüste organisiert, das Rubber Tramp Rendezvous (RTR). Bob, Charlene und Linda May sind echte Nomaden, die sich im Spielfilm «Nomadland» selber spielen.

Trotz Lagerfeuerszenen und geselligen Zusammenkünften, grossartiger Landschaftsaufnahmen (Kamera: Joshua James Richards) und unterschwelligem Gefühl von Freiheit prägt und begleitet eine melancholische betrüblich sehnsüchtige Stimmung, wehmütige Gefühl und bitterer Unterton die Reise ins Überall und Nirgendwo. Klassisch-moderne Musik von Ludovico Einaudi überschatttet oder «überstimmt» typische Countryklänge. Man wollte mit diesem Roadmovie die landläufige Van- und Camper-Romantik entzaubern, meinte Frances McDormand in einem Gespräch. Sie, die auch wie Zhao an der Produktion beteiligt ist, bildet zusammen mit David Strathairn als David, der seine Nomaden-Existenz aufgibt und Fern einlädt, bei ihm zu bleiben, das professionelle Schauspielerpaar. Beide verschmelzen mit den Nomaden, mit dem Laienensemble.

«Nomadland» zeigt ungeschminkt und schonungslos die andere trübe Seite Amerikas: Menschen, die aus der Gesellschaft gefallen sind, nicht heimatlos, aber ohne Wohnadresse, «jagen den Horizont» (Chloé Zhao) und fühlen sich dank ihrer mobilen Untersätze frei. Und noch etwas zeigt dieser Film, der just mit zwei Golden Globes (Film und Regie) ausgezeichnet wurde: Solidarität und Gemeinschaftsgefühl unter Menschen. Es bleibt ein Schimmer Hoffnung, wie ihn Menschenfreund und -retter Bob Wells ausdrückt: «I never say good-bye, I say: See you again down the road.» Man trifft sich wieder – vielleicht im Kino ab Anfang April.


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USA 2020  
108 Minuten

Buch und Regie: Chloé Zhao
Kamera: Joshua James Richards

Darsteller: Frances McDormand, David Strathairn, Linda May, Charlene Swankie, Bob Wells


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