Fabian oder Der Gang vor die Hunde

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Fabian (Tom Schilling), phlegmatischer Romantiker, Moralist, Melancholiker und Beobachter, erlebt das Ende der Wilden Zwanziger. (DCM Film Distribution)



Lebenslust und Untergang –
Abenddämmerung über Berlin


Kein Mann ohne Eigenschaften, aber ein Mann ohne Ehrgeiz: Fabian, eigentlich Dr. Jacob Fabian (Tom Schilling), Germanist, jobbt als Werbetexter in einer Berliner Zigarettenproduktion. Kein Wunder schmaucht er wie ein Schlot. Man schreibt das Jahr 1930. Er lässt sich treiben und ist Genüssen nicht abgeneigt. Die frivolen Wilden Zwanziger (Roaring Twenties) toben und klingen aus. Neue radikale Kräfte und politische Bewegungen machen sich breit. Die Abenddämmerung ist bereits braun gefärbt. Das ficht Fabian wenig an. Er zieht mit seinem Freund Stephan Labude (Albrecht Schuch) durch die Gassen, sprich Ateliers, Nachtclubs, Kneipen, Bordelle. Sie sind dicke Studienfreunde. Doktorand Stephan glaubt an die linke, sozialistische Kraft, Fabian ist eher der Lebenskünstler und melancholische Pessimist. Die Wirtschaftskrise trifft aber auch ihn. Er wird wie Abermillionen Menschen arbeitslos. Er könnte bei der millionenschwere Nymphomanin Irene Moll (Meret Becker) in ein gemachtes Nest schlüpfen, hat sich aber in die Juristin Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl) verliebt, die in einer Bar arbeitet und von einer Schauspielkarriere träumt.

Aus diesem Grund liiert sich die Opportunistin mit den Filmproduzenten und Verehrer Makart (Alioscha Stadelmann) und schläft sich hoch. Die Karriere ist ihr wichtiger als Fabian, und der mag sich mit einer solchen Liaison nicht arrangieren. Zudem wird die Doktorarbeit seines Freundes scheinbar abgelehnt und nieder gemacht. Das verkraftet Stephan nicht, obwohl sich später herausstellt, dass ein mieser Nazi-Faschist und Konkurrent ihm einen bösen Streich gespielt hat. Doch damit ist Fabian s Odyssee und «Gang vor die Hunde» noch nicht zu Ende.

Der Münchner Grimme-Preisträger Dominik Graf («Die geliebten Schwestern») hat ein düster-melancholisches Sitten- und Stimmungsbild nach Erich Kästners Gesellschaftsroman «Fabian – Die Geschichte eines Moralisten» (1931) entworfen. Ursprünglich heiss der Buchtitel «Der Gang vor die Hunde», den der Film wieder aufgenommen hat. Es geht um Liebe und Verrat, Freundschaft und Intrigen, Verlust und Träume in einer Zeit, in der sich massive politische Veränderungen anbahnen. Faschistische Anhängert übernehmen Schritt für Schritt das Kommando.

Grafs stimmige Literaturverfilmung wird manchen etwas lang erscheinen, nämlich fast drei Stunden, wie die Lektüre des Romans, meint Regisseur Graf. Er nimmt sich Zeit, verweilt, und «Fabian» entpuppt sich als kongeniale Hommage ans Kino. Die exzessive Lebenslust junger Leute anfangs verliert sich, sie schlägt in Enttäuschungen, Gewalt und Düsternis um. Fabian – grossartig Tom Schilling («Werk ohne Autor») als verlorener Zeitgenosse – trägt den Film ohne Glamour wesentlich mit, wie auch Albrecht Schuch («Berlin Alexanderplatz») als sein Freund, der tatsächlich vor die Hunde geht. Grafs filmische Erkundung und Bestandsaufnahme am Vorabend der Machtergreifung der Nazis wird Kästners Roman trotz kleiner Längen vollends gerecht. Die drohende Katastrophe verdichtet sich und wird durch Dokumentareinsprengsel verschärft. «Fabian» setzt die Reihe von Filmen wie «Berlin Alexanderplatz» oder «Berlin Babylon» meisterhaft fort. Ein packendes Kinoerlebnis – frivol, schicksalhaft und himmeltraurig melancholisch .

Tip am Rande: Erich Kästners Roman «Fabian – Die Geschichte eines Moralisten», der im Dritten Reich verboten und 1931 vom Zürcher Atrium Verlag veröffentlicht wurde ist 2017 neu aufgelegt worden (12 Euro). Aus Kästners Vorwort: «Das vorliegende Buch, das grossstädtische Zustände von damals schildert, ist kein Poesie und Fotografiealbum, sondern eine Satire. Es beschreibt nicht, was war, sondern es übertreibt. Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten.»

Siehe auch Breiner's Kulturtip


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Deutschland 2021  
176 Minuten

Regie: Dominik Graf
Buch: Graf, Constantin Lieb
Kamera: Hanno Lentz

Darsteller: Tom Schilling, Albrecht Schuch, Saskia Rosendahl, Meret Becker, Lena Baader, Eva Medusa Gühne


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