Wolkenbruch

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Verliebt in eine Schickse: Motti Wolkenbruch (Joel Basman), orthodox erzogen, hat es schwer mit seiner nicht-jüdischen Freundin Laura (Noémi Schmidt). Die jüdische Familie Wolkenbruch (Inge Maux, Udo Samel) in hellem Aufruhr. Sohn Motti ist eine Schickse verliebt. (DCM Film)



Schicksen-Schicksal


Der Buchtitel ist so poetisch wie amüsant: «Wolkenbruchs wunderbare Reise in die Arme einer Schickse». Er stammt von Thomas Meyer, der auch gleich für das Drehbuch zum Film besorgt war. Das Buch wurde 2012 überraschend zum Bestseller. Nun ist das so eine Sache mit der filmischen Umsetzung. Welche Erwartungen hat der Leser, welche der unvoreingenommene Kinobesucher? Das liest sich gleich zu Anfang wie folgt: «Meine mame war den Tränen nahe. Dabei war gerade mol eine halbe schtunde vergangen, seit sie sich von meiner gesunthajt hatte überzeugen können. Und mir, für alle Fälle, ein frisches nostichl in die Manteltasche gesteckt hatte.»

Um es vorweg zu nehmen: Mir hat der Lesestoff besser gefallen, er regt die eigene Phantasie an. Die Filmadaption bietet solide, nette Kinounterhaltung – schweizerisch brav und etwas plakativ. Der Charme der jiddischen Sprache wird amüsant vorgeführt (man muss nicht mehr laut vor sich hinlesen), die Eigenarten jüdischer Verheiratungsambitionen werden liebevoll auf die Schippe genommen und die Akteure bemühen sich redlich, die familiären Verstrickungen, Neurosen und amourösen Eskapaden vorzuführen. Besonders für Zürcher wird der Film auch zum lokalen Aha-Erlebnis. Worum es geht?

Jüngling Mordechai Wolkenbruch, Motti oder Mottele geheissen und jüdisch orthodox erzogen, soll unter die Haube kommen. Seine Mutter (Inge Maux) unternimmt alles, standesgemäss ein meidl aufzubieten, um dann eine chassene (Hochzeit) zu arrangieren. Aber der Sohn sperrt sich eins ums andere Mal, will seine Braut selber aussuchen und vor allem lieben. Motti schert aus, rasiert den alten Bart ab, wagt einen neuen Haarschnitt und eine neue Brille. Entsetzen bei der Mutter. Und dann verknallt sich der hübsche Bursche auch noch in eine Schickse, also eine nicht jüdisches Frau. Die Studentin Laura hat es ihm angetan, aber Mutter sein dagegen sehr, während der Vater (Udo Samel) noch ein gewisses Verständnis aufbringt. Selbst eine Erkundungsreise nach Israel mit entsprechender Sexerfahrung bringt den eigensinnigen Motti nicht auf den rechten jüdischen Weg…

Für schweizerische Verhältnisse hat Michael Steiner Mottis wunderliche Reise recht flott inszeniert – wie gesagt, mit Zürcher Lokalkolorit. In Joel Basman (jüdische Wurzeln) fand er den passenden Jüngling, der seine Unabhängigkeit behaupten und sein Glück selbst bestimmen will. Partnerin Noémi Schmidt als Laura spielt ordentlich, doch vermisst man Ausstrahlung und Sexappeal. Die Schickse bleibt etwas blass und brav.

Immerhin, bei «Wolkenbruch» darf gelacht werden, wenn die mame zur mütterlichen Form aufläuft und ins Tal der Verzweiflung stürzt, wenn Motti sich ob der familiären Ansprüche windet, seine wunderlichen Sexerfahrungen nicht nur «in den Armen einer Schickse» macht. Wohin das führt, lässt Steiners Film offen. Das Buch redet Klartext. Motti zahlt Lehrgeld. Das hört sich am Ende so an: «Ich begab mich in den elften schtok. Das zimer war klein, aber elegant. Ich hatte Ausblick auf die Limmat. Sie floss schtil nach irgendwo.»

Der Griff zum Buch lohnt alleweil – vor oder nach dem Film. Es ist hat Witz und Verstand, regt an, ist mit einem Jiddisch-Glossar und Matzenknödel-Rezept ausgestattet (Diogenes Verlag).


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Schweiz 2018
93 Minuten

Regie: Michael Steiner
Drehbuch: Thomas Meyer
Kamera: Michael Saxer

Darsteller: Joel Basman, Noémi Schmidt, Inge Maux, Udo Samel, Aaron Arens


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