Unser Vater

2023_04_04_Unser Vater_004jpg

Schmerzhafte Erfahrungen: Die Geschwister Lisbeth und Tony haben in ihrer Kindheit Liebe vermisst und Vertrauen verloren. (Filmbringer)
Versprechen für die Zukunft: Die Kinder eines Priesters und deren Nachkommen (Filmbringer)



Von Kuckuckskindern und Missbrauch


Ein Mann, beliebt, charmant, angesehen, nimmt sich Freiheiten heraus, die mit Amt und Würden nicht übereinstimmen. Der Mann ist katholischer Vikar, später Priester und zeugt Kinder, als sei es das Natürlichste von der Welt. Er heisst Anton «Toni» Ebnöther, 1919 geboren und 2011 gestorben. Er steht im Brennpunkt des Dokumentarfilms «Unser Vater» (auf dem Filmplakat mit durchgestrichenem Unser), ist Ausgangs- und Endpunkt, aber nicht das eigentliche Thema. Das hat mit Schweigen und Vertuschen der Mütter und der Kirche zu tun.

Miklós Gimes («Mutter», 2002, «Bad Boy Kummer», 2010) arbeitet seit 1985 beim Zürcher Tages-Anzeiger und wurde 2015 durch Kollegen auf das Thema aufmerksam gemacht. Anfangs war er nach eigenen Angaben davon nicht angetan. Das Problem vom Missbrauch und der Rolle der Kirche «boomte». Als er erstmals die Geschwister traf, die von Familiengeheimnissen und ihren Schicksalen erzählten, wurde Gimes klar, dass dieses Thema noch tiefere Dimensionen hatte. Die Geschwister sähen sehr verschieden aus, erinnert er sich, seien aber alle verbunden. Stück für Stück seien sie während der Gespräche in die Vergangenheit ihrer Eltern vorgedrungen.

Mütter schildern ihre damalige Lage, auch ihr Unwissen damals Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre. Eine wusste nicht, was mit ihr geschah, als der Priester sie sexuell missbrauchte. Eine wurde vergewaltigt, eine dritte hatte den Kirchenmann zum Geschlechtsverkehr verführt und ihrem Mann zwei Kuckuckskinder untergeschoben, die sie mit Ebnöther gezeugt hatte. Christina Meier bewahrte ihr Geheimnis zu Lebzeiten ihres Gatten. Lisbeth Binder und ihr Bruder Tony Meier, die lang nichts voneinander wussten, erfuhren die Geschichte ihrer Herkunft, als sie Mitte zwanzig waren. Tony, der Maurer, leidet an Empathielosigkeit, mag keine Liebesszenen sehen und fühlt sich als «Produkt» einer Liaison. Die Kamera ist Zeuge, als die aufgestauten Gefühle aus ihm herausbrechen.

Man hat das Gefühl, als wäre die Arbeit am Film, wären die Schilderungen ihrer Herkunft, ihrer Vergangenheit eine Erleichterung, fast Erlösung. Sensibel hält sich Regisseur Miklós Gimes möglichst im Hintergrund und vermeidet voyeuristische Applikationen. Der juristische Hintergrund (Prozesse) wird nur gestreift. Es gelingt aber, Bischof Joseph Maria Bonnemain von Chur an den Tisch mit den Priester-Kindern zu bringen. Er gesteht Schuld der Katholischen Kirche bei Verdrängung und Beschönigung dieser Vorfälle ein. Diese «Gotteskinder» und ihre Mütter haben nie eine Unterstützung der Kircheninstitutionen erfahren.

Der Weg des Anton «Toni» Ebnöther führte von Bülach und St. Moritz als Vikar nach Solothurn (1954 strafversetzt), dann nach Fribourg und Klosters (1958). Nach der Entlassung als Priester führte er die Pension «Sunneschy» in Saas, Prättigau. Ebnöther war als musikalischer, charmanter Gastwirt und Ex-Geistlicher angesehen. Seiner Nachkommenschaft hat er freilich einen erdrückenden Rucksack aufgebürdet. Und die Katholische Kirche hat sich weggeduckt und den Schwerenöter einfach versetzt, statt ihn zur Rechenschaft zu ziehen. «Unser Vater» war eigentlich ein vaterloser Geselle.


4_Star_Lionjpg

Schweiz 2023  
73 Minuten

Buch und Regie: Miklós Gimes
Kamera: Judith Benedikt

Mitwirkende: Monika Gisler, Adrian Meier, Lisbeth Binder, Christina Meier, Daniel Mühlenthaler


Zurück