Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

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Eine verschworene Gemeinschaft: Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und der Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) aus Bremen laufen Sturm bis zum Supreme Court, dem höchsten Gerichtshof der USA, um den gefangen gehaltenen Murat freizubekommen. (Filmcoopi)

 
 

Verdächtigt, verhaftet, verfrachtet –
Kampf um eine Freilassung

 
Es gibt Reportagen, Bücher und Filme über das Schicksal von Häftlingen im US-Gefangenenlager Guantánamo. Beispielsweise das Drama «The Road to Guantánamo» aus dem Jahr 2005. Es schildert die Festsetzung von drei Moslems, die in dieser US-Enklave auf Kuba zwei Jahre rechtlos inhaftiert und gefoltert worden sind. «The Mauretanian» (2020) schildert den Leidensweg Mohamedou Ould Slahis, der im oben genannten Gefangenlager ohne Anklage und Gerichtsverfahren jahrelang festgehalten wurde. Ein Spielfilm von Kevin Macdonald mit Jodie Foster als Anwältin und Benedict Cumberbatch als Militärstaatsanwalt schildert diesen Fall – nach dem Times-Bestseller «Guantánamo Diary» von Slahi.
 
Der deutsche Regisseur Andreas Dresen wählte einen anderen Ansatz. Gemeinsam mit Drehbuchautorin Laila Stieler verarbeitet er den Stoff, den der inhaftierte Murat Kurnaz in seinem autobiographischen Buch «Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantánamo» geliefert hatte. Dresens Spielfilm «Rabiye Kurnaz gegen Georg W. Bush» schildert nicht den öden Alltag der Guantánamo-Insassen und die Torturen, denen sie seitens des US-Militärs ausgesetzt waren und noch immer sind, sondern den Kampf einer Mutter um die Freilassung ihres Sohnes Murat. Das Drehbuch wurde an der Berlinale 2022 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Zur falschen Zeit am falschen Ort: Der 19jährige, türkischstämmige Murat Kurnaz aus Bremen wurde im November 2001 von der pakistanischen Polizei in Karatschi festgenommen, an die US-Streitkräfte in Afghanistan verkauft und nach Guantánamo verschleppt. Als seine Mutter Rubiye in Bremen davon erfährt, unternimmt sie alles, um ihren Sohn freizubekommen. Im Menschenrechtsanwalts Bernhard Docke findet sie einen Verbündeten, der ihr beim trostlosen Leidensgang durch sture Behörden und bei gleichgültigen Politikern juristisch und menschlich zur Seite steht. Zusammen gehen die beiden «Freiheitskämpfer» bis zum US Supreme Court in Washington, dem höchsten Gerichtshof in den USA. Um den inhaftierten Murat (Abdullah Emre Öztürk), der als Terrormitläufer und Sympathisant verdächtigt wird, dreht sich alles. Er ist quasi Stein des Anstosses und bleibt im Film doch ein Schemen – bis auf Eingangs- und Schlusssequenzen. Er wurde 2006 entlassen – ohne Prozess und Urteil, ohne Entschuldigung oder Bedauern der Behörden.
 
Das muss man gesehen haben, wie Meltem Kaplan resolut, unerschrocken und ungebrochen als Mutter Rabiye agiert, die angesichts der Unmenschlichkeit von Staatsorganen verzweifeln müsste. Doch sie verliert weder Hoffnung noch ihren Galgenhumor. Die Schauspielerin Meltem Kaptan, Moderatorin und Comedien («Ladies Night»), ist eine Wucht und wurde an den Berliner Filmfestspielen mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Alexander Scheer spielte 2018 den widerborstigen DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann ebenfalls unter der Rege von Dresen. Er bildet als knochentrockener Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke das ruhige Pendant zur quirligen Rechtstreiterin, mit der er durch Dick und Dünn geht. Ihr Kampf um Recht und Gerechtigkeit wurde auch in Washington und Berlin zur Kenntnis genommen. Doch die Rolle deutscher Behörden und Politiker ist zweifelhaft. Murat könnte doch terroristische Verbindungen haben … Auch der amtierende Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, dazumal Chef des Bundeskanzleramtes, hat sich in diesem Fall nicht mit Ruhm bekleckert. Erst Angela Merkel setzte sich für Murat ein. Die politischen Hintergründe und Nebengeräusche werden im Film freilich nur vage angedeutet.

Andreas Dresen, der sich einen Kurzauftritt als Richter am Supreme Court nicht nehmen liess, schuf ein packendes engagiertes Drama um Verdacht und (unausgesprochener) Verurteilung, um Recht und Gerechtigkeit. Ein Fanal gegen staatliche, militärische Willkür, ein Plädoyer für Würde, Menschlichkeit und unerschütterliche Solidarität. Zu bemerken ist noch die frappante Ähnlichkeit der Schauspieler Kaptan und Scheer, sie kommen auch den wirklichen Filmhelden äusserlich unglaublich nahe, wie der dokumentarische Nachspann zeigt.
 

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Deutschland 2022      
118 Minuten

Regie: Andreas Dresen
Buch: Laila Stieler
Kamera: Andreas Höfer

Darsteller: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Sevda Polat


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