Moskau Einfach!

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Zwischen den Fronten: Polizist Viktor (Philippe Graber) agiert in geheimer Mission im Schauspielhaus und verliebt sich ausgerechnet in das Objekt seiner Beobachtungen, in die Schauspielerin Odile (Miriam Stein). (Vinca Film)



Biedermann und die Gesinnungsschnüffler


Scheinbar fern und doch so nah! Der sogenannte Fichen-Skandal schreckte die Schweiz Ende 1989 auf. Der Kalte Krieg ging zuende, die Berliner Mauer bröckelte. Doch in der Schweiz waren weiter staatliche Gesinnungsschnüffler am Werk. Sie hatten über Jahrzehnte, genauer seit 1900, rund 900 000 sogenannte Fichen (Protokolle) angelegt, um allfällige Gegner, eben kommunistische Kräfte und Sympathisanten, zu entlarven. Der Staat sollte geschützt werden und sei es vor seinen eigenen Bürgern … Ende 1989 deckte eine PUK (Parlamentarische Untersuchungskommission unter Leitung Moritz Leuenbergers) die geheimen Aktivitäten auf, die bürokratisch korrekt aktenkundig gemacht worden waren.

Ein Thema, sollte man meinen, das Stoff für ein Drama, einen Krimi oder Komödie hergeben könnte. Doch scheint es, als mischten Schweizer Filmer nicht gern jüngste Politereignisse auf, ausser in Dokumentarfilmen. Lieber greift man auf Zwingli oder den Gotthardeisenbahnbau zurück. Filmer Micha Lewinsky («Die Standesbeamtin») wundert sich selber, weshalb der Fichen-Skandal im Verborgenen schlummerte. Nun, er hat zugegriffen – und gleich auch am Drehbuch zu «Moskau Einfach!» mitgeschrieben.

In den Fünfzigerjahren initiiert der US-Senator McCarthy eine amerikanische Gesinnungshatz auf Linksverdächtigte. Es herrschte Kalter Krieg wischen den Machtblöcken USA und UdSSR. Dreissig Jahre später flog in der Schweiz eine ähnliche Aktion auf, die freilich schon seit 1900 betrieben wurde. Staatsschützer hatten in diesen Jahrzehnten heimlich rund 900 000 sogenannte Fichen (Dossiers) gesammelt, um die einen zu diskriminieren und die anderen zu «schützen.»

Micha Lewinsky sticht mit seinem jüngsten Film just in dieses Wespennest. «Moskau Einfach!» nennt er seine Komödie mit Fichen-Touch. Der bünzlige Polizeibeamte Viktor (Philippe Graber) versieht brav und bieder seinen Schreibtischjob, protokolliert fleissig verdächtige Radiosendungen, etwa des Alternativradios LoRa. Eines Tages animiert ihn sein Chef Marogg (Mike Müller), sich heimlich als Spion beim Zürcher Schauspielhaus einzuschleusen, in diese Brutstätte, wo subversive Geister wie Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt wirkten und wo die Initiative zur Abschaffung der Schweizer Armee massiv unterstützt wird. Viktor, nunmehr als Walo getarnt, macht sich in seinen Ferien (!) an die Schnüffelarbeit, wobei er besonders die rebellische Schauspielerin Odile (Miriam Stein) im Auge behalten soll. Viktor alias Walo erweist sich als talentierte Bühnenkraft, ihm wird gar eine kleine Rolle in Shakespeare's «Was ihr wollt» anvertraut – notabene unter der Regie eines verdächtigen deutschen Sozialisten. Viktor/Walos Augenmerk hat freilich Folgen: Der Spion verliebt sich in das Objekt seiner Observierungsbegierde. Odile, Tochter eines strammen rechten Zünftlers und hohen Militärs, bleibt das nicht verborgen, sie hegt ebenfalls sinnliche Sympathien für ihren netten neuen Kollegen. Spion Walo muss sich entscheiden zwischen «Staatsräson» und Liebe.

Die Autoren haben redlich recherchiert – von den linken Studenten, Protestlern, Radiopiraten à la LoRa bis Autor Frisch und Politiker Moritz Leuenberger. Es gibt stimmige Momente, etwa wenn Odile als Gilberte de Courgenay die Herzen der versammelten Zünftler, ihren Vater inbegriffen, rührt und kritische Kommentare abgibt, wenn Walo auf der Bühne die Hosen runterlässt und bekennt …

Lewinskys romantische Komödie hat gute Ansätze, doch es dauert fast eine Stunde, bis sie Fahrt aufnimmt, bis der Schnüffler die Deckung (Tarnung) aufgeben muss und endlich zu dem steht, was er wirklich will. Als Polit- oder Gesellschaftssatire kommt diese neckische Episode recht bieder und lieb daher. Sie stösst das Problem Überwachung, Gesinnungsschnüffelei und die Folgen (etwa Berufsverbot) – heute aktuell wie eh und je (siehe Hongkong) – zwar an, erweist sich aber als allzu harmlos und harmoniebedürftig. Etwas mehr Pfeffer, Biss und Schärfe hätte dem Blick zurück gutgetan. Irgendwie schweizerisch, unterhaltsam (im zweiten Teil) zwar, aber insgesamt betulich und brav.


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Schweiz 2020  
99 Minuten

Regie: Micha Lewinsky
Drehbuch: Lewinsky, Barbara Sommer und Plinio Bachmann
Kamera: Tobias Dengler

Darsteller: Philippe Graber, Miriam Stein, Mike Müller, Michael Maertens, Eva Bay, Fabian Krüger


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