Landesverräter

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Zerbrochen: Ernst (Dimitri Krebs) verliebte sich in die Bürgerstochter Gerti (Luna Wedler), die Gesellschaft drehte ihm daraus einen Strick. (Ascot Elite)



Verführt, verraten, verdammt


Das Leben, das heisst die Gesellschaft, meinte es nicht gut mit ihm. Er galt als Luftikus, Schlendrian, Aussenseiter, die Mutter früh gestorben, der Vater Alkoholiker. Ernst Schrämli landete in einer Erziehungsanstalt, in einem Arbeitslager, schliesslich beim Militär, wo er über die Stränge schlug.

Hier setzt der Spielfilm von Michael Krummenacher ein. Dank des Hauptmanns Roman Graf (Stefans Gubser – bis zur Unkenntlichkeit «maskiert») kommt er mit einer Disziplinarstrafe davon. Er scheint zur Vernunft zu kommen, als ein Nazi sein Gesangstalent entdeckt. August/Gustav Schmid (Fabian Hinrichs) verspricht ihm, ihn zu fördern, stellt eine Karriere in Berlin in Aussicht. Ernst lässt sich verführen und liefert dem Nazi-Agenten Skizzen über Verteidigungsstellungen der Schweizer Armee aus, die allerdings falsch sind, und Granaten, die er aus einem Depot gestohlen hat und echt sind. Und alles, um ein Visum für Berlin zu erhalten.

Ernst blüht auf, er hat sich in die Bürgerstochter Gerti (Luna Wedler) verliebt, verlebt mit ihr ein paar unbeschwerte Schäferstündchen. Als Protegé Graf dahinterkommt, schlägt er Ernst vor, dem Nazi-Agenten «richtige» Granaten zu übergeben, um ihn so auf frischer Tat zu ergreifen. Doch damit reitet sich Ernst erst recht ins Unglück. Ihm wird der Militärprozess gemacht.

Es sind bereits 48 Jahre her, dass Richard Dindo und Niklaus Meienberg im Film «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» (1976) dokumentierten: Ein leichtsinniger junger St. Galler hatte sich mit Nazi-Agenten eingelassen. Landesverrat, schrien Militär und Politik dazumal und wollten ein Exempel statuieren. Nach der Premiere des Films an den Solothurner Filmtagen 1976 kam es zu Protesten. Man warf dem Dokumentarfilm Einseitigkeit, Polemik und Fehlerhaftigkeit vor. Bundesrat Hans Hürlimann lehnte eine Qualitätsprämie ab, und der Zürcher Erziehungsdirektor Alfred Gilgen verweigerte ihm den Filmpreis.

Tempi passati. Der aktuelle Spielfilm «Landesverräter» rekonstruiert den Fall erneut und zeichnet das Bild eines jungen haltlosen Mannes, der Lebenssinn sucht und auf falsche Wege gerät. Ernst Schrämli wird verraten, verdammt, verurteilt. Selbst die harmlose Liaison mit Gerti wird ihm vor Gericht vorgeworfen: Er wird als Vergewaltiger abgestempelt, obwohl seine Geliebte diesen «Übergriff» dementiert. Am Ende triumphieren Eigennutz, Willkür und Staatsräson.

Der Schwyzer Autor und Regisseur Michael Krummenacher beschreibt Ernst’s Entwicklung in fünf Kapiteln – vom gehänselten Depp und Rekruten, über die Entdeckung als Sänger und seinen Spionageaktionen bis zum Prozess und zur Urteilsvollstreckung. Das ist schlüssig inszeniert, fokussiert auf den Täter, der zum Opfer seiner Zeit und falscher Versprechungen (Nazi, Militär) wurde. Er war der erste von insgesamt 17 Landesverrätern, die während des Zweiten Weltkriegs hingerichtet wurden. Und just die Erschiessung im Wald bei Oberuzwil geht unter die Haut, wenn alle Beteiligten nach der Vollstreckung in einen schrecklichen Chorus einstimmen. «Landesverräter» ist ein packender, prägender Film, der ein dunkles Kapitel erhellt und klar Position bezieht: Die Kleinen müssen dran glauben, die Grossen (Waffenschmiede und -fabrikanten) werden hofiert.
Mit Dimitri Krebs (27) fand Krummenacher einen Darsteller (in seiner ersten Rolle), der unglaubliche Authentizität auf die Leinwand bringt: Ein heisser Kandidat für den Schweizer Filmpreis – in einer überzeugenden erschütternden Zeit- und Fallstudie.


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Schweiz 2024
112 Minuten

Regie: Michael Krummenacher
Buch: Krummenacher und Silvia Wolkan
Kamera: Michael Saxer

Ensemble: Dimitri Krebs, Fabian Hinrichs, Luna Wedler, Stefan Gubser, Ernst C. Sigrist, Robert Hunger-Bühler

 
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