Die Reise des Bashô

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Ein impressionistisches Reisetagebuch mit Haiku-Gedichten: Der Dichter Bashô (Hiroaki Kawamato) durchstreift Landschaften und dichtet. (Filmcoopi)


Die Natur atmen und aufsaugen


Was sagt Ihnen Haiku? Es ist eine japanische Gedichtform, die bereits über 1200 Jahre alt ist. In drei Zeilen werden Stimmungen und Gefühle erfasst, die sich meistens mit der Natur befassen. Haiku ist die kürzeste bekannte Gedichtform und wurde von Bashô im 17. Jahrhundert wiederbelebt, geformt und literarisch etabliert. 17 Silben sollte ein Haiku umfassen. Wort-Fragmente, die offen bleiben und vom Leser praktisch vollendet werden.

Der Schweizer Filmer Richard Dindo ist fasziniert von dieser Poesie und hat sich auf die Spuren des Haiku-Meisters begeben. Im Herbst 1684 beginnt der japanische Dichter Matsuo Bashô (1644–1694), eine Wanderung durch unberührte Naturlandschaften, «um sich den Elementen auszusetzen» und seine Eindrücke in poetischen Versen festzuhalten. Er meditiert über Mond, Wind und Natur, die Zeit, das Leben und den Tod. Dindo («Homo Faber») rekonstruiert Momente, Begebenheiten, Sichten, beschwört förmlich die Natur und schickt den Mönch Hiroaki Kawamato auf «Die Reise des Bashô». Er verkörpert den Pilger der Natur. Bashôs Texte und Tagebuchaufzeichnungen dienen als Reiseleitung und Kommentar, vorgelesen vom Schauspieler Christian Kohlund.

Mit Säckchen, Hut und Stab ausgestattet, stampft der Wanderer um die 40 in Sandalen los – für die letzten zehn Jahre seines Lebens. Es ist Herbst, der Wind pfeift, rau und mächtig. «Ich habe mich entschlossen, mich den Elementen auszusetzen», notiert er in seinem Tagebuch. «Der Wind zieht durch meinen Körper.» Er durchstreift die Provinz Yoshino, sieht den Vulkan Fuji, den höchsten Berg Japans, kämpft sich durch den Schnee, erfreut sich am Frühling, erlebt die Kirschblüte und ruht sich Ende April vom Reisen aus. Ein jüngerer Mann, Bewunderer und Begleiter, will mit ihm, das «Werk der kreativen Natur» erfahren. Stationen bei einer Teezeremonie, Begegnung mit einer Kurtisane, Naturschauspiele. Irgendwann erreichen sie Matsushima an der gleichnamigen Bucht mit rund 260 Inseln, einem «der schönsten Orte Japans», heisst es.
Bashôs Pilgerreise endet im Sommer 1694 in Osaka, er ist jetzt 50 Jahre alt und schwach geworden, Zeit für ihn zu schlafen, zu «entschlafen». Der Vollmond steht, Krähen fliegen umher, und eine letzte Frage bleibt «Ist die Welt ein Ort der Illusion?».

So endet die filmische «Reise des Bashô», die Richard Dindo 2017/2018 unternommen und inszeniert hat. Eine Hommage an den Dichter und Zen-Buddhisten Bashô, der heute noch in Japan verehrt wird. Er stammte aus einer Samurai-Familie, entzog sich dann jedoch dem Feudaldienst und soll sich mit 22 Jahren in ein Kloster bei Kyoto zurückgezogen haben. Ab 1667 widmete er sich der Poesie und schuf Haiku-Gedichte. Ein Asket, der höchst bescheiden lebte. Diese Schlichtheit spiegelt auch seine Haiku-Dichtung wieder. Er drückte sich in Naturbildern aus – vom Vollmond bis zur Iris oder Grille, vom Wind bis zu Blüten. Ziel seiner «Pilgerreisen» war die Natur. Dindo versucht, Bashôs Verse und Texte nicht einfach zu bebildern, sondern impressionistisch umzusetzen und zu verschmelzen.

«Es ist eine Art 'Mischfilm', weder rein dokumentarisch noch Spielfilm. Er hat keine Dialoge, nur Situationen. Die Bilder werden durch Ausschnitte aus den Reisetagbüchern kommentiert. Der Dichter wird durch seine eigenen, autobiografischen Texte porträtiert», erklärt der Regisseur. Seine Streifzüge durch Naturlandschaften in Japan, scheinbar unberührt und unbeschadet auch nach 350 Jahren, wirken wie Impressionen zu den Bashô-Texten. Der Film wird zur Zen-Betrachtung. Dindo und Kameramann Roger Watch entwerfen Stillleben und beschwören so die Unvergänglichkeit der Natur.

Dindo liebt es, Worte und Bilder zu verbinden, zu verschmelzen, Literatur nachzubilden, zu visualisieren. Das hat er 2015 mit seinem Film «Homo Faber (Drei Frauen)» umgesetzt. Auch dazumal lieh Christian Kohlund seine Stimme. Dindo erklärte seine Ambitionen, sein Credo in einem Interview: «Mit Worten sagen, was Bilder nicht zeigen können, und mit Bildern zeigen, was Worte nicht sagen können.» Mit diesem Bashô-Filmessay hat Richard Dindo den Gipfel seiner literarisch-filmischen Reisen erreicht.

 
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Schweiz 2019
98 Minuten

Buch und Regie: Richard Dindo
Kamera: Roger Walch

Darsteller: Hiroaki Kawamato, Higuchi Seitaro
Stimme: Christian Kohlund


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