Was man von hier aus sehen kann

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Skurrile Leute, verschwiegenen Liebe: Luise (Luna Wedler) erzählt Geschichten um ihre Grossmutter Selma (Corinna Harfouch). (Pathé Films)


 

Eine fabelhafte Welt im Westerwald oder sonst wo

 
Siehe auch Filmhintergrund: Interview mit Aron Lehmann und Luna Wedler

«Als Selma sagte, sie habe in der Nacht von einem Okapi geträumt, waren wir sicher, dass einer von uns sterben musste, und zwar innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden.» So beginnt der erste Teil des Buchs mit der Kapitelüberschrift «Weide, Weide». Autorin Mariana Leky (aus Köln) landete mit «Was man von hier aus sehen kann» (2017) einen bemerkenswerten Erfolg. Ihr Buch stand 65 Wochen auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. Aaron Lehmann, geboren in Wuppertal, wohnhaft in Berlin, hat den kurrligen Roman verfilmt.

Und sein Film beginnt adäquat mit dem Okapi. Dieses eigenartige Geschöpf, auch Waldgiraffe genannt, «sieht absolut unglaubwürdig aus mit seinen Zebraunterschenkeln, seinen Tapirhüften, seinem giraffenförmigen rostroten Leib, seinen Rehaugen und Mausohren», beschreibt Erzählerin Luise das Tier, das ihrer Grossmutter Selma bisweilen erscheint. Und das hat Folgen, denn das Okapi soll Vorbote des Todes sein, glauben die Dörfler und Selma insgeheim auch. Wer wann stirbt beschäftigt die Menschen und fördert Wahrheiten und Geheimnisse zu Tage, welche die Leute infolge schlechten Gewissens loswerden wollen. Aber das ist nur ein Nebenstrang in der Geschichte um diese Menschen im Westerwald (ein rechtsrheinisches Mittelgebirge – es könnte auch irgendwo anders passieren), um ihre Eigenarten, Sehnsüchte und Liebe.
 
Um die vife Grossmutter Selma (Corinna Harfouch brilliert) dreht sich fast alles. Sie ist quasi der Dorfkern, Begegnungsstätte, Kristallisationspunkt. Das Mädchen Luise (Ava Petsch) himmelt sie an. Sie ist die Chronistin, erzählt von Selma, den Ereignissen bis hin zur letzten Stunde. Teenager Luise (Luna Wedler in Bestform) ist tief befreundet mit dem Spielkameraden und Altersgenosse Martin (Cosmo Taut), der sich ständig als Gewichtheber übt. Er scheidet auf tragische Weise aus ihrem Leben. Man denke ans Okapi. Es braucht Zeit, bis sie darüber hinwegkommt, eigentlich so lange, bis sie dem buddhistischen Mönch Frederik (Benjamin Radjaipour) begegnet. Der junge Mann, der aus Japan angereist war für kurze Zeit, fasziniert sie. Er wirkt freilich unentschlossen und ist doch auf seine Art zuverlässig.

Und so sind die Lebensbahnen und Beziehungen verästelt. Manches offenbart sich, einiges bleibt verborgen. Da wird ein Jäger und Säufer, Martins Vater Palm (Peter Schneider), zum Bibelanhänger, Luises Mutter Astrid (Katja Studt), eine Blumenhändlerin, ist in Alberto, Besitzer des Eiscafés, verliebt. Luises Vater ist Arzt, aber am liebsten weg, so wie er ständig darauf hinweist, mehr Welt reinzulassen. Der rührige Optiker (Karl Markovics – hervorragend als scheuer Bewunderer) – zögert, seine Liebe zu Selma und kann sie erst spät offenbaren. Die dicke Elsbeth hat ein Mittelchen gegen alles von der Gicht bis zur ausbleibenden Liebe, aber beim Okapi muss sie passen. Die traurige Marlies ist gar nicht traurig, sondern nur schlechter Laune.

Das Karussell der Gefühle dreht sich unstetig – mal begibt sich Komisches oder Tragisches, mal sind Begebenheiten und Befindlichkeiten erheiternd oder melancholisch.
Filmer Aron Lehmann («Das schönste Mädchen der Welt», ebenfalls mit Luna Wedler) pickt Kleinode aus dem umfangreichen Romanmaterial, das sich über Jahrzehnte erstreckt. Er balanciert gekonnt zwischen schrägem Humor und Emotionen, skurrilen Episoden und Sentimentalität – dem Okapi sei Dank! Das Ensemble ist stimmig und liebenswert – vom Hund Alaska bis zum versoffenen Palm und der Beobachterin Luise. Ein spitzbübischer Feel-good-Film, der dem Buch auf eigene bildstarke Weise gerecht wird. Einfach miterleben.


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Deutschland 2022    
109 Minuten

Buch und Regie: Aron Lehmann
Kamera: Christian Rein

Schauspieler: Corinna Harfouch, Luna Wedler, Karl Markovics, Rosalie Thomass, Benjamin Radjaipour, Cosmo Taut, Katja Studt


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