They Shall Not Grow Old

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Die Hölle auf Erden: Soldaten harren aus zwischen Dreck, Angst und Tod. Der Krieg kennt kein Erbarmen. Etappenpausen sind nur ein kurzes Zwischenspiel (Warner)




Der Krieg frisst seine Kinder


Vor 100 Jahren endete der erste Weltkrieg, Filmemacher Peter Jackson («Lord oft the Rings») ist tief in die Archive der BBC und des Imperial War Museums gestiegen, hat altes Bildmaterial ausgegraben und sie zu einem Film montiert. Alles beginnt 1914 euphorisch – die Rekrutierung, die Begeisterung der jungen Freiwilligen, ihre Abenteuerlust. Das dokumentiert Peter Jackson überwiegend in Schwarzweissbildern, punktuell durch Farbsplitter (Flagge) ergänzt. Doch wenn es ernst und Krieg wird, werden die Bilder gelblich, schmutzig, farbig, Konturen markanter, schärfer, lebendiger. Jackson und sein Team haben die alten Aufnahmen bearbeitet, aufgepusht und in Cinemascope-Format verwandelt. Auch die Bewegungen werden angepasst, runder.

Veteranen kommentieren aus dem Off. Die blutjungen Soldaten, halbe Kinder noch, sprechen, erzählen über den schmutzigen, schlammigen Alltag an der Front in Flandern, den unendlichen Beschuss, die grauenvolle Angriffe, das sinnlose Sterben. Sie erleben auch, dass die Gegner auch nur Menschen sind – Bayern, Preussen und andere – mit menschlichen Zügen, mit Leidensfähigkeiten und Ängsten. Jackson, so wird berichtet, hätte die Aussagen der Soldaten von den Lippen ablesen lassen. Militärveteranen – beim Filmabspann werden Dutzende von Namen (Voices) aufgeführt – hätten dann die Texte eingesprochen. Jackson monumentale Bildmontage – vertont – reicht von der Rekrutierung 1914 bis zur unmittelbaren Nachkriegszeit 1918.

Die Bilder vom Grabenkrieg in Flandern sprechen für sich. Das Abenteuer Krieg – die jungen Soldaten glaubten daran, als sie sich begeistert rekrutieren liessen – zeigte seine mörderische Fratze. Nie wieder Krieg – nur zwanzig Jahre später brachen Hitlers faschistische Horden und willigen Militärs einen neuen Krieg vom Zaun. Es gibt nur wenige Filme, welche Krieg so drastisch und wirklichkeitsnahe auf die Leinwand brachten wie Peter Jacksons «They Shall Not Grow Old». Man denkt vielleicht an Werke wie «Im Westen nichts Neues», «Die Brücke», «Apokalypse Now» oder «Dunkirk».

Jacksons Filmmontage, vertont und in 3D, entwickelt eine irritierende Anziehungskraft, sie wirkt unglaublich authentisch, hautnah und dokumentarisch modern. Der Neuseeländer hat einem Archäologe vergleichbar tief in die Archive des Imperial War Museums und der BBC gegraben. Er hat alte vergilbte Bilder lebendig gemacht, hat Menschen ein Gesicht gegeben.

Historisches Materials wurde synchronisiert und dramatisiert. Darf man das? Ich meine: Das dokumentarische Material wurde nicht verfälscht, sondern verschärft, nicht verraten, sondern in eine zeitgemässe Bildsprache verwandelt und führt vor Augen, dass der Krieg kein Abenteuerspielplatz ist, Jünglinge nicht zum Mann, sondern zu Krüppeln und Veteranen macht. Bitteres Schicksal: Nach Kriegsende finden die Veteranen in England keine Jobs, sie werden gemieden und abserviert wurden. Ein besserer moderner Anti-Kriegsfilms als «They Shall Not Grow Old» ist mir nicht bekannt. Er führt auf brutale Weise vor Augen: Krieg ist nicht das letzte (oder erste) Mittel der Politik, sondern ein Moloch, der Menschen entmenschlicht und verschlingt. Er frisst seine Kinder. Heute wie vor 100 Jahren!


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Grossbritannien/Neuseeland 2018  
99 Minuten 3D

Regie: Peter Jackson
Produktion: Peter Jackson, Clare Olsen
Schnitt: Jabez Olsen


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