There Is No Evil

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Mit der Vollstreckung eines Todesstrafe verdient er sich Urlaubstage: Soldat Javad will den Geburtstag seiner Verlobten Nana (Mahtab Servati, Bild) feiern und erlebt sein persönliches Waterloo. (Trigon Film)


Entscheidung für oder gegen das Leben?


Der Filmtitel «Das Böse gibt es nicht (There Is No Evil) » mag irritieren, meint er doch eher das Gegenteil. Meint der Filmer ihn ironisch? Die vier Episoden, die der Iraner Mohammad Rasulof erzählt, zeichnen böse Situationen, schildern, wie sich Menschen für oder gegen das «Böse» entscheiden, gezwungen sind, mit dem Bösen zu leben, sich mit ihm zu arrangieren oder selber Opfer zu werden. Was ist das Böse: Ist es der Tod, die böse Tat an anderen, das Unentrinnbare und Schicksalhafte?

Der pflichtbewusste Familienvater Heshmat (Ehsan Mirhosseini) kutschiert Frau und Tochter durch die Stadt, besucht die Grossmutter. Man geht zusammen Pizza essen, kümmert sich umeinander. Dann macht sich Heshmat früh morgens auf den Weg zur Arbeit – in einem Bunker, einem modernen Verliess? Dort betätigt er Knöpfe, Falltüren öffnen. Vier Todeskandidaten baumeln am Seil. Der unscheinbare Heshmat ist Henker und Familienvater. Kann er so böse sein? Die erste Episode ist mit «There Is No Evil» überschrieben.

Pouya (Kaveh Ahangar) versieht seinen Militärdienst in einem Gefängnis und erhofft sich danach, einen Pass zu bekommen, um auszureisen. Nichts fürchtet er mehr, als einen Delinquenten zu seiner Hinrichtung zu begleiten. Eines Morgens ist es doch soweit. Pouya will nicht töten, bricht schier zusammen, sucht Trotz bei einem Telefon mit seiner Freundin Tahmineh (Darya Moghbell). Und die versichert ihm: «Du schaffst es!» Der Verzweifelte mobilisiert seine Kräfte und rebelliert. Er entwaffnet einen Aufseher und bricht aus dem Gefängnis aus. Jenseits der Mauern wartet seine Gefährtin. Gemeinsam jubilieren sie beim bekannten Schlager «Bella ciao». Sie hatte ihm Mut gemacht: «You can do it».

Javad (Mohammad Valizadegan), ein Soldat auf Urlaub, reist ans Kaspische Meer. Dort will er mit seiner Verlobten Nana (Mahtab Servati) und deren Familie Geburtstag feiern. Doch die Stimmung ist trist, die Familie vermisst schmerzlich einen guten Freund, Keyvan, einen Aktivisten. Der ist zu Tode gekommen, und Javad muss erkennen, dass er daran schuld ist. Er hat den Befehl ausgeführt und dem Todeskandidaten Keyvan den Hocker weggezogen. Sein Lohn: ein paar Urlaubstage. «Birthday» beschreibt eine Liebe ohne gemeinsame Zukunft.

Bahram (Mohammad Seddighimehr), vormals Arzt, lebt mit seiner Frau Zaman (Jila Shahi) zurückgezogen im Hochland als Imker und Bauer. Die Nichte Darya (Baran Rasulof, Tochter des Regisseurs) besucht das Ehepaar. Bahram ist todkrank und hat nur einen Gedanken, Darya aufzuklären und sich als leiblicher Vater zu erklären und sie um Verzeihung zu bitten: «Kiss Me ».

Augenscheinlich haben diese vier Begebenheiten nichts miteinander zu tun, doch im Kern kreisen sie alle um ein Thema, um den Tod, seine Opfer und Beteiligten und schildern Entscheidungen für oder gegen das Leben. Die Protagonisten stehen an einem Wendepunkt: Soll man sich fügen oder selbst bestimmen. Rasulofs Film spiegelt den psychologischen Druck, die perfide Unmenschlichkeit und Unfreiheit wieder, die ein autoritäres Regime ausüben kann.

Sein Drama gewann in Berlin 2020 den Goldenen Bären. Regisseur Rasulof, dem man den Pass entzogen hatte, durfte nicht einreisen und wurde wegen «Propaganda gegen den Staat» aufgrund seiner letzten Filme 2019 verurteilt. Vorläufig wurde die einjährige Haftstrafe wegen der Corona-Epidemie aufgeschoben. Gleichwohl, sein Drama aus vier Partikeln, also vier Episoden, die separat entstanden sein sollen und dann zu einem Ganzen zusammengefügt worden sind, ist Appell an persönliche Verantwortung und ergreifendes Plädoyer für Humanität und Freiheit.


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Iran  
150 Minuten

Buch und Regie: Mohammad Rasulof
Kamera: Ashkan Ashlani

Darsteller: Ehsan Mirhosseini, Kaveh Ahangar, Darya Moghbeli, Mahtab Servati, Mohammad Valizadegan, Baran Rasulof


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