Sonne und Beton

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Vier Teenager zwischen Beton und Brutalität: Die Kumpels Lukas (Levy Rico Arcos), Gino (Rafael Luis Klein-Hessling), Julius (Vincent Wiemer) und Sanchez (Aaron Maldonado-Morales) suchen im Grossstadtsumpf ihren Weg. (Praesens-Film)



 

Rüde Realität zwischen Brutalität und Beton

 
Kanzler Gerhard Schröder hat das Sagen, Michael Schumacher wird zum sechsten Mal Weltmeister in der Formel 1. Ein heisser Sommer im Jahr 2003. Drei Jugendliche stromern herum, wollen sich Gras besorgen und geraten im Park an eine rivalisierende Dealergang. Die Kerle markieren den starken Macker und schlagen mir nichts dir nichts zu. Lukas (Levy Rico Arcos) wird zur Zielscheibe und Opfer. Er kommt zwar mit einigen blutigen Blessuren davon, wurde aber von seinen Freunden Julius (Vincent Wiemer) und Gino (Rafael Luis Klein-Hessling) im Stich gelassen, denn die schauten tatenlos zu, von Angst gelähmt. Bei diesem gewalttätigen Scharmützel wird es nicht bleiben. Lukas älterer Bruder Marco (Luvre47, Rapper aus Berlin) zieht mit seinen Kumpanen gegen die «Araber» zu Felde. Es herrscht ein raues Proloklima in Berlin-Gropiusstadt, Bezirk Neukölln.

Ein Leben von Krawall geprägt. Die jungen Burschen werden von allen Seiten bedrängt, getreten, gestresst. Ginos Vater (David Scheller) ist ein brutaler Säufer, der Frau und Sohn schlägt. Lukas’ Vater (Jörg Hartmann) ist belesen (Süddeutsche Zeitung), aber eine arme Sau. Er muss froh sein, überhaupt einen Job zu finden. Sanchez ist clever, stiftet die Clique zum Klau von neuen Computern im Schulhaus an, denn Lukas wird um Schutzgeld erpresst. Der Clou gelingt so gerade, aber dann … Julius ist ein Grossmaul, er versucht, Gino zu helfen, freilich mit den falschen Mitteln.

Der Spielfilm, von David Wnendt und seinem Team verantwortungsbewusst und aufwändig (Streetcasting mit 5000 Leuten) realisiert, ist keine Teenie-Klamotte, kein Party-Popcorn-Movie oder Feelgood-Verschnitt, sondern spiegelt harte, rüde Realität. Die vier Burschen, die im Mittelpunkte stehen, werden von ihrem Umfeld geprägt und getrieben. Sie sind Opfer und Täter zugleich. Gino beispielsweise ist ein stiller Typ, der aushält, bis er eines Tages, von Freund Julius aufgeputscht, ausrastet, seinen Vater halbtot schlägt und aus dem Fenster springt. Lukas, der intelligenteste im Quartett, hat das Potenzial fürs Gymnasium, vom Lehrer gefördert, hat aber die falschen Vorbilder, etwa seinen kriminellen Bruder. Er begreift erst spät, was Freundschaft heisst.

Die rüde Gassensprache und das hoffnungslose soziale Umfeld prägen den Film hart an der Wirklichkeit. Er wirkt wie ein Zeitdokument. Vor allem die jungen Darsteller, allesamt erstmals vor der Kamera, sind sehr authentisch. Man kann sich mit ihnen und ihrer Geschichte identifizieren. Das fanden auch Insassen eines Zuchthauses (JVA) in Berlin, die Gelegenheit hatten, den Film zu sehen.

«Sonne und Beton» ist harter Tobak. Motto: «Der Klügere tritt nach.» Der Film beschreibt ungeschminkt und hart an der Zumutung eine kaputte Gesellschaft. «Schon damals zeigen sich die Risse, die zu den heutigen Verwerfungen führen», meint Regisseur David Wnendt. «Einer dieser Risse verläuft durch die Gropiusstadt. Hier liegen die Wurzeln für Probleme, die in den letzten Jahren in Deutschland immer schlimmer geworden sind. Hier wird schon 2003 eine soziale Frage aufgeworfen, die bis heute nicht beantwortet wurde. Das Viertel ist voll von Kindern mit ausländischen Roots, die keine Chance haben, sich in der Mehrheitsgesellschaft zu integrieren.» Da fragt man sich, wer sieht sich «Sonne und Beton» an, wen spricht der Film an?  Hoffentlich auch viele, die sich nicht betroffen fühlen. Kein Unterhaltungskino, sondern Einblick in eine Welt, an der man am liebsten vorbeisieht – Leben mit viel Beton, aber wenig Sonne eben.


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Deutschland 2023      
119 Minuten

Regie: David Wnendt
Buch: Wnendt und Felix Lobrecht
Kamera: Jieun Yi

Darsteller:  Levy Rico Arcos, Vincent Wiemer, Rafael Luis Klein-Hessling, Aaron Maldonodo-Morales, Luvre47, Wael Alkhatib, Jörg Hartmann, Franziska Wulf, David Scheller


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