Smoke Sauna Sisterhood

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Nackte Wahrheiten: Frauen treffen sich in Estland in der Sauna und erzählen ihre Geschichten, schildern ihre Sorgen, ihre Schmerzen, auch Lustgefühle. (Trigon-Film)



Spiritueller Ort der Selbstreinigung


Um es vorwegzusagen: Dieser Film bedient keine Voyeure, auch wenn Nacktheit grossgeschrieben wird. Frauen wie Eva, Marianne, Elsa, Maria oder Kadi treffen sich mitten in einer abgeschiedenen Blockhütte neben einem kleinen See. Es raucht im schummrigen Tageslicht: Rauchsauna auf estnische Art. Hier fallen nicht nur Hüllen, sondern auch Tabus, heisst es so treffend. Frauen, in die Jahre gekommen, tauschen sich aus beim Schwitzen (mit anschliessendem Sprung ins spürbar eiskalte Wasser). Es wird gewimmert, geschimpft, gestöhnt (über Sorgen), aber auch gelacht.

Dieser Ort entpuppt sich als geschützter Ort der Entblössung, der Entäusserung, der Reinigung. Eine Frau erzählt von ihrer ersten Liebe, eine andere vom Liebeskummer, eine dritte von Ängsten, bitteren Erfahrungen oder gesellschaftlichen Zwängen. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Am schönsten an ihr seien die «Möpse», gibt eine Frau lachend zum Besten. Eine beklagt sich über Männer, falsche Hoffnungen und Enttäuschungen. Sie alle haben bittere oder süsse, angenehme oder schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Sie alle könnten (äusserlich) als Modelle für Rubens oder barocke Gemälde stehen. Sie vertreten alle Alters- und Gesellschaftsschichten (die aber nicht näher bezeichnet werden).

25 Frauen kommen in diesem ausserordentlichen Dokumentarfilm vor, mal ist nur ein Oberschenkel, ein Fuss, eine Brust zu sehen. Die Körper spielen keine Rolle. Es ist auch unwichtig, wer was erzählt, beklagt oder bespöttelt. Sie alle widerspiegeln Leben, weibliche Perspektiven, stehen für feminine Realitäten und Umstände.

Sieben Jahre lang hat die Estin Anna Hints an diesem Filmprojekt gearbeitet, hat Frauen in verschiedenen Rauchsaunen im südwestlichen Estland beobachtet, begleitet, belichtet. Die Rauchsauna, tief in der dortigen Kultur verankert, ist gewissermassen ein heiliger Ort, ein geschütztes Refugium. «Wir reinigen Körper und Seele vor wichtigen Ereignissen wie etwa einer Beerdigung», erzählt die Filmerin, «In der Sauna erzählte meine Grossmutter, dass Grossvater sie über Jahre betrogen hatte. All ihren Schmerz, ihre Wut und ihren Frust konnte sie das erste Mal rauslassen. Nach der Sauna war sie mit sich im Reinen und konnte ihn ohne Groll beerdigen. Dort habe ich das erste Mal verstanden, dass die Rauchsauna eine Art ‘Safe Space’ für Frauen ist, wo sie sich öffnen können und ihnen zugehört wird.» Hints’Film ist offen, hautnah, intim, aber kein Moment sexistisch oder erotisch. Er wirkt wie eine Offenbarung, wie ein reinigendes Ritual, ein Beispiel auch für weibliche Solidarität, Verständnis und Liebe zum eigenen Körper. Anna Hints gewann mit «Smoke Sauna Sisterhood» den Regiepreis beim Sundance Filmfestival 2023. Ein Fall für einen Oscar 2024 (Dokumentarfilm)?


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Estland 2023
89 Minuten

Buch und Regie: Anna Hints
Kamera: Ants Tammik

Mitwirkende: Eva Kübar, Marianne Liiv, Elas Saks, Maria Meresaar, Kadi Kivilo


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