One Life

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Kindertransporte: Nicolas «Nicky» Winton (Johnny Flynn) organisiert die Rettung jüdischer Kinder 1938/39. (Ascot-Elite)



Einer für viele


Ein Mann räumt seinen Dachboden auf und wird schmerzlich an die Vergangenheit erinnert. Der Londoner Makler Nicholas Winton (Johnny Flynn) erlebte 1938 in Prag, wie die Nazi-Gefahr immer näher rückte, wie Familien aus Deutschland oder Österreich, vor den Nazis geflohen, in der Tschechoslowakei Asyl gewährt worden war. Nun versuchten sie, ihre Kinder vor den Verfolgern in Sicherheit zu bringen. Infolge des Münchner Abkommens im September 1938 musste die Tschechoslowakei die sudetendeutschen Gebiete an Deutschland abtreten. Doch das war Adolf Hitler und seinen Gefolgsleuten nicht genug. Sie besetzten im März 1939 die «Rest-Tschechei».

Die Zeit drängte. Das wusste der 29-jährige Nicholas Winton und organisierte zusammen mit seiner Mutter Babette (Helena Bonham Carter) und anderen die Flucht jüdischer Kinder. Ihr Motto: «We have to believe, that’s possible.» Sie besorgten Papiere, suchten Pflegefamilien in England und organisierten Transportzüge. Acht von den geplanten neun Kindertransporten kamen durch und erreichten ihr Ziel. 669 Kinder konnten so vor KZs und dem sicheren Tod gerettet werden.

Fünfzig Jahre sind seither vergangen. Nicholas «Nicky» Winton (Anthony Hopkins) räumt auf Drängen seiner Frau Grete (Lena Olin) auf und stösst auf alte Dokumente: Briefe, Ausweise und Fotos der Fluchtkinder. Eine Bürde trägt er seither mit sich: Warum konnte er nicht mehr Kinder retten? Seine Frau macht die damalige Rettungsaktion ihres Mannes nun publik. «Nicky» wird zur BBC-Fernsehshow «That’s Life» als Gast eingeladen – und zu seiner Überraschung mit Überlebenden konfrontiert. Er ist gerührt, fassungslos, überwältigt – und wird in der Öffentlichkeit als «britischer Schindler» gefeiert. Die Wiederbegegnungen sind emotionaler Höhepunkt eines Films, der aufrührt und nahegeht.

Diese wahre Geschichte rekonstruiert Regisseur James Hawes, basierend auf dem Buch «If It’s Not Impossible ... The Life of Sir Nicholas Winton», das seine Tochter Barbara Winton 2014 verfasst hatte. Und so spielt sich das Drama auf zwei Zeitebenen ab: 1938/39 in Prag und 50 Jahre später in England. Die Rückblenden fügen sich ein, bilden lebensentscheidende Partikel im Leben des unscheinbaren Bürgers Winton, souverän gespielt vom nunmehr 86-jährigen Anthony Hopkins – auf unnachahmliche distinguierte Art und Weise. Regisseur James Hawes gelingt es subtil und schlüssig, mit der Vergangenheit «aufzuräumen». Winton, der Mann, der 669 Kinder rettete, haderte mit dem Schicksal beziehungsweise seiner Ohnmacht, nicht mehr Kindern die Flucht ermöglicht zu haben ... Die Wiederbegegnung mit den Überlebenden, die sich «Nicky’s Children» nennen, ist ein Fest der Freude und Tränen – und Höhepunkt im Kino. Der Filmtitel «One Life» bezieht sich auf das hebräische Sprichwort: «Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.» Ein Leben für viele, könnte man auch sagen. In einer Nebenrolle ist übrigens die Schweizerin Marthe Keller als Gattin Betty Maxwell zu sehen, Gattin des exzentrischen Verleger-Moguls Robert Maxwell. Der «wahre» Winton hatte sich seiner Rettungstaten nie gerühmt. Er wurde von der Queen geadelt und starb im biblischen Alter von 106 Jahren.


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Grossbritannien 2023
113 Minuten

Regie: James Hawes
Buch: Lucinda Coxon, Nick Drake
Kamera: Zac Nicholson

Darsteller: Anthony Hopkins, Johnny Flynn, Jelena Bonham Carter, Adrian Rawlins, Marthe Keller


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