Brüderlichkeit ohne Grenzen: Der Gottesmann Narziss (Sabin Tambrea) liebt den Lebemann Goldmund (Jannis Niewöhner). (Sony)
Getrieben – von Sehnsucht und Lust
Hermann Hesse hat in seiner Erzählung «Narziss und Goldmund» persönliche Erfahrungen verarbeitet. Seine Geschichte um zwei gegensätzliche Männer, der eine ein asketischer Gottesmann, der andere einen lebenssüchtiger Künstler, avancierte zum bekanntesten, beliebtesten Werk des Spätromantikers und Erbauungsliteraten. Es erschien vor 90 Jahren. Hesse, württembergischer Staatsbürger und seit 1924 auch Schweizer, erhielt 1946 den Literatur-Nobelpreis. Von Literaturverfilmungen freilich hielt er wenig bis gar nichts. Was würde er wohl zu diesem düsteren, gleichwohl üppigen Filmwerk sagen, das der Österreicher Stefan Ruzowitzky (Regie) und Robert Gold (Ko-Drehbuchautor) realisiert haben?
Entstanden ist ein zweistündiges Epos über eine Männerfreundschaft, über Lebensentwürfe und Sinnsuche, angesiedelt in mittelalterlichem Szenarium. Jüngling Goldmund (Jeremy Miliker) wird von seinem Vater ins Kloster Mariabronn beordert, wo ihn Klosterschüler Narziss (Oskar von Schönfels) in Obhut nimmt. Die beiden verbindet fortan eine Freundschaft trotz aller Gegensätze – ein Leben lang. Der heranwachsende Goldmund spürt, dass er in klösterlicher Sicherheit und Strenge keine Befriedigung findet und macht sich auf die Suche nach seiner Mutter, die offenbar ihrerseits die Freiheit gesucht hat – als Tänzerin und Kurtisane.
Goldmund (Jannis Niewöhner) saugt das Leben förmlich auf, lässt sich treiben, kostet Lust und Liebe aus, wie es ihm passt. Er pendelt quasi zwischen Bett und Galgen – suchend, zweifelnd, hemmungslos. Beim Holzschnitzmeister Niklaus (Uwe Ochsenknecht) erlernt er das Handwerk, zeigt meisterhafte Fähigkeiten, schlägt aber die Hand Lisbeths, der Tochter des Meisters, aus. In Lene (Henriette Confurius) glaubt er, seine grosse Liebe gefunden zu haben – und verliert sie an der Pest. Seine letzte Erfüllung findet Goldmund bei seiner Rückkehr ins Kloster – in den Armen des Abtes Narziss (Sabin Tambrea) und bei der Vollendung eines Altars und einer Johannesfigur, welche die Züge des Jugendfreundes Narziss' trägt.
In einer grossen Rückblende (Goldmunds Lebensbeichte) entfaltet Regisseur Stefan Ruzowitzky, Oscar-Gewinner mit dem KZ-Drama «Die Fälscher» (2007) die Geschichte zweier Männer. Der eine, Narziss, sucht seine Erfüllung in einem vollkommenen Leben für Gott, der andere stürzt sich in Leben, von ungestillter Lust und der Sehnsucht nach seiner Mutter getrieben. Hier der asketische Klosterbruder (glaubhaft gespielt vom Rumänen Tambrea), dort der Adonis, wilde Lebemann und Glücksritter Goldmund (von Niewöhner mit Berliner Dialekt aufdringlich sinnlich verkörpert). Die zwei ungleichen «Brüder» suchen Erfüllung, doch bleibt ihre Liebessehnsucht ungestillt.
Der homoerotische Aspekt dieser Freundschaft wird in der Verfilmung praktisch ausgeklammert, wobei dem «Wüstling» und Künstler Goldmund mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem sanften Abt und Gottesmann Narziss. Kein Wunder, denn die Eskapaden des lebenslustigen Abenteurers lassen sich filmisch besser «verkaufen».
Das düstere Drama (gespickt mit Szenen aus dem Mittelalter wie aus einem Bilderbogen des Hieronymus Bosch), aufwändig und illuster, hält sich in groben Zügen an die Literaturvorlage, bleibt aber letztlich nur gut gemeinte, gefällige Bebilderung. Der Film setzt auf Oberflächenreize. Es wird weder mit Blut, Grausamkeit und Pest noch mit Idylle und Erotik gespart. In die Tiefe geht die Verfilmung nicht. Die Freundschaft der beiden unterschiedlichen Charaktere wird nicht hinterfragt. Die schillernde Verfilmung romantisiert (nah am Kitsch) und banalisiert zugleich. Wer mittelalterliche Monumentaldramen wie «Königreich der Himmel» oder «Die Säulen der Erde» mag, wird auch an «Narziss und Goldmund» Gefallen finden.
Die Abtei Mariabronn, die Hesse in seiner Erzählung vorschwebte, bezieht sich auf das evangelische Klosterseminar Maulbronn, in dem der Dichter selber Jahre verbrachte. Er hat Maulbronn kurzerhand in ein katholisches Kloster verwandelt. Gedreht wurde freilich in Österreich und Tschechien. Das Ende sei nicht verraten. Nur so viel, einen markanten Auftritt hat André M. Hennicke (bekannt aus diversen «Tatort») als «feuriger» Bruder Lothar. Erwähnenswert sind ferner die Schauspieler Matthias Habich als Burgherr, Jessica Schwarz als Rebekka und die Schweizerin Sunnyi Melles als Gräfin.
Deutschland, Österreich 2020
118 Minuten
Buch und Regie: Stefan Ruzowitzky
Kamera: Benedict Neuenfels
Darsteller: Sabin Tambrea, Jannis Niewöhner, Emilia Schüle, Uwe Ochsenknecht, Henriette Confunius, Matthias Habich, André M. Hennicke, Sunnyi Melles, Jessica Schwarz
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