Liquid Truth

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Ein Schwimmlehrer steht am Pranger: Ein Schüler beschuldigt Rubens (Daniel de Oliveira) ihn geküsst zu haben und seine Mutter bringt eine Lawine der Diffamierung ins Rollen. (Trigon-Film)



Soziale Medien und Rufmord


Brennend aktuell in Zeiten von #Me Too, geouteten Übergriffen und sozialen Medien. Schnell werden Vermutungen, Verdächtigungen zu Beschuldigungen, «Tatsachen», wenn sie kommuniziert und in sozialen Medien verbreitet werden. Wann sind eine Berührung, ein Kuss anstössig und verwerflich? Was ist heute noch erlaubt – im Training, im Unterricht, in Zwiegesprächen? Der 33-jährige Rubens (Daniel de Oliveira) muss eine existenzbedrohende Erfahrung machen. Der Trainer ist ein Traum von einem Schwimmlehrer, freundlich, einfühlsam, allseits beliebt bei den Kindern. Doch ausgerechnet der achtjährige Alex (Luiz Felipe Mello), um den sich Rubens besonders kümmert, schwärzt ihn an.

Was ist passiert? Ein Knabe ist beim Schwimmwettbewerb «nur» zweiter Sieger geworden. Statt ihn zu loben, macht der Vater (Gustavo Falcão) ihm Vorwürfe. Rubens tröstet den Knirps, nimmt ihn zur Seite, küsste ihn auf die Wange, wie er später erklärt. Alex bockt, will nicht mehr zum Schwimmunterricht und gibt als Grund vor, vom Lehrer geküsst worden zu sein. Die Mutter, medikamentenabhängig, aufbrausend, stachelt den (skeptischen) Vater an, bei Ana (Malu Galli), der Direktorin des Sportzentrums, vorstellig zu werden. Sie selbst macht ihren Zorn auf Facebook publik und zettelt einen Shitstorm bei den Eltern und in der Öffentlichkeit an. Aus einer Behauptung, einem Verdacht wird eine Anklage, aus einer kindlichen Aussage eine Wahrheit konstruiert. Der «Vorfall» gerät ausser Kontrolle, die Polizei wird eingeschaltet. Der «Täter» hat keine Chance gegenüber den sozialen Medien. Beschuldigungen werden leicht, ungeprüft und verantwortungslos dank der neuen Kommunikationsmittel schnell und effektiv verbreitet. Ein Akt von Rufmord.

Solch einen Fall schildert die Brasilianerin Carolina Jabor in ihrem Spielfilm «Liquid Truth» (Aos Teus Olhos – Durch deine Augen). Es geht um dehnbare, fliessende Wahrheiten – je nach Perspektive. Der Schwimmlehrer, dem man grundlos homophobischen Neigungen anhängen will, wird zur Projektionsfläche von Ängsten, Vorurteilen, eigenen Unzulänglichkeiten (bei den Eltern) und Neid (beim Kollegen). Manches lässt die Regisseurin in ihrem Sozialdrama offen. Jeder kann sich sein eigenes Urteil fällen.

«Für uns», unterstreicht Carolina Jabor aus Rio de Janeiro, «ist das wichtigste Element zu zeigen, dass es unterschiedliche Moralvorstellungen gibt, dass alle ihre Wahrheit haben.» Man sieht das Unheil kommen und ist ihm wie der «Held» machtlos ausgesetzt. Ein wichtiger Beitrag im Zeitalter der Fake News, der hemmungslosen Kommunikation, der Verdrehung und Beugung von Tatsachen und Wahrheiten.


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Brasilien 2017    
87 Minuten

Regie: Carolina Jabor
Buch: Lucas Paraizo
Kamera: Azul Serra

Darsteller: Daniel de Oliveira, Luisa Arraes, Gustavo Falcão, Malu Galli


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