Leto

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Aufbegehren im Musikuntergrund. Die Punkrocker um Viktor (Teo Yoo) und Mike (Roma Zver) sind Zeitzeugen, die in Russland vergessen und bei uns nicht wahrgenommen wurden. (Prosa Film)



Rockrebellen in Leningrad


Anfang der Achtzigerjahre in Leningrad. Düstere Zeiten strenger Staatsüberwachung und Kontrolle. Aber es brodelt im Untergrund, Die Jugend mumpft auf. «Leto» heisst Sommer, und um einen Rock-Sommer geht es in dem pseudo-dokumentarischen Schwarzweissfilm von Kirill Serebrennikov, der aus Russland nicht ausreisen darf (Hausarrest wegen angeblicher Unterschlagung von Geldern) und so weder am Filmfestival Cannes noch am Zurich Film Festival persönlich teilnehmen konnte.

Es beginnt in einem düsteren Hinterhof in Leningrad. Über eine Leiter durch ein Männerklo gelangen drei junge Frauen in einen düsteren Saal. Klammheimlich, um am Konzert von Mike/Mayk Naumenko (Roma Zver/Bilyk) und seiner Band Zoopark teilzuhaben. Rockmusik im Undergroundkeller, dem Rock Club, ist nur unter strengen Auflagen und Geboten statthaft: Die Fans müssen brav sitzen, keine Plakate, keine emotionale Ausbrüche. Die kommunistischen «Sittenwächter» markieren Präsenz. Im Untergrund rumort es gleichwohl – im letzten Sommer vor der Perestroika. Zu dem Musikerpaar Mike und Natascha Naumenko (Irina Strashenbaum) stösst der junge Musiker Viktor (Wiktor) Tsoi (Teo Yoo). Mike unterstützt den Newcomer, der die Nähe Nataschas sucht und seinerseits die Band Kino gründet. Man befruchtet, bestärkt sich gegenseitig, sucht Nischen. Es entspannt sich eine bittersüsse Dreiecksgeschichte.

Regisseur Kirill Serebrennikow orientiert sich am Leben der russischen Rockpioniere Viktor Tsoi (er starb bei einem Autounfall 1990) und Mike Naumenko (gestorben 1991), ohne jedoch ein genaues Biopic anzustreben. Zoi gilt als der populärste und innovativste Rockmusiker und Poet seiner Zeit, der sozialkritische und politische Texte einbaute. Er und seine Band Kino wurden zu Helden der russischen Jugend. Serebrennikovs Spielfilm konzentriert sich auf die Anfangszeiten, fängt das raue Klima unterschwelliger Punkproteste und des Aufbegehrens der Jugend ein.

Westliche Stars wie Talking Heads, Billy Idol, David Bowie oder Lou Reed und ihre Musik sind die Vorbilder. In einer typischen Szene berauschen sich junge Leute in einem Bus an Iggy Pops «The Passenger». Man versucht die Fesseln der Gesellschaft abzulegen, erkämpft zumindest innere Freiräume gegen Repressionen. Der Film vermittelt ein Lebensgefühl, zeichnet ein Stimmungsbild – teils Grau in Grau, teils farbig und in Animationen um. Ein kantiger rauer Musikfilm, der eine vergessene Jugendbewegung, ein Aufbegehren beschreibt – gegen konventionelle Sehgewohnheiten, gegen den Strich und wirkt gerade deswegen authentisch. Das Ende dieser Zeit bis 1990 klammert «Leto» bewusst aus. «Mein Ziel ist es, einen Film über Menschen zu machen, die glücklich sind und absolute Freiheit geniessen, trotz Unterdrückung durch die Regierung.» Eine Freiheit, die dem Filmer vorbehalten bleibt, der aber die Hoffnung nicht aufgibt – heute.


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Russland 2018    
128 Minuten

Regie: Kirill Serebrennikov
Buch: Serebrennikov, Mikajil Idov, Lili Idova, Ivan Kapitonov, Natalya Naumenko
Kamera: Vladislav Opelyants

Darsteller: Teao Yoo, Irina Starshenbaum, Roma Zver (Bilyk), Anton Adasinsky


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