Momente des Glücks: Claudine (Jeanne Balibar) findet im Journalisten Michael (Thomas Sarbacher) einen Seelenverwandten und Geliebten. (Frenetic Films)
Eine Frau zwischen Fürsorge und Freisein
Ende der Neunzigerjahre. Eine Frau reist mit dem Bus zur gigantischen Staumauer Grande Dixence im Wallis. Weiss der Kuckuck warum ... Die Busreisende betritt ein Hotel. Nathan (Adrien Savigny), der Mann an der Rezeption, kennt sie und orientiert sie gegen ein «Trinkgeld» über Männer, die hier allein und für kurze Zeit nächtigen. Claudine (Jeanne Balibar) sucht ein sexuelles Abenteuer – sozusagen einen One-Day-Stand immer dienstags. Die attraktive Frau aus der Stadt führt ein Doppelleben. Hier in karger Bergwelt sucht sie ihre kleinen Freiheiten, hier kann sie anonym ihre sexuellen Bedürfnisse für ein paar Stunden stillen. Im «normalen» Alltag hegt und pflegt sie alleinerziehend ihren Baptiste (Pierre-Antoine Dubey), ihren behinderten Sohn im Teenageralter. Sie arbeitet selbstständig als Massschneiderin. Ihre Kontakte beschränken sich auf Kundinnen. Ihr Lebensinhalt ist auf ihren Sohn fixiert, einem grossen Verehrer von Lady Diana und Fan vom Sänger Johnny Logen («Hold Me Now»). Ihr Routineausflug am Dienstag wird zur Herausforderung, als sie auf den deutschen Journalisten Michael (Thomas Sarbacher) trifft. Aus dem Schäferstündchen entwickelt sich eine Beziehung, eine Liebschaft. Claudine am Scheideweg – versorgt sie ihren Sohn, lässt ihn allein und bricht mit dem Liebhaber zu neuen Ufern in Argentinien auf?
Claudine pendelt zwischen zwei Welten – einerseits ist sie ihrem Sohn verpflichtet, andererseits sehnt sie nach Erfüllung und Liebesglück. Sie lebt im Tal und sucht die Unabhängigkeit und Auszeit in der Bergwelt, versinnbildlicht durch die Staumauer im Wallis. Die Geschichte konzentriert sich auf das Jahr 1997, als Lady Di starb. Ein Schicksalsjahr für Mutter und Sohn, eine Phase der Ablösung und Emanzipation. «Die Liebesgeschichte – auch wenn sie sich an Claudine als unmöglich erwies – diente ihr als Sprungbrett, um den Lauf des Schicksals zu ändern», meint Regisseur Maxime Rappaz, der auch das Drehbuch verfasste. Mit «Laissez-moi», seinem ersten Spielfilm, gelang dem Genfer ein unspektakuläres, sehr intimes Werk – romantisch und realistisch zugleich. Die Pariser Sängerin und Schauspielerin Jeanne Balibar verkörpert Claudine, diese Frau zwischen Fürsorge und Freiheit, bis in die Poren. Ihr Blick, zärtlich, verletzlich, sehnsüchtig, und ihre Körpersprache machen dieses Melodrama zum Ereignis.
Schweiz 2023
93 Minuten
Buch und Regie: Maxime Rappaz
Kamera: Benoit Dervaux
Besetzung: Jeanne Balibar, Thomas Sarbacher, Pierre-Antoine Dubey, Véronique Mermoud
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