Grosser Baum auf Reise – Taming the Garden

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Als wär's eine Fata Morgana: Riesenbäume gehen auf die Reise übers Meer. Ein Milliardär macht's möglich. Begräbnis oder kirchliche Prozession? Anwohner eskortieren (Bild oben) einen «reisenden» Baum, der verpflanzt wird. (Vinca Film)



Wenn Bäume wandern und
übers Meer fahren


Kein Märchen, sondern Wirklichkeit: In Georgien können Bäume schwimmen. Ein Multimillionär hat's möglich gemacht. Er liess an die 200 Bäume in seinen Park transportieren. Die georgische Regisseurin Salomé Jashi hat diese aussergewöhnliche Aktion mit der Kamera festgehalten: «Taming the Garden – Grosser Baum auf Reise».

Man stelle sich vor: Ein Baum schwimmt auf dem Meer. Eine Fata Morgana, ein filmischer Trick? Nein, Realität! Die Regisseurin Salomé Jashi hat diesen unwirklichen Transport dokumentiert. «Taming the Garden» – so der Originaltitel ihres Films bedeutet so viel wie Bändigung oder Zähmung des Gartens. «Der Titel steht für Verschiedenes», erklärte die Filmerin, «einerseits für den Garten wie Garten-Eden, andererseits für den Garten als eigene Welt. Taming bedeutet Zähmung der Wildnis, eines wildes Pferdes oder von Löwen im Zirkus. Dahinter steckt der Wunsch, sich etwas oder jemanden zu Eigen zu machen.»

Wir sprachen darüber mit der 40jährigen Filmerin (Porträt am Schluss des Beitrags; Bild: rbr), die nun ihren dritten Langdokumentarfilm realisiert hat. Dokumentarfilme seien ihre Leidenschaft und zugleich eine Lebenseinstellung betonte sie. Wie kam sie auf die Idee, über diese Aktion einen Film zu drehen? «Der erste Baumtransport war ein grosses Ereignis – in ganz Georgien. Das war für mich einerseits ein faszinierender Anblick, andererseits aber auch erschütternd und aufwühlend. Es verbarg sich mehr dahinter, dachte ich. Die Bilder der Bäume, die durch die Landschaft ziehen sind vielschichtig, einerseits durchaus poetisch, andererseits stehen sie auch für Macht und das Verlangen nach immer mehr.»
Von 2016 bis 2019 hat sie diese Verpflanzungen verfolgt. In ihrem Film geht es denn auch um mehr als einen Baum. Insgesamt hat der Initiator dieser «Umsiedlung» rund 200 Bäume verpflanzt – vom Festland in seinen privaten Sekvetili Park an der Schwarzmeerküste, der 60 Hektaren umfasst (das entspricht über 20 Fussballfelder) und für die Öffentlichkeit zugänglich ist, wie Salomé Jashi bestätigt. Neben einheimischen Bäumen sind dort auch Pflanzen, Vögel und Waldtiere in Gehegen und Volieren angesiedelt. Begründer und Investor ist der frühere Premierminister Georgiens, Bidsina Iwanischwili. Der Milliardär zieht heute noch die Fäden in Georgien, hält sich aber im Hintergrund. Die Filmerin hat ihn persönlich nicht kennengelernt, er war auch nicht am Film beteiligt.

Es handelt sich bei den Bäumen nicht um Sprösslinge, sondern um ausgewachsene Baumriesen, bis zu 15 Stockwerke hoch, für deren Transport Strassen angelegt und andere Bäume gefällt werden mussten. Es gibt eine Sequenz, in dem Anwohner den Transport wie bei einer Prozession begleiten, die einen andächtig, andere erbost. «Tatsächlich ist das Dorf dem Transport gefolgt. Das Ereignis war einfach überwältigend. Es wirkt wie eine Prozession, aber auch wie ein Begräbniszug. Ein Zeichen von Beileidsbekundung. Die einen lachten und gratulierten sich, andere waren tief erschüttert», erzählt Jashi.
Überhaupt, die Bilder von den schwimmenden Bäumen bleiben haften. Sie faszinieren, wirken surreal und sind doch wirklich. Und sie werfen Fragen auf. Sind sie Symbole für eine gesellschaftliche Situation, Parabeln? «Ja sicher, aber nicht nur für Georgien, sondern auch anderswo. Sie stehen für den Umgang mit Werten, aber auch für Macht und Geld.», unterstreicht Salomé Jashi. «Diese Eindrücke beschreiben das Verhältnis von Mensch zu Natur und zeigen eine Haltung, in der Macht und Geld zur Hauptsache werden.»

Es gibt eine Szene, in dem eine alte Bäuerin nach dem Preis des Baumes fragt, der abtransportiert werden soll. Sie erwartet 400 einheimische Lari (etwa 120 Franken), doch dann werden ihr aufgrund eines Missverständnisses 40 000 Dollar versprochen. Jashis Film ist kommentarlos. «Die Bilder sprechen für sich», meint sie. «Das Publikum soll den Film selber interpretieren.» Der Film «Grosser Baum auf Reise – Taming the Garden», eine schweizerisch-deutsche-georgische Koproduktion, hat eine weite Reise hinter sich, vom Sundance Filmfestival über Berlin nach Locarno letzten Sommer. Nun startet er in der Schweiz und Deutschland und wurde am 8. Dezember auch in Tiflis aufgeführt. Die Publikumsreaktion? «Die meisten Zuschauer sehen, dass ein Baum nicht nur ein Baum ist, sondern auch eine Metapher für Entwurzelung, für die Macht von Geld und die Wirkung menschlichen Handelns auf die Natur. Der Baum steht in unserem Film auch für Menschen, die ihre Verbindung zur Umgebung verlieren, physisch wie mental. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um Entwurzelung.» – Salomé Jashi lebt und arbeitet in Tiflis.


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Georgien/Schweiz 2021  
88 Minuten

Buch und Regie: Simoné Jashi
Kamera: Jashi, Goga Devdariani


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Eine Beobachterin, die dokumentiert, aber nicht kommentiert: Salomé Jashi (40) aus Tiflis. (Bild: rbr)

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