Un divan à Tunis

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Forsch, selbstbewusst und engagiert: Psychologin Selma (Golshifteh Farahan) will in Tunis helfen, eine neue Gesellschaft zu stärken. (Praesens Film)


Tunesische Therapie


Selma ist in Frankreich gross geworden und kehrt in ihr Heimatland Tunesien zurück, das 2011 Diktator Ben Ali vertrieben hatte und so den Arabischen Frühling auslöste. Die Menschen seien befreit, wollen sich mitteilen, sagt sich Psychologin Selma (Golshifteh Farahani), will sich in ihrem Heimatland Tunesien beweisen und beim Aufbau einer neuen Gesellschaft teilhaben. Die Leute wollen ihre kleinen und grösseren Sorgen loswerden, glaubt die Heimkehrerin, und eröffnet eine Praxis in Tunis, um die Nöte verunsicherter Seelen zu lindern oder zu beheben.

Doch so einfach lässt sich der Schalter von Diktatur auf Demokratie, von Patriarchat auf Gleichberechtigung von Frauen nicht umschalten. Das muss auch die selbstbewusste, engagierte Selma erkennen. Aber ein Anfang ist gemacht – auf ihrer Couch in ihrer provisorischen Praxis auf dem Dach des Wohnhauses.

Es sind zweifelnde, auch drollige Menschen, die sich ihr anvertrauen: Ein aufgeschlossener Imam mit Depressionen beispielsweise, Raouf (Hichem Yacoubi), ein Mann, der mit seinem sexuellen Begehren nicht klar kommt, die aufmüpfige Nichte Olfa (Aïcha Ben Miled) mit feministischen Ambitionen oder die temperamentvolle Beauty-Salon-Besitzerin Baya (Feriel Chamari). Nicht zuletzt kommt der Psychotherapeutin wiederholt Polizist Naïm (Majid Mastoura) in die Quere, der Moral hochhält und sich nicht korrumpieren lässt. Sie alle gehören der Mittelschicht an, müssen sich zwischen Tradition und Moderne (Umbruch) zurechtfinden und sind durch innere Widersprüche geprägt.

«Un divan à Tunis» ist ein heiterer Sozialfilm, geprägt von Gegensätzen, von Lebenslust und Optimismus. Religiöse oder politische Themen sind kein Thema im Spielfilmdebüt von Manele Labidi, die selbst tunesische Wurzeln hat. In ihrer Hauptfigur Selma, lebhaft und temperamentvoll verkörpert von der iranischen Schauspielerin Golshifteh Farahani, fliessen viele eigene Erfahrungen und Interessen ein. Man erfährt wenig bis gar nichts über Selmas Vergangenheit, über ihre Emotionen und (privaten) Beziehungen zu Männern. Das sei bewusst so angelegt, sagt die Filmautorin. Selma sollte schweigsam, einsam, mysteriös voller Elan und weit davon entfernt sein, eine Familie oder einen Partner als ihre Bestimmung im Leben anzusehen, meint die Autorin. Selma, eine selbstbewusste offene und freie Frau, nimmt ihr Schicksal selber in die Hand und hilft andern dabei – auf der Couch.


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Frankreich, Tunesien 2019
88 Minuten

Buch und Regie: Manele Labidi
Kamera: Laurent Brunet

Darsteller: Golshifteh Farahani, Majid Mastoura, Aïcha Ben Miled, Feriel Chamari, Hichem Yacoubi


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