Peter Lindbergh – Women's Stories

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Er inszenierte, animierte und kreierte Supermodels, der deutsche Modefotograf Peter Lindbergh (1944–2019). (DCM Filmdistribution)



Der Mann, der die Frauen mit der Kamera liebte


Man nennt ihn den «Regisseur unter den Fotografen». Peter Lindbergh hat unbekannte Sternchen zu Stars gemacht, hat sie inszeniert für Modemagazine, statt nur abzulichten. Er revolutionierte die Modefotografie und kreierte Supermodels. Der 74-jährige Künstler mit bürgerlichem Namen Peter Brodbeck, 1944 im damaligen Wartheland heute Polen, geboren, starb am 3. September in Paris. Mit 18 Jahren zog es den Deutschen ihn in die Schweiz. In Krefeld begann er dann ein Malstudium, wandte sich 1971 der Fotografie zu und lebte ab 1988 in Paris. Von dort eroberte er die Modewelt, arbeitet für die Zeitschriften Vogue, The New Yorker, Vanity Fair oder Rolling Stone. Modells wie Naomi Campbell, Cindy Crawford, Tatjana Patitz, Christy Turlington oder Linda Evangelosta wurden zu Superstars. Seine Modesessions entwickelten sich zu Inszenierungen auf dunklen Strassen, in verfallenen Fabrikhallen, und Industriegeländen, schmutzigen Kulissen, in historischem Ambiente und anderen Szenerien abseits von Glanz und Glamour. Er hat sie alle in ein anderes (Schwarzweiss-)Licht gesetzt, Stars wie Catherine Deneuve, Charlotte Rampling, Madonna, Nastassja Kinski, Tina Turner, aber auch die Stones oder John Travolta und die Schweizer Schlangenfrau Nina Burri. Er hat auch Popsuperstar Helene Fischer für die deutsche Vogue abgelichtet, erhellt. Die Kleidung, also Mode, spielt meistens eine untergeordnete Rolle. Im September erschien sein letztes Titelbild für das Magazin GQStyle mit Uma Thurman. Seine Bilder erzählen Geschichten, machen Models zu Menschen und umgekehrt.

Am Filmfestival Locarno 2019 war Peter Lindbergh mit zahlreichen Porträts präsent, vereinigt auf riesigen Schwarzweiss-Plakaten. Unter dem Titel «Emozioni!» vereinigte er die Persönlichkeiten Stephan Eicher, Musiker; Sandra Knecht, Künstlerin und Köchin; Christa Bösch & Cosima Gadient, Modedesignerinnen; Kerim Seiler, Künstler und Architekt; Shirana Shabazi, Künstlerin und Fotografin; Max Hubacher, Schauspieler und Maya Rochat, Künstlerin. Unübersehbar in der Festivalstadt. Da ist es unverständlich, dass Jean Michel Vecchiets Filmporträt «Peter Lindbergh – Women's Stories» nicht im Rahmen des Festivals aufgeführt wurde. Der Film läuft nun in den Kinos. Vecchiet versucht in seinem Dokumentarfilm das Phänomen Lindbergh zu fassen, zu bebildern. Er konzentriert sich dabei – siehe Titel – auf die facettenreichen Verhältnisse des Fotokünstlers zu Frauen, die dann auch zahlreich zu Bild und Wort kommen, Modells, Ehefrauen, Freundinnen, seine Schwester und mehr. Sie beschreiben ihn und seine Arbeit, er selbst bleibt wortkarg, der unstete Mann mit der Kamera, der animiert, dirigiert und produziert. In Paris fand Peter Lindbergh eine Heimat, in Paris ist er am 3. September 2019 gestorben.

An der Fülle des Materials drohte der Regisseur Vecchiet, ein jahrelanger Begleiter Lindberghs, schier zu ertrinken. Rastlos und umtriebig kuppelt er Fotodokumente, Statements und Filmaufnahmen, so dass man als Zuschauer zuweilen nicht mehr weiss, wo einem der Kopf steht, wer denn wann wieso und wie lange mit dem Künstler liiert war, ob sich Fotos aneinanderreihen oder Filmpassagen aus Lindberghs Werken mit Aufnahmen montiert und verschmolzen wurden. Eine Fülle spannendes, eindrücklich meisterhaftes Material wird ausgebreitet, doch ein wenig mehr Struktur hätte der Hommage an Lindbergh und seine Musen gutgetan. Vecchiet liefert keine Chronologie, beschreibt im Grunde keine Lebensgeschichte, sondern arbeitet assoziativ – erhellend und irritierend zugleich. Erst gegen Schluss erklärt sich Lindberghs Karriere und Leidenschaft für Frauen. Die Mutter, die ihre künstlerischen Ambitionen nicht verwirklichen konnte, und seine Kindheit waren Ausgangspunkte, waren kreative Triebfeder. Ein Porträt wie ein Mosaik, das sich aus vielen Partikeln zusammensetzt und doch das Phänomen, das Genie nur skizzieren und bebildern kann. Lindbergh bleibt irgendwie unnahbar, ein Mysterium. Ein abschliessendes Bild liefert der Film nicht, wohl aber eine aussergewöhnliche visuelle Reise.


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Deutschland 2019
113 Minuten

Buch, Regie und Kamera: Jean-Michel Vecchiet

Mitwirkende: Peter Lindbergh, Astrid Lindbergh, Naomi Campbell, Helga Polzin, Irène Silvagni, Petra Sedlaczek


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