Disco Boy

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Magische Anziehung: Udoka (Laëtitia Ky), die Schwester eines afrikanischen Rebellenführers, fasziniert den Legionär Alex (Franz Rogowski). (First Hands Films)

 

Verschmelzung


 Flucht. Alex/Alexej (Franz Rogowski) verlässt zusammen mit seinem Kumpel Michael seine Heimat Weissrussland. Ihr Ziel heisst das gelobte Land Frankreich. Bei einer gefährlichen Flussüberquerung der Oder verlieren sie sich irgendwo in Polen aus den Augen. Gefährte Michael scheint ertrunken zu sein. Alex sucht sein Heil in der französischen Fremdenlegion. Dort wird Freiwilligen versprochen, nach fünf Jahren Dienst in der Eliteeinheit, die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Er übersteht den Drill, wird verpflichtet und erlebt seinen ersten Einsatz in Afrika. Legionär Alex und seine Einheit sind einer Guerillatruppe im Nigerdelta auf der Spur, die französische Angehörige einer Ölgesellschaft entführt haben.

Im Dschungel, im Herz der Finsternis sozusagen, erlebt er die Grausamkeit des Krieges. Alex wird mit dem Rebellenanführer Jomo (Morr Ndiaye) konfrontiert, Seine paramilitärischen Kämpfer versuchten die fremden Ausbeuter, sprich Ölproduktion, in der Nigerregion zu stoppen, die Natur und Existenz der Ureinwohner zerstören. Den Aktivisten des MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta) gelang es tatsächlich, die Ölproduktion Nigerias zwischen 2006 und 2007 um 33 Prozent zu senken. Dem Rebellentrupp, gegen welche die Fremdenlegionäre kämpfen, gehört auch Jomos Schwester Udoka (Laëtitia Ky) an, die wie ihr Bruder verschiedene Augenfarben besitzt.

Alex tötet Jomo im Zweikampf und wird ihn jedoch wie dessen Schwester nicht mehr vergessen. Beide haben sich bei Alex eingebrannt. Der Krieg und diese Begegnungen haben ihn verändert, stigmatisiert, ihn beseelt. Nach der Rückkehr nach Frankreich erfüllt sich quasi sein Schicksal: Alex wird zum Disco Boy, stellvertretend für Widersacher Jomo, der von diesem Job träumte.

Abbruzzeses Spielfilm gliedert sich in drei Entwicklungsphasen:  dem Abenteuer Fremdenlegion, der Realität des Kriegs und der Rückkehr (oder Findung).  Der realistische wie bizarr-mysthische Filmtrip des Italieners Giacomo Abbruzzese, der sich bisher durch Kurzfilme und mittellange Spielfilme profilierte, entwickelt einen magischen, halluzinatorischen Sog. Die dunklen, teil verfremdeten Bilder kreierte Hélène Louvarts. Sie wurde für ihre Kameraarbeit in Berlin 2023 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Diese Reise ins Herz Afrikas ruft Joseph Conrads berühmten Roman «Das Herz der Finsternis» (1899) in Erinnerung, der von Ausbeutung und Kolonialismus in Afrika handelt. Doch der Krieg bleibt bei Abbruzzese eine brutale Randerscheinung. Ihm geht es mehr um die Konfrontation zweier Menschen, zweier Gegner, deren Schicksale sich quasi verschmelzen. Sein elektrisierendes Drama dokumentiert die Kraft des Kinos. Dabei wird die Reise von drei Flüssen markiert: der Oder (Flucht), dem Niger (Krieg) und der Seine (Rückkehr). Die Hauptdarsteller, der Deutsche Franz Rogowski (Alex), Morr Ndiaye (Jomo) und Laëtitia Ky (Udoka) von der Elfenbeinküste, faszinieren und prägen den Film eindrücklich. Magisch.


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Frankreich/Italien 2023    
91 Minuten

Buch und Regie: Giacomo Abbruzzese
Kamera: Hélène Louvart

Mitwirkende: Franz Rogowski, Laëtitia Ky, Morr Ndiaye
 

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