Beyto

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Das Damokles-Schwert der Familie: Der schwule Beyto (Burak Ates) muss ich dem Diktat der Familie und der islamischen Community beugen. Er wird zwangsverheiratet. (Frenetic Films)



Zwischen Diktat der Community und
Freiheit des Individuums


Wenn verschiedenen Kulturkreise aufeinander stossen, sind Konflikte oft unausweichlich – im Gesellschaftlichen wie im Privaten. Junge Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft geraten oft eine Zwickmühle zwischen Tradition und Moderne, zwischen konservativen Familienansprüchen und individuellen Bedürfnissen.

Die Zürcher Filmregisseurin Gitta Gsell («Bödälä – Dance the Rhythm») hat dieses Thema in ihrem Spielfilm «Beyto» aufgegriffen, basierend auf dem Roman «Hochzeitsflug» von Yusuf Yesilöz. Der 19jährige Beyto (Burak Ates), Sohn türkischer Emigranten und in Zürich heimisch geworden, ist ein talentierter Schwimmer, der sich in seinen Trainer Mike (Dimitri Stapfer) verliebt – und umgekehrt. Er war bisher ein folgsamer Sohn, der seinen Eltern, Narin (Beren Tuna) und Seyit (Serkan Tastemur), im Döner-Geschäft und Restaurant aushilft. Sie würden sein Schwulsein nie akzeptieren, ist er überzeugt und verheimlicht seine Neigung. Zu sehr sind die Eltern in altem Traditionsdenken und der türkischen Community verhaftet. Als er sich outet, rastet der Vater fast aus, sieht das Ansehen der Familie gefährdet.

Und so locken die Eltern ihren Sohn in ihr türkisches Heimatdorf und stellen ihn vor die Tatsache, seine Jugendfreundin Seher (Ecem Aydin) zu heiraten. Er sperrt sich, sieht aber keinen Ausweg und fügt sich notgedrungen. Beyto weiss, dass er seinen Geliebten Mike verraten hat. Er lässt das ganze Hochzeitsprozedere über sich ergehen, auch um seine Braut zu schützen, die er einweiht und der er seine Liebe zu Mike erklärt.

Frisch, aber unglücklich verheiratet, fühlt sich das Paar in der Schweiz verloren. Beide, Beyto und Seher, wollen gemeinsam ausbrechen, ihr eigenes Leben leben, sich verwirklichen und wenn's sein muss zu dritt. Den schier unlösbare Konflikt zwischen Individuum und Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Selbstbestimmung, Verpflichtung (gegenüber der Familie) und Freiheit schildert Gitta Gsell geradezu exemplarisch, zeichnet die Befindlichkeiten der jungen Leute und ihr Begehren, die Verbundenheit und das Verharren der Traditionalisten in feinen Strichen und Tönen. Auch die Frage der Schuldzuweisung wird offenkundig. «Was hast du uns angetan?», wirft Narin ihrem «ungehorsamen» Sohn vor. Dabei ist die Gegenfrage ebenso berechtigt. Sie tragen Mitschuld an der unglückliche Situation haben, wo althergebrachte Wertvorstellungen und Normen über das moderne Individuum gestellt werden. Es ist keine Frage, auf welcher Seite die Filmautorin steht. Es ist auch verständlich, dass der Konflikt nicht in einer Tragödie mündet. Ein feinfühliges stimmiges Beziehungsdrama, das Hoffnung macht – trotz alledem.


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Schweiz 2020  
98 Minuten

Buch und Regie: Gitta Gsell
Kamera: Peter Guyer

Darsteller: Burak Ates, Dimitri Stapfer, Beren Tuna, Serkan Zestemur, Ecem Aydin


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