Tell – Jagd auf ewig

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Unbeugsam: Wilko von Tellen alias Tell (Luke Gasser, rechts) bietet auch Landvogt Gissler alias Gessler (Carlo Ljubek) Stirn und Widerstand. (Praesens-Film)



Einer gegen alle


Siehe Interviews Luke Gasser und Adrian Furrer


Der Mann mit der Armbrust ist weltweit bekannt – als legendärer Freiheitskämpfer, als Schweizer Nationalheld und Marke. Vor über 60 Jahren tauchte er letztmals im Kino auf, von der missratenen Komödie von 2007 (Regie: Mike Eschmann) mal abgesehen. In Zeiten des Kalten Krieges inszenierten Michel Dickoff und Karl Hartl 1960 «Wilhelm Tell» mit Robert Freitag in der Titelrolle – ganz nach Friedrich Schillers Drama. Der Film kostete 3,5 Millionen Franken und spielte nur die Hälfte der Produktionskosten ein.

Luke Gassers Version kostete nicht einmal eine Million Franken heute (Eigenleistungen inbegriffen). Gassers Filmtitel «Tell – Jagd auf ewig» deutet es an: Es ist nicht nur die herkömmliche Jagd auf Wild gemeint, sondern der Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit. Man schreibt das Jahr 1291 (aus Schulbüchern bekannt). Der Habsburgern König Rudolf stirbt, und in den Talschaften rund um den Vierwaldstättersee herrschen Landvögte. Einer knutet die Bevölkerung von Schwyz und Uri besonders, Landvogt Gissler (Carlo Ljubek), bei Schiller Gessler genannt. Die Fronarbeit, die er den Leuten aufbürdet, ist unmenschlich. Aber die einheimischen Freiherren ducken sich, lassen sich lieber schmieren, um ihre Pfründe sprich den Salzhandel nicht zu gefährden. Auf Druck der unfreien Bevölkerung, insbesondere der Vorwürfe des freien Jägers Tellen (Luke Gasser) treffen sich die Herren der Talschaften zu einer konspirativen Versammlung, um einen Aufstand ins Auge zu fassen und vollführen den Rütli-Schwur («ein einig Volk von Brüdern»). Doch Freiherrn wie Attinghausen (Werner Biermeier), Staupbacher/Stauffacher (Marcel Imfeld) oder Walther Vürstand/Walter Fürst (Adrian Furrer) kneifen. Die Lage eskaliert. Gissler und sein rigoroser Bruder Ulrich (Lionel Podarski) treiben es auf die Spitze, lassen einen Hut aufstellen, den alle zu grüssen haben. Am Gerichtstag bei Altdorf will Tell den selbstgerechten Landvogt Gissler zur Rede stellen, sein Recht als Freier und seine Armbrust einfordern, die Ulrich konfisziert hat. Tell beugt sich nicht und wird von Gissler zum berühmten Apfelschuss gezwungen. Der Rest ist Geschichte …

Luke Gasser hält sich nicht an Schillers «Tell». Er macht ihn nicht zum hehren Helden. Seine Grundlage bildet eher «Das Weisse Buch von Sarnen» (1470), die Chronik des Obwaldner Stadtschreibers Hans Schriber. Im zweiten Teil des Buches wird vom Herkommen der Urner, Unterwaldner und Schwyzer erzählt, von der Unterdrückung durch Habsburger Vögte und dem Widerstandsbundes (Rütli Schwur) berichtet.

Gassers Tell ist ein Wilder Mann, ein Guerillakämpfer, der die Händel der Freiherren durchschaut und den lokalen Tyrannen sprich Landvogt eliminiert. Es wird keine Ruhe geben, ein einsamer Wolf, der weiter für die Freiheit kämpft – auf Jagd für ewig. Tells einzige Vertraute im Dunst dieser rauen profit- und machtgierigen Männergesellschaft ist Heiki (Kathrin Kühnel), seine Frau, die eher auf Heilkräfte vertraut denn auf Männerschwüre. Tell begehrt auf, fordert Recht und nimmt sich die Freiheit, Unrecht zu bestrafen, und gegen Unterdrückung zu kämpfen. Insofern passt er gut in unsere Zeit, eigentlich in jede Zeit.

Gassers Tell-Film vertraut auf Innerschweizer Landschaften, lokale Gegebenheiten, neben einigen Profis auf 100 Laiendarsteller und echte Kulissen. Es wird nicht wie bei anderen Grossproduktionen üblich getrickst (ausser beim Weissen Hirsch), mit echten Schwertern und Armbrust gekämpft. Rund 980'000 Franken betrugen die Produktionskosten, Eigenleistungen inbegriffen versicherte Gasser. Man hat an Geldern sparen müssen, nicht aber an Eifer, Einsatz und Leidenschaft. Dieser «Tell» ist kein Historienfilm im Sinne einer Geschichtsstunde, er vermengt Action und poetischen Momenten und Songs (von Luke Gasser). Das Ende erinnert an einen Western, wenn der Held auf freier Wildbahn gen Horizont reitet. Luke Gasser hat mit einfachen Mitteln ein spektakuläres Werk geschaffen, das Respekt und ein grosses Publikum verdient. Ein Mythos lebt – rau, ungeschminkt und wild.


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Schweiz 2023
136 Minuten

Buch und Regie: Luke Gasser
Kamera: Reinhard J. Steiner

Mitwirkende: Luke Gasser, Kathrin Kühnel, Carlo Ljubek, Werner Biermeier, Adrian Furrer, Daniel Rohr, Thomas Thieme, Lionel Podarski


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