Allein gelassen: Sie geraten zwischen die Stühle, wenn Eltern sich trennen und fragen «Wo gehören wir hin?» (Filmcoopi)
Wenn Kinder machtlos sind…
«Wohin gehören wir?», fragen sich oft Kinder, die zwischen Eltern, die sich getrennt haben, pendeln müssen. Die Zürcher Jacqueline Zünd hat Scheidungskindern ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt, ihnen zugehört und ihnen ein Forum gegeben. Sie haben sich geöffnet und schildern aus ihrer Perspektive, was sie empfinden, wie sie sich verhalten, was sie besser gemacht hätten und welche Wünsche sie haben.
«Where We Belong – Wo gehören wir hin?» ist der Titel des Dokumentarfilms (warum eigentlich Englisch?). Und das fragen sich oft Scheidungskinder. «Für mich ist es am schlimmsten, wenn man mich fragt: Entscheide dich zwischen deiner Mutter und deinem Papa», schildert Sherazade ihre Lage. «Dann denk ich mir: Hallo? Bist du bescheuert? Das sind meine Eltern, ich will mich nicht zwischen ihnen entscheiden. Ich habe beide lieb.» Kinder geraten ohne ihr Zutun in eine verzwickte Situation. Die Eltern sprengen die Familien, die Kinder werden zerrissen und nicht selten zum Spielball des Konflikts.
Die Zürcher Filmerin Jacqueline Zünd («Almost There») hat sich fünf Kindern angenommen, dem Bauernjungen Thomas Kurmann, den Geschwister Carleton und Sherazade Gogel sowie den Zwillingen Alyssia und Ilaria Pascale. Sie hat Vertrauen gewonnen und sie für ihr Vorhaben gewonnen. Die Eltern haben ihre Einwilligung gegeben, bleiben aber Randfiguren. Jacqueline Zünd stellt die Kinder in den Fokus. Und diese schildern das emotionale Schlamassel. «Leider kriegen es viele Erwachsene einfach nicht hin, sich und ihre Verletzungen beiseite zu schieben, wenn es um ihre Kinder geht», unterstreicht die Regisseurin. «Da steckt ein grosses zerstörerisches Potenzial drin». Die Zwillinge beispielsweise versuchen, dem elterlichen Streit zu entgehen, und haben sich für ein Kinderheim entschieden.
Meistens sind die Kinder dieser familiären Stresssituation ohnmächtig ausgeliefert, wagen oder können nicht eingreifen. Zwilling Alyssia gesteht ein: «Als ich jünger war, hätte ich Mut haben müssen, Mama und Papa zu sagen, sie sollten aufhören zu streiten und sich wieder zu vertragen. Aber jetzt ist es zu spät.» Erstaunlich offen und einsichtig schildern die Kinder ihre Erfahrungen, Situation. Zünd ist es überzeugend gelungen, die Scheidungsproblematik und die Folgen bei betroffenen Kindern bewusst zu machen. Scheidungswilligen Eltern sollte dieser Film «Pflichtstoff» sein. Kein Lehrstück, aber eine Fallstudie, die nahe geht.
Jacqueline Zünd hat mit ihrem Projekt den fünften CH-Dokfilm-Wettbewerb (400 000 Franken) gewonnen und konnte so massgeblich dank des Migros Kulturprozents und einem SRG-Beitrag (80 000 Franken) ihren Film «Where We Belong» realisieren.
Schweiz 2019
87 Minuten
Buch und Regie: Jacqueline Zünd
Kamera: Nikolai von Graevenitz
Mitwirkende: Alyssia undd Ilaria Pascale, Carleton und Sherazade Gogel, Thomas Kurmann
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