Werk ohne Autor

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Ein Maler sucht seine Kunst und befreit sich von der Vergangenheit: Der Künstler Kurt Barnet (Tom Schilling) im Film hat auch mit dem realen Maler und Bildhauer Gerhard Richter zu tun. Bild oben: Schatten der Vergangenheit: Kurts Liebe zu Ellie (Paula Beer) wird vom Schwiegervater torpediert. (Disney)


«Nie wegsehen!»


Mit den ersten Bildern tauchen wir tief in die deutsche Vergangenheit. 1937, in Dresden wird die «Entartete Kunst» von den Nazis zur Schau gestellt. Der Ausstellungsführer (Lars Eidinger!) kommentiert sarkastisch-rassistisch die Werke von Picasso und anderen geächteten Künstlern im völkischen Sinn. Stumm und distanziert beobachtet die junge Elisabeth (Saskia Rosendahl) diesen Vorgang, an ihrer Hand der Knabe Kurt. Sie gibt ihm eine Mahnung auf den Lebensweg: «Nie wegsehen, Kurt! Alles Wahre ist schön.» Dieses Erlebnis wird ihn prägen wie auch seine Liebe zur schönen Tante. Sie ist eine eigenwillige Persönlichkeit, träumerisch, trotzig, unangepasst, die auch mal nackt am Klavier sitzt und ihre Momente der Freiheit lebt. Das wird ihr zum Verhängnis. Engste Verwandte fürchten, sie sei nicht normal. Und so gerät sie in die Hände des Leiters einer psychiatrischen Anstalt. Der menschenverachtende SS-Prof. Carl Seeband (Sebastian Koch – diabolisch verschlagen) trägt wesentlich zur Verschärfung der Euthanasie-Strategie der Nazis bei. Elisabeth, die eigenwillige, wird wie Tausende «entarteter» Menschen in die Gaskammer geschickt und «entsorgt».

Es sind diese Bilder im Film, von manchen Kritikern als zu klischeehaft taxiert, die hängen bleiben, auch weil sie das Leben, das Leid, Schicksale im Nazi-Deutschland und später auf den Punkt bringen. Dazu gehören etwa die Bombardierung Dresdens, das «Kunst»-Leben in der DDR und im Westen. Der erwachsene Karl Barnet (Tom Schilling – solide überzeugend) wird zum Schilder-, dann zum Freskenmaler, der die Studentin Elisabeth (Paula Beer, verhalten präsent) kennen und lieben lernt. Wegen ihrer Ähnlichkeit mit der verschleppten Tante Elisabeth nennt er sie Ellie. 1961, kurz vor dem Mauerbau, verlassen beide die DDR. Er findet einen Studienplatz an der Düsseldorfer Kunstakademie und begegnet jenem berühmten Prof Beuys, im Film Prof Antonius van Verten (Oliver Masucci) geheissen, der Fett und Filz zur Maxime erhoben hat (Beuys Kriegsepisode streift der Film auch).
Der junge Maler Kurt Barnert sucht seinen Stil und findet ihn in alten Fotografien, die er «abmalt», in Grautöne taucht und verfremdet. Er verarbeitet so nicht nur seine Jugend (Nazis und Krieg), sondern entlarvt unwissentlich seinen Schwiegervater, eben jenen SS-Arzt, der «unwerte» Menschen in den Tod schickte. Nur ist dies dem Künstler Barnet nicht eigentlich bewusst, dem Zuschauer dagegen sehr wohl.

Man mag darüber streiten, ob man auf diese Weise die deutsch-deutsche Geschichte und Kunst von den Dreissiger- bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts aufbereiten und dramatisieren darf und sollte. Man sollte – fürs Kino. Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck («Das Leben der Anderen») fächert dieses Stück Zeitgeschichte in dreieinhalb Stunden auf – bisweilen plakativ (wie bei Szenen in der DDR oder in der Kunstakademie im Westen), meistens aber eindrücklich menschlich und ergreifend.
Es ist müssig darüber zu streiten, wie weit dieser Spielfilm dem Künstlerstar Gerhard Richter oder Joseph Beuys gerecht wird. Das ist gar nicht die Absicht. Richtig ist, dass Donnersmarcks Werk biografische Anleihen bei den genannten Künstler gemacht hat (Richters Tante fiel tatsächlich Nazi-Ärzten zum Opfer und sein erster Schwiegervater gehörte zu den Nazi-Tätern).
Vor allem aber ist «Werk ohne Autor» (ein etwas nebulöser Titel, der wohl «Werk aus der Wirklichkeit» meint) ein beeindruckendes Zeitbild, auch ein Schaustück über Kunst, Ideologie und Findung, vor allem aber ein Liebesfilm. Es ist keine Biografie, keine Abrechnung mit der DDR, wohl aber eine deutsch-deutsche Tragödie und ein spannendes Geschichtsmemorandum. «Werk ohne Autor» wurde für die Oscar-Nomination nominiert.


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Deutschland  
188 Minuten

Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck
Kamera: Caleb Deschanel

Darsteller: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Saskia Rosendahl, Ben Becker, Lars Eidinger, Jeanette Hain, Hinnerk Schönemann, Jörg Schüttauf


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