Scala Adieu – Von Windeln verweht

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Ende des Scala Filmpalastes, 1938 eröffnet, 2017 aus kommerziellen Gründen geschlossen: Die Filmkultur in Konstanz wurde ärmer. In Konstanz gross geworden: Douglas Wolfsperger (rechts) prangert die Schliessung einer Kinokultstätte in Konstanz an, lässt «Täter» und Betroffene wie die Schauspielerin Eva Mattes (Bild) zu Worte kommen. (Bild: Michael Lünstroth, Wolfsperger Filmproduktion)




The Last Picture Show – Ein trauriges Kinokapitel aus Konstanz


Da war einmal ein Kino in Konstanz am Bodensee, ein Hort für Cineasten, die abseits vom Mainstream Filmkultur geniessen wollten und konnten. Ein beliebter Lichtspielort, bis profitgeeichte Investoren kamen, um dem Scala den Garaus zu machen. Aus einer Kultstätte wurde eine weitere profane Kommerzimmobilie im Herzen der Bodenseestadt installiert, an der Marktstätte. Es ist ja nicht so, dass es Konstanz an Drogeriemärkten (Müller und dm) mangelt. Im Gegenteil, es gibt nun fünf davon, teils direkt gegenüber wie an der Marktstätte. Nicht zu glauben. Alles nur für die Schweizer und andere Einkaufsscharen?

Mit der Schliessung des Kinos Scala im November 2016 ging ein Kulturkapitel zuende. Nach fast 78 Jahren schlossen die Vorhänge für immer. Das Scala, als Arthouse- oder Programmkino bei Kinofreunden in und um Konstanz sehr beliebt, zeigte Filme, auch Schweizer Filme, die in anderen Städten Baden-Württembergs nie zu sehen waren. Um die Gemüter zu beruhigen, hatte der bisherige Kinobetreiber eine Arthouse-Nische im Lago-Multiplexkino Cinestar versprochen. «Scala Filme im Cinestar» heisst der Ersatz nun. Zwar sind hier jetzt auch Studiofilme zu sehen, aber in welcher Popcorn-, Shopping und Fitness-Umgebung!

Mehr oder weniger klammheimlich, zumindest mit verdeckten Karten hatten die Akteure – der Kinobetreiber vom Cinestar, der auch das Scala betrieb und wenig Interesse am Fortbestand (Konkurrenz) zeigte, der Oberbürgermeister, der Kulturbürgermeister, der Inhaber der Drogeriekette (auch mit Konstanzer Wurzeln) und der Kinobetreiber – längst den Tod vom Scala beschlossen, um dem schnöden Kommerz Platz zu machen. Bürgerproteste und Initiativen stiessen auf eine Mauer, auf profitorientierten Gegner und eine Koalition politischer und wirtschaftlicher Interessenten. Die Aktionen kamen zu spät und wurden teilweise eitel und schnöde abgeschmettert. Der Tenor: Was schadet denn ein Kino weniger inmitten der Stadt? Das vermisst doch niemand. Falsch. Die Kinoeintritte in Konstanz insgesamt gingen seither zurück. Den Verlust können der Kinokomplex Cinestar und das engagierte Alternativ-Kino Zebra in der Stadtperipherie nicht wettmachen!

Dieser fatalen Kulturentwicklung in Konstanz ist der Filmer Douglas Wolfsperger («Wiedersehen mit Brundibar», «Die Blutritter»), 1957 in Zürich geboren, in Kreuzlingen und Konstanz aufgewachsen, nachgegangen. Die Dokumentation «Scala adieu – Von Windeln verweht» hat nicht nur einen treffenden Titel, sondern auch Pfiff und Pfeffer. Fraglos liefert der Filmer Wolfsperger nicht nur einen subjektiven, gezielt provokanten Beitrag zur Stadtgeschichte Konstanz, sondern auch ein wichtiges Dokument zum Veröden und Sterben deutscher Innenstädte. Profit regiert, Stadtcenter werden immer mehr genormt, von den immer gleichen Shoppingmöglichkeiten, Drogerien, Modeboutiquen, Seh- und Hörcentern zugepflastert. «In Konstanz ist es wie in vielen anderen Städten auch», meinte Douglas Wolfsperger. «Der Kommerz hat sich breitgemach, und das Individuelle geht immer mehr verloren.»

Bei dieser «Last Picture Show» ums Scala machen die Kulturverwalter eine höchst schlechte Figur, allen voran Oberbürgermeister Ulrich Burchardt, der zwar jüngst als Versuchsmüllmann Bürgernähe vorgaukelt, aber überhaupt kein Feeling für Kinokultur besitzt. Seinen unbequemen Widerpart, Theaterintendant Christoph Nix, der die Bürger-Initiative «Rettet das Scala» angeschoben hatte, ist er bald los. Burchardt hat einen grossen Anteil daran. Nix' Theater-Engagement wurde von der Stadt nicht verlängert. Spricht da einer von Politikdünkel? Nix bot Wolfpergers Film an, die Premiere im Stadttheater zu zeigen. Oberbürgermeister Burchardt hält sich beflissentlich von einer Aufführung fern. Frappierend ist die Ignoranz und Scheinheiligkeit besagter städtischer Kulturverwalten. Sie verkennen total, sie mit dem fahrlässigen Verkauf und der Etablierung neuer Verkaufsflächen im Zentrum der städtischen Entwicklung einen Bärendienst erweisen. Profit um jeden Preis?

Ein Nebeneffekt hat die Scala-Schliessung: Der Kreuzlinger Gemeinderat hat nicht nur die Scala-Filmproduktion finanziell unterstützt, sondern auch die Wege für ein Lokalkino im Kult-X geebnet. Vorerst sporadisch, im Herbst soll dann ein regelmässiges Kinoprogramm starten. Weitsichtig – im Gegensatz zur Kurzsichtigkeit der Konstanzer Verantwortlichen.


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Deutschland 2018  
80 Minuten

Buch und Regie: Douglas Wolfsperger
Kamera: Frank Amann, Börres Weiffenbach, Matthias Schellenberg, Kai Lehmann


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