La Ligne

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Ausfällig: Margaret (Stéphanie Blanchoud, rechts) rastet aus und greift ihre Mutter Christina (Valeria Bruni Tedeschi) tätlich an. (Filmcoopi)



Ausgegrenzt


Eruptiv wie ein Vulkan. Wie von Furien gehetzt, geht die 35jährige Margaret (Stéphanie Blanchoud) auf ihre Mutter los und wirft sie förmlich aus der Karrierebahn. Christina (Valeria Bruni Tedeschi) ist gefeierte Konzertpianistin und erleidet infolge der Attacke ihrer Tochter einen Hörschaden. Das Ende einer künstlerischen Existenz. Die Angreiferin wird vom Gericht dazu verknurrt, sich ihrer Mutter, ihrem Elternhaus fernzuhalten. 100 Meter Mindestabstand heisst das Gebot, verdeutlich durch eine blaue Linie, die Margaretes jüngste Schwester Marion (Elli Spagnolo) ums Haus zieht.

Die Mutter ist stinksauer auf ihre gewalttätige Tochter, die ihre Karriere praktisch beendet hat. Gleichwohl sucht die ausgegrenzte Tochter Nähe zur Familie. In Marion findet sie eine Verbündete, tauscht sich aus, gibt ihr Musikunterricht quasi vor der Tür. Der Familienkonflikt scheint irreparabel, doch es gibt Hoffnung …

In verschiedenen Familien hat die Genferin Ursula Meier gesellschaftliche und familiäre Konflikte ausgelotet. In «Home (2008) beispielsweise wird eine Familien von einer Autobahn «terrorisiert», in «Winterdieb/Sister» (2012) schlagen sich ein Zwölfjähriger und seine Schwester mit Diebstählen und Prostitution durchs Leben, letztlich sehen sie ihre Chance nur in der Gemeinsamkeit. Familiäre Bande, zerrissene und gemeinsame, sind auch das Thema in «La ligne». Eine Mutter und drei Schwestern stehen im Fokus, wobei nicht nur die Beziehungen zueinander eine tragende Rolle spielen, sondern auch die Musik. «Die Musik ist das einzige schöne Erbe, das die Mutter an ihre Töchter weitergegeben hat», unterstreicht Ursula Meier in einem Interview. «Es war wichtig, dass die Musik in der Geschichte eine so grosse Rolle spielt, denn nur durch die Musik kann Margaret sich ausdrücken und sich für Gefühle öffnen.»

Auch wenn die Hauptakteurin Margaret explosiv und teilweise unkontrolliert agiert, scheint sie zerbrechlich und verletzlich (sehr überzeugend Stéphanie Blanchoud). Das Ausgesperrtsein verstärkt nur noch ihre Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Geborgenheit. Die jüngere Schwester Marion pendelt zwischen den Fronten, sie kann überbrücken, aber die Risse nicht kitten.

Dieses Ringen, diese Konfrontation und Annäherung inszeniert die Regisseurin sehr nah, einfühlsam und eindringlich. Gleichwohl bleibt ein Manko. Der Auslöser der Gewalt bleibt im Dunkeln, die Eskalation zwischen Mutter und Tochter passiert einfach. Ursula Meier verweigert bewusst eine Deutung. Ihr Thema ist nicht die Gewalt, sondern die Familie: Spannungen, Ausbrühe, Sehnsüchte.


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Schweiz 2022  
102 Minuten

Regie: Ursula Meier
Buch: Meier, Stéphanie Blanchoud, Antoine Jaccoud
Kamera: Agnès Godard

Darsteller: Stéphanie Blanchoud, Valeria Bruni Tedeschi, Elli Spagnolo, India Hair, Dali Benssalah


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