Fortuna

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Geborgen in der Wintereinöde am Simplon: Das äthiopische Flüchtlingsmädchen Fortuna (Kidist Siyum Beza, Bild oben) findet im Hospiz Sicherheit und Wärme. Der Chorherr (Bruno Ganz, Bildmitte) der Bruderschaft am Simplon steckt im Dilemma: Darf er das schwangere Flüchtlingsmädchen Fortuna weiter aufnehmen, muss er sogar, wenn er auf sein Gewissen hört? (Praesens-Film)



Im Schosse des Hospiz


Sie sind täglich in den Schlagzeilen: Flüchtlinge, Asylanten, Emigranten. Viele Leute nerven sich, ängstigen sich, sympathisieren mit Parteien, welche die Flüchtlingsfrage politisch und polemisch nutzen, Ängste und Wut schüren. Eine unübersichtliche Masse, Zahlen, Faktoren – dabei werden die Menschen und ihre einzelnen Schicksale verallgemeinert, pauschalisiert, abgeharkt.

Der Lausanner Filmer Germinal Roaux (38) arbeitete als Fotoreporter, eh er sich 2003 dem Filmen zuwandte. 2012 dreht er seinen ersten Spielfilm «Left Foot Right Foot» über Jugendliche um die 20, die im Leben mehr trudeln als Halt finden (Schweizer Filmpreis Quartz in drei Kategorien). «Fortuna» ist sein zweiter Spielfilm über eine 14-jährige Äthiopierin auf der Flucht, die in der Schweiz gestrandet ist. Ein Flüchtlingsschicksal. Fortuna (Kidist Siyum Beza) findet Aufnahme und Schutz in einer katholischen Klostergemeinschaft. Im Hospiz am Simplon wartet sie zusammen mit anderen Asylanten auf den nächsten Schritt, die Aufnahme in die Schweiz oder…

Das stille Mädchen, allein auf sich gestellt, hat ein Geheimnis: Sie hat sich in den 26-jährigen Afrikaner Kabir (Assefa Zerihun Gudeta) im Hospiz verliebt und ist schwanger. Er will davon nichts wissen, verschwindet. Kann sie im Kloster bleiben? Der Chorherr (Bruno Ganz) der Bruderschaft steckt im Dilemma, denn er müsste Fortuna der Behörde und einer anderen Asylantenstätte übergeben. Christenliebe und amtliche Regelungen – das passt nicht immer zusammen. Ein Einzelschicksal sollte nicht einfach bürokratisch beurteilt und reglementiert werden. Davon erzählt Rouax' Film, der sich in eisiger strengen Wintereinöde auf rund 2000 Metern Höhe abspielt und in Schwarzweiss gedreht wurde (Kamera: Colin Lévéque). Das Klima, die Umgebung sind kalt und abweisend. Sie sind nicht nur Kulisse, sondern drücken die Situation von Flüchtlingen aus. Der Fremdheit und Kälte kann mit Menschlichkeit begegnet werden und dafür steht die Bruderschaft am Simplon (das Hospiz wird heute noch von den Stiftsherren des Grossen St. Bernhards als Begegnungsstätte betrieben). Ausgangspunkt für die Filmidee waren Begegnungen des Filmers mit unbegleiteten Minderjährigen im Exil. Bestärkt wurde Germinal Roaux durch die Tatsache, dass das Kloster Einsiedeln Flüchtlinge aufgenommen hatte – infolge Platzmangels in Asylzentren. So wurde das Hospiz Simplon zum Filmschauplatz. Nach anfänglichem Zögern hatten die Chorherren die Filmequipe aufgenommen und willkommen geheissen. Gedreht wurde dann vor Ort zwischen April und Mai 2016.

«Fortuna» steht für ein Flüchtlingsschicksal, für einen Konflikt, eine Suche. Er ist ein Plädoyer für Menschlichkeit, Verständnis, Hilfe. Fortunas Leben ist an einem Scheidepunkt angelangt. Wohin ihr Weg führt, bleibt offen. Die Darstellerin Kidist Siyum Beza fand der Regisseur bei einem Casting in Addis Abeba, eine Waise, die etwas Englisch sprach und eine kleine Rolle im äthiopischen Film «Lamb» gespielt hatte. Sie ist der Kristallisationspunkt, Kern und Sinn der Geschichte einer Findung und Zuneigung.


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Schweiz 2018  
106 Minuten

Regie: Germinal Roaux
Idee/Buch: Roaux, Claudia Gallo, Claude Muret
Kamera: Colin Lévéque

Darsteller: Kidist Siyum Beza, Bruno Ganz, Patrick D'Assumçao, Assefa Zerihun Gudeta


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